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Absage von vier Referenten |
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Nacheinander sagten Karl Heinz Roth, Heinrich Hannover und einem Tag vor Beginn
des Kongresses Hans-Rüdiger Minow ihre Teilnahme am Kongress ab. Alle drei
begründeten ihren Rückzug mit der positiven Bezugnahme der Kongressvorbereitungsgruppe
auf die Entführung Peter Lorenz im Jahr 1975. Dies vor allem im Bezug auf
die Aufmachung des Mobilisierungsmaterials und expliziert nicht auf das geplante
Programm. Dieser Bezug würde, so die Kritik, die zu führenden Auseinandersetzungen
stark einengen und politischen Gegnern in die Hände spielen. In unseren
Ankündigungen würden wir, so einer der Kritiker, die Entführung
des Peter Lorenz zu einem Initialereignis der politischen Bewegung jener Zeit
stilisieren und das Ereignis zum Ausgangspunkt nationaler und internationaler Überlegungen
machen.
Insgesamt wären wir fixiert auf das eine Ereignis und würden Diskussionen
verunmöglichen. Wolfgang Dressen sagte dann am Morgen des ersten Kongresstages
ab ohne inhaltlich zu begründen.
Wir bedauern die Absagen der Referenten sehr; wichtige Aspekte für unser
Vorhaben die Geschichte bewaffnet agierender Gruppen zu untersuchen entfallen;
die inhaltliche Konzeption verschiebt sich massiv. Am bedauerlichsten jedoch
ist die Tatsache, dass die betreffenden Referenten ihre Kritik an uns nicht öffentlich äußern
und eine Diskussion über ihre kritischen Punkte nicht werden stattfinden
können.
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Auszug aus der Absage von Karl Hein Roth |
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Über die Aufmachung [der Flyer und Plakate] bin ich entsetzt. Das Ganze
ist auf eine einzige Ikone abgestellt, nämlich die Lorenz-Entführung.
Dadurch wird der Eindruck erweckt, als handle es sich um eine Nostalgie-Veranstaltung
von Leuten, die meinen, dass man heute, 30 Jahre danach, bruchlos an den damaligen
Aktionsformen wieder anknüpfen könne. Die Ikone „Lorenz-Entführung“ provoziert
deshalb entweder uneingeschränkte emotionale Zustimmung oder schroffe Ablehnung.
Darüber hinaus öffnet sie den übermächtigen politisch-ideologischen
Gegnern völlig unnötig enorme Handlungsspielräume gegen unser
Anliegen.
Bei meiner ersten Antwort, in der ich meine Zusage mitteilte, hatte ich Euch
gebeten, die Entführungs-Ikone hintanzustellen, weil sie den Blick auf das
verstellt, was an der Bewegung 2. Juni noch heute wichtig ist: Als einzige der
bewaffneten Gruppen hatte sie eine stabile Beziehung zur proletarischen Jugendszene
und Subkultur. Wenn man den Blick auf diese außergewöhnliche Rolle
innerhalb der Sozialrevolte der 70er Jahre konzentriert, dann können neben
den damaligen Stärken der Verankerung im sozialen Widerstand auch die Schwächen
und Fehler zur Diskussion gestellt werden. Um einen solchen offenen Dialog geht
es meines Erachtens heute, wo die Jahrzehnte der Repression und der Leiden vorbei
sind und sich eine neue sozialistische Perspektive als absolut dringlich erweist.
Das alles wird aber verstellt, wenn man weiterhin seine Ikonen vor sich herträgt – und
sich mit ihnen sofort aus allem heraus katapultiert, was gegenwärtig wichtig
ist und den Pauperisierten und Entrechteten auf den Nägeln brennt. Ihr hättet
Euch vor und bei der Planung des Kongresses beispielsweise bei den Tupamaros
umsehen und darüber informieren sollen, wie sie heute politisch agieren.
Schade, sehr schade! Das Hauptmotto („In Bewegung bleiben“) ist
hervorragend, und von da aus könnten sich auch die Veteraninnen und Veteranen
des 2. Juni zusammen mit ihren früheren Grenzgängern selbstkritisch
in eine erneuerte sozialistische Perspektive einbringen.
Dabei kann man sich aber nicht hinter Ikonen verstecken, sondern muss zu einem
Zeitpunkt, wo die durch die Repression und die De-Legitimationskampagnen der
Herrschenden auferlegten Zwänge zum Schweigen und Wegducken allmählich
aufhören, nicht nur über seine vergangenen Stärken und Bravourstücke,
sondern auch über seine Fehler nachdenken, damit die nachfolgenden Generationen
sie nicht noch einmal machen müssen.
Dazu gehört auch das selbstkritische Nachdenken über das, was hinter
der von Euch gewählten Ikone steckt. Ohne ein gehöriges Maß an
Subversivität und Kaltschnäuzigkeit ist jeder soziale Widerstand perspektivlos.
Aber die Akteure müssen auch ihre Grenzen kennen, wenn sie sich nicht von
den sozialen Kämpfen isolieren und zur revolutionären Stellvertreter-Elite
verselbständigen wollen. Über diese Seite der Medaille sagt die Ikone
nichts. Nur die andere, der Verweis auf den Erfolg der Aktion, wird im Flyer
benannt. Das und auch die Kaltblütigkeit der Akteure will ich nicht in Abrede
stellen. Dass es nicht zum Blutvergießen kam, war aber nicht nur ihnen,
sondern auch dem Zufall und einem ziemlich mutigen Pastor zu verdanken.
Für unsere Fehler haben die meisten von uns in den vergangenen Jahrzehnten
mit langen Haftstrafen oder mit erheblichen Beschädigungen bezahlt, einige
auch mit ihrem Leben. Das macht es verständlicherweise schwer, sie sich
einzugestehen. Verpflichtet uns das aber nicht trotzdem dazu, die Erfahrungen,
die mit diesen Fehlern verbunden sind, weiterzugeben?
Beispielsweise die Erkenntnis, dass es sehr schwer ist, revolutionäre
Energien freizusetzen, noch schwerer aber, sie im Zaum zu halten? Wenn die sozialen
Bewegungen nicht lernen, sehr genau mit dem Problem der revolutionären Gegen-Gewalt
umzugehen, dann verselbständigt sie sich, und es öffnet sich eine grässliche
Büchse der Pandora. Mit Bürgerkriegsmethoden kann die soziale Befreiung
nicht errungen werden (es sei denn, wir haben es mit einer terroristisch
enthemmten Diktatur à la Nazismus zu tun, wo der bewaffnete Widerstand
das einzig adäquate Mittel ist und bleiben wird, aber damit waren wir in
den siebziger und achtziger Jahren nicht konfrontiert gewesen). Ich denke, dies
ist das wichtigste Ergebnis der bewaffneten Experimente der Neuen Linken der
siebziger und achtziger Jahre, und wir sollten mit dieser Erkenntnis nicht länger
hinter dem Berg halten.
Ich bin sicher, dass die meisten von Euch heute diese Einschätzung teilen.
Aber warum versteckt Ihr sie dann hinter dieser Ikone? Es fällt mir sehr
schwer, aber ich halte es unter diesen Prämissen nicht für möglich,
am Ende einer solchen Tagung über die Chancen einer erneuerten sozialistischen
Perspektive zu sprechen.
Ich sage deshalb meine Teilnahme ab [...].
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Auszug aus der Absage von Hans-Rüdiger Minow |
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Kurz vor meiner Abreise nach Berlin habe ich den Donnerstags-Text in der jW
gelesen, der auf den Kongress hinweisen soll. Darin finden sich zwar identische
Formulierungen wie auf der Web-Site. Jedoch sind die Aussagen noch einmal verkürzt
und nehmen erneut und verstärkt positiven Bezug auf das angebliche Initial-Ereignis
der politischen Bewegung jener Jahre: eine Entführung.
Sie wird nun endgültig zum öffentlichen Ausgangspunkt nationaler und
internationaler Überlegungen der Kongressveranstalter – obwohl
es sich um ein Derivat handelt, das Teil des Zerfallsprozesses einer großen
historischen Gelegenheit war.
Wegen dieser Einengung seid ihr bereits von Karl Heinz kritisiert worden.
Ich hoffte, dessen Absage und meine bitte um thematische Öffnung hätten
euch bereiter gemacht, von einer erneuten Fixierung auf die vermeintliche grosstat
abzusehen. Leider erwies sich das bereits als Irrtum, als ich euch bat, zumindest
die Plakate im Veranstaltungsbereich zu korrigieren. Mir wurde erwidert, das
sei technisch, aber auch inhaltlich nicht zu verantworten. Mit der jW-Positionierung
in einem Interview, das keines ist, folgt nun eine erneute Restriktion, die mich
erwarten lässt, dass sich bei euch überhaupt nichts bewegt.
Dieser Eindruck überanstrengt meine Sympathie und Solidarität. Ich
sage meine Teilnahme deswegen ab. [...]
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Erwiderung auf die Absage von
Hans-Rüdiger Minow |
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Die folgenden Zeilen sind keine Erwiederung der Kongressvorbereitungsgruppe
auf Ihr Schreiben. Eine solche ist zu diesem Zeitpunkt nicht machbar.
Sie können sich sicher vorstellen, was die Absage eines Referenten im
aktuellen Stadion der Vorbereitung bedeutet. Neben dem Fehlen von zwei entscheidend
wichtigen Aspekten in den von uns gewünschten Auseinandersetzungen auf dem
Kongress, bedeutet diese massive Verschiebungen die inhaltliche Konzeption der
Veranstaltung betreffend. Dies ist beim Stand der Dinge nicht mehr reparabel.
Ihre Absage scheint mir definitiv und ich nehme sie hin. Nicht hinnehmen kann
ich hingegen Ihre Begründung.
Wenn Sie uns vorwerfen wir würden die Entführung Peter Lorenz zum
Ausgangspunkt „nationaler und internationaler Überlegungen“ machen
und zum „Initialereignis der politischen Bewegungen jener Jahre“ stilisieren,
dann frage ich Sie in welcher unserer Stellungnahmen, in welchem Teil des Programms
und seinen thematischen Schwerpunkten Sie eine solche Intention erkennen wollen.
In der Tat bezieht sich diese Vorbereitungsgruppe in den Publikationen auf
die Entführung Peter Lorenz. Wir nahmen den 30. Jahrestag dieses Ereignisseszum
Anlass eine Veranstaltung zu organisieren, die sich mit der Geschichte der Bewegung
2. Juni, mit den sozialen und antiauthoritären Bewegungen ab Mitte der 60er
Jahre, ohne die die Entwicklung bewaffnet agierender Gruppen in der BRD schlicht
nicht zu verstehen ist, letzlich mit linker Bewegungsgeschichte auseinandersetzen
soll.
Positiv ist unser Bezug auf dieses Ereignis vor allem deshalb, weil es in
der an Niederlagen so reichen Geschichte der Versuche der späten 60er und
der 70er Jahre und darüber hinaus einen Erfolg darstellte, der, so albern
Sie diese Einschatzung auch finden mögen, dokumentiert, dass die Behauptung
absoluter Chancenlosigkeit eines radikalen Aufbegehrens gegen die herrschenden
Verhältnisse unter bestimmten Bedingungen und Vorzeichen nicht haltbar ist.
Diese Aussage ist plakativ. Sie wird ein Ausgangspunkt der Diskussionen auf dem
Kongress sein.
Ein Blick in das Programm genügt, denke ich, um die breite unseres Ansatzes,
zu verdeutlichen und den Stellenwert des einzelnen Ereignisses Lorenz-Entführung
in unseren Betrachtungen einschätzen zu können. Worin liegt hierin „Fixierung“ und „Restriktion“?
Ich kann wie, schon gesagt, Ihre Absage nur hinnehmen. Dennoch bedauere ich
sie sehr und verbleibe in der Hoffnung auf eine Antwort Ihrerseits mit Grüßen [...]
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