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Vom A-libi zum B-libi
25. Juni 1980 – Fritz Teufel vor Gericht
Eine alibidinöse Erklärung zur Frage der Beteiligung an zwei Sparkassenüberfällen
und zum unsittlichen Alibizwang durch die moderne Inquisition – aus dem
Hut gezaubert in Moabit am 25. Juni 1980
Mein lieber Hut, diene mir gut!
Verlass mich nicht vor diesem saublöden hochintelligenten Gericht! Hilf
der Wahrheit ans Licht! Simsalabim!
Fritz Teufel hat ein Alibi! Abrakadabra!
Damen und Herren, sehen Sie:
Fritz Teufel hat auch ein B-Libi! Was aber ist ein B-Libi?
Davon handelt mein heutiger Vortrag. Es folgt das B-Libi: Das B-Libi ist kein
Witz. Das B-Libi ist ein Wort, das ich erfinden musste, um die Schwierigkeiten
meiner Lage zu erklären, die nur der kennt, der selbst einmal steckbrieflich
gesucht wurde und im so genannten „Unterrund“ gelebt hat.
Nach erfolgter Verhaftung, womöglich noch – wie in meinem Falle – in
guter Gesellschaft, sieht man sich in der Regel mit allerlei Vorwürfen konfrontiert.
Es gibt eine Reihe unaufgeklärter, politisch motivierter Verbrechen (nach
Auffassung der Mehrheit der Bürger)
Beziehungsweise revolutionärer Aktionen (nach der Auffassung einer sehr
kleinen, sehr radikalen Minderheit), die ein Computer-Bewaffneter Geistesriese
in Wiesbaden mit einer kleinen Bürgerkriegsarmee von Helfern aufklären
soll.
Und je nach Schuhgroße soll man reichlich in dieselben geschoben kriegen.
Ein Alibi ist der unumstößliche mit amtlichen Dokumenten und dem Zeugnis
guter Bürger erhärtete Nachweis der so genannten Unschuld.
Ein solcher Nachweis, den euch dieses hohe Gericht (etwa zwei Meter über
dem gemeinen Volk thronend) zähneknirschend akzeptieren musste, war mir
im Fall der Lorenz-Entführung möglich, was meine Mutter zu der Bemerkung
veranlasste, ich sei vielleicht doch ein Glückskind.
Zu früh gefreut. Lotte Teufel! Das B-Libi ist kein A-Libi, sondern sozusagen
ein Alibi minderer Qualität. Das B-Libi ist eine Geschichte, die der Angeklagte
nicht beweist und die das Gericht nicht widerlegen kann. Es steht im Be-Lieben
des Gerichts. ein B-Libi zu akzeptieren oder zu verwerfen. Darin steht die unheimliche
Macht des in der bürgerlichen Verfassungs-Theorie „unabhängigen“ Richters
in dieser Gesellschaft.
Letztes prominentes Opfer dieser unheimlichen Macht ist der angebliche Oetker-Entführer
Zlof in München. Weniger prominente Opfer sind alle Arten von Gefangenen
in allen Arten von Gesellschaftsordnungen.
Die Umkehr der Beweislast
Genauso Theorie wie die Unabhängigkeit des Richters ist der Grundsatz „im
Zweifel für den Angeklagten“.
Im Zweifel für den angeklagten Naziverbrecher.
Im Zweifel für den angeklagten Wirtschaftskriminellen.
Im Zweifel für den selten angeklagten Umweitvergifter.
Im Zweifel für den korrupten bürgerlichen Politiker, dem bei jedem
Amtsgeschäft Geld in die Tasche fließt, vom Schlage eines Peter Lorenz
oder Kurt Neubauer.
Im Zweifel für den langhaarigen, bärtigen Demonstranten? Für den
Kommunisten? Für den so genannten mutmaßlichen Terroristen? Für
seine mutmaßlichen Unterstützer und Sümpatisanten?
Im Zweifel für den eingefleischten Staatsfeind – oder wie die Staatsanwälte
gerne sagen: „Feind unserer freiheitlichen Rechtsordnung?“
Wie sieht die Wirklichkeit aus?
Und jetzt kommt noch son idealer Rechtsgrundsatz. der mit der bundesrepublikanischen
Wirklichkeit nichts zu tun hat:
Das Schweigen eines Beschuldigten oder Angeklagten darf nicht gegen ihn verwendet
werden. Darf es nicht? Ist es in meinem Fall in Bezug auf die Lorenz-Entführung
nicht geschehen? Hat sich ein Richter oder Bundesanwalt bei mir (oder öffentlich)
entschuldigt, weil sie mir Unrecht angedeihen ließen?
Selbst wenn sie menschlich dazu in der Lage wären, sie dürfens aufgrund
ihrer politischen Logik nicht. Sie dürfen nicht ihre Fantasie bemühen,
um mögliche Alternativen von Geschehnisabläufen zu durchdenken. Sie
dürfens nicht.
Nach allen Regeln der juristischen Haarspalterei müssen sie Gründe
für die Haftfortdauer und Höchststrafen finden. So wills angeblich
das Volk. So wollen die Politücker, von denen sie unabhängig sein sollen.
Dafür werden sie bezahlt.
Wenn Sie nun wenigstens in meinem (vergleichsweise) Aufsehen erregenden Fall
Rechtsgrundsätze gelten ließen. Hunderttausende von Justizopfern würden
ebenfalls ihr volles Recht fordern.
Die Zeugen würden insgesamt länger im Knast verschwinden
als ich noch zu erwarten habe
Zurück zum B-Libi. Ich habe Sie, Herr Geus, Herr Wels, Herr Nöldeke,
Herr Bauer und Herr Weichbrodt lange genug beobachtet, um zu wissen, dass Ihre
Fantasie zu ausgetrocknet ist, um sie zugunsten eines Angeklagten zu bemühen,
für den Sie auch nicht die geringste Sümpati empfinden. Und das ist
durchaus gegenseitig.
Wer sagt Ihnen denn, meine Herren Richter, dass ich nicht zur fraglichen Zeit
mit Putzi von Opel in St. Tropez war? Etwa unter dem Aliasnamen Fritzi von Popel?
Das glauben Sie nicht. Ich auch nicht. Aber nehmen wir einmal an: der Teufel
war zur Zeit der Negerküsse in einer anderen westdeutschen Großstadt.
Etwa in Köln.
Als ich das letzte Mal eine Erklärung aus dem Hut zog, hab ich bereits meinen
Freund Leo erwähnt. In den Akten heißt er Werner Sauber. Die Akten über
Leo sind geschlossen. Sein Beispiel bleibt. Wäre Leo nicht abgeknallt worden,
er könnte neben mir auf der Anklagebank sitzen oder wir beide wo anders.
Leo braucht keine Alibis mehr nachzuweisen.
Nehmen wir einmal an: Nach Leos Tod, nach der Kündigung im Presswerk und
dem Intermezzo im Bochumer Studentenheim war ich in Köln. Versteckt. Im
wahrsten Sinne des Wortes. Arbeitslos. Kein Kollege. Kein Nachbar, der sich an
mich erinnern könnte. Es waren ja auch nur noch etwa vier Wochen. Ab und
zu irgendwie eine Begegnung mit Genossen. die mich unterstützt haben. Oder
mit ebenfalls steckbrieflich Gesuchten. Was hätte es für einen Zweck,
Namen zu nennen von Leuten, die als mutmaßliche Terroristen gelten oder
wegen der Unterstützung von mir und anderen Gefahr liefen, für Monate
und Jahre im Gefängnis zu verschwinden wie Waltraud Siepert, Eberhard Dreher,
Chrislina Dömeland, Erard Österreich und viele andere. Nehmen wir einmal
an: ich habe auch noch einen Abstecher nach Frankfurt gemacht und bin von dort
Mitte August nach Berlin geflogen.
Und noch eine Bemerkung zu Fingerabdrücken: Soweit ich mich erinnere, ist
es nicht unmöglich, dass überall dort, wo Fingerabdrücke von mir
gefunden worden sein sollen, tatsächlich auch ich sie verursacht habe. Um
so mehr, als sich diese Fingerabdrücke meistens auf beweglichen Gegenständen
fanden. Es ist aber merkwürdig, dass die Kölner Polizei meine Fingerabdrücke
nicht entdeckt hat in der Wohnung, in der Leo unter dem Namen Tangermann gewohnt
hat und in der ich mich noch am Tage von Leos Tod – besuchsweise – aufgehalten
habe.
Hat das BKA Entlastungsbeweise verschwinden lassen?
Hat der perfekte Staatsschutzapparat diese Fingerabdrücke nicht gefunden
oder hat man sie im Bundeskriminalamt verschwinden lassen? In irgendwelchen Bei-Akten,
da sie nicht passend zu den für die Erfolgs-Statistik günstigeren Gruppentheorien?
Ich weiß es nicht.
Ausschließen kann ich auch nicht, dass die Fingerabdrücke von Ralf
Reinders auf einer Bierflasche zwar echt sind, die Bierflasche selbst aber von
einem ehrgeizigen Staatsschützer von irgendeiner konspirativen Wohnung,
in der sie keinen besonderen Beweiswert gehabt hätten, in das mutmaßliche
Lorenz-Versteck gebracht wurde, wo sie zum einzigen Beweismittel gegen Ralf Reinders
wird.
Wer kontrolliert den Staatsschutz? Wer kontrolliert ehrgeizige Polizisten, Staatsanwälte,
Richter? Wer? Die Öffentlichkeit. Und wie sieht die Öffentlichkeit
aus? Sagen wir mal: beschissen ist gar kein Ausdruck. Die öffentliche Meinung
wird von Besitzern der Produktionsmittel gemacht. Die herrschende Meinung ist
die Meinung der Herrschenden. Unter diesen Umstanden die Wahrheit so zu sagen,
ist eine Kunst, die an Zauberei grenzt.
Und entsprechend schief liegt das Gericht mit seiner Einschätzung (letzter
Satz des Haftbefehls vom 11. Juni 1980) „Es ist somit zu erwarten, dass
er im Fall einer Freilassung sofort wieder in den Untergrund gehen und sich dem
Strafverfahren entziehen würde.“
Ich bin doch kein Idiot, der sich ohne zwingende Notwendigkeit immer wieder in
den Untergrund begeben würde. Tatsächlich habe ich mich in meinem gefängnisreichen
Leben dreimal illegalisieren lassen müssen.
Das erste Mal habe ich Auflagen missachtet, als mein Haftbefehl wegen schweren
Landfriedensbruches am 2. Juni 1967 Mitte August 1967 außer Vollzug gesetzt
wurde. Ich hätte Berlin nicht verlassen sollen. Anlässlich einer Protest-Aktion
im Rathaus Schöneberg wurde ich ein paar Wochen später nach einer Frankfurt-Reise
erneut in Haft genommen und nach fünf Monaten U-Haft und einem Monat vor
dem Freispruch im Prozess aus der Haft entlassen. Das war der Beginn meiner Bekanntschaft
mit deutschen Knästen, die weiterging nach der allen Knackis vertrauten
Melodie: „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst ...“ Allerdings ist
das Knastgeschirr inzwischen aus Porzellan oder Plastik.
Treten sie ab! Nach rückwärts in die Geschichte.
Leider bin ich auch auf diesem Gebiet nur ein Lehrling. Deshalb bin ich auch
von Herrn Geus und von Wolfgang Grundmann von der taz und anderen Leuten falsch
verstanden und überschätzt worden, als ich ankündigte, dass ich
meinen Hut wieder mitbringe, um eine Erklärung zur Frage meiner Beteiligung
an den Negerkussparkassenüberfällen hervorzuziehen. Das war aber nicht
die Ankündigung eines Alibis. Vielmehr habe ich mich bemüht zu zeigen,
was ein B-Libi ist.
Allerdings muss mensch sich fragen: Wie vereinbaren es Richter mit ihrem Gewissen,
Haftbefehle aufrechtzuerhalten, wenn sie selbst ernsthaft mit der Möglichkeit
eines Alibis rechnen, wie beispielsweise Herr Geus in der letzten Woche in der
Hauptverhandlung deutlich zu verstehen gab? Und auch Dr. Wolldecke hat sich verraten:
Wenn es da Zeugen gäbe, dann möglichst rasch benennen, schließlich
sei die Frage der Haft dann neu zu prüfen. Vielleicht bereitet es auch Verdruss,
wenn man dauernd das fertige Urteil unterschreiben muss.
Ist die Frage der Haft nicht auch zu prüfen im Zweifelsfall? Schämen
Sie sich nicht? Warum schämen Sie sich nicht?
Um das zu verstehen, muss man wohl Jurist sein, deutscher Staatsschutzjurist.
Herr Königlich-Preußischer Kammergerichtsrat Geus, treten Sie ab!
Nach rückwärts in die Geschichte. Befassen Sie sich mit Verkehrsdelikten
oder Ehescheidungen.
Ich gebe dem Gericht und der Öffentlichkeit einen guten Tipp: Ich bin nicht
der einzige Angeklagte in diesem Prozess und schon gar nicht der einzige Gefangene
in diesem Land. Es ist nicht gut, wenn sich alle Alibi-Erwartungen und Unschulds-Vermutungen
auf meinen Hut konzentrieren.
Von den – grob geschätzt – sechzigtausend Gefangenen In der
BeErDr und Westbärlin könnten bei korrekter Anwendung der Gesetze dreißigtausend
sofort nach Hause gehen. Für die restlichen dreißigtausend brauchen
wir bessere Gesetze und eine demokratischere Justiz.
Der neue Haftbefehl gegen mich, dieses Spitzenprodukt juristischer Kunstfertigkeit
wird sozusagen gekrönt durch eine Aussage über mich, die die Wahrheit
ein bisschen zu arg ignoriert:
„Er hat sich in seinen Einlassungen wahrend der Hauptverhandlung bis zuletzt
zu den Zielen der Bewegung 2. Juni bekannt.“
Welches sind denn die Ziele der „Bewegung 2. Juni“? Und wer ist überhaupt
die „Bewegung 2. Juni“? Ich habe niemals behauptet, ich sei Mitglied
der Bewegung oder „Gefangener aus der Bewegung 2. Juni“. Nach meinem
politischen Selbstverständnis bin ich viel mehr (mehr oder minder isolierter)
Teil der revolutionären Bewegung in den Metropolen insgesamt – so
verwaschen sich das im Hinblick auf die gerichtliche Verwertbarkeit und die Zwecke
des linken Vereinsiebens anhören mag – wer schon aus dem SDS rausgeflogen
ist wie ich, eignet sich nicht für irgendwelche noch weitaus sektiererischen
und elitäreren Vereine als den damaligen SDS.
Und auch diesem Gericht müsste doch bekannt sein, dass erst vor kurzem in
einem anderen Parallelverfahren vor einem anderen Strafsenat des Kammergerichts
die Angeklagte Gabriele Rollnik eine Erklärung verlesen hat, wonach sich
die „Bewegung 2. Juni“ „zum letzten Mal“ zu Wort meldet,
sich mit einem anti-imperialistischen Hurra in die RAF auflöst und sich
unter anderem von mir und meinem Konzept Spaßgerilja distanziert. Zu dieser
Auflösung gibt’s inzwischen einen lesenswerten Kommentar von dreien
meiner Mitgefangenen. Andere haben sich als Bewegung 2. Juni zu einem Anschlag
aufs Kreuzberger Rathaus bekannt – was mich betrifft, so habe ich auch
dafür ein Alibi.
1969 habe ich eine Ladung zum Strafantritt missachtet, als ich zehn Monate absitzen
sollte einer zusammengezogenen Strafe wegen folgender drei Delikte:
1. Verletzung der Bannmeile vorm Rathaus Schöneberg anlässlich des
bereits erwähnten Go-Ins, das im September 1967 zu meiner Wiederfestnahme
führte: Fünf Monate Knast.
2. Störung des Gottesdienstes in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
als Protest gegen die Behandlung des Vietnamkriegsgegners Dutschke, Heiligabend
1967 in derselben Kirche. Ein antikommunistischer Rentner hatte Rudi mit seinem
Krückstock auf den Kopf geschlagen. An Sylvester hat der zuständige
Gemeindepfarrer die Kirche mit Polizeigewalt räumen lassen, weil ihm Kunzelmann
als Kanzel-Mann zuviel war. Mit Knüppeleinsatz wurde die Kirche geräumt
und es gingen dabei Stühle zu Bruch. Derselbe Pfarrer hat auch im Januar
1980 die Polizei geholt, als aus Protest gegen die Belegung des Moabiter Hochsicher-Heiztraktes
die Kirche vorübergehend besetzt wurde. Für Sylvester 1967 sollte ich
auch fünf Monate sitzen.
3. Unerlaubtes Abbrennen von Feuerwerkskörpern im Gerichtssaal in Tateinheit
mit Beleidigung des Vorsitzenden Richters (des ehemaligen NSDAP-Parteigenossen
Brandt) anlässlich des Prozesses gegen einen Genossen, der sich an einer
Protestaktion in einem Kudamm-Kino gegen den rassistischen Film „Africa
Addio“ beteiligt hatte: dafür zwei Monate. Die Gesamtstrafe fiel dann
1970 unter die inzwischen verkündete Demonstrations-Delikte-Amnestie, die
der sozialliberale Osterhase den lieben Kleinen von der APO beschert hatte, was
leider meiner Verurteilung in einem fragwürdigen Münchner Indizienprozess
wegen missglückter Brandstiftung im Münchner Amtsgerichtsgebäude
nicht im Wege stand. Dafür kassierte ich zwei Jahre Knast. Beisitzender
Richter war damals übrigens der heutige Vorsitzende Im Zlof-Prozess.
Ich werde mich nicht mehr so einfach illegalisieren lassen
Meine dritte und schwerwiegendste Illegalisierung geschah im August 1973. Nach
meiner Entlassung aus Landberg im Juni 1972 wars für mich naheliegend, mich
besonders intensiv um das Schicksal meiner persönlichen Freunde zu kümmern,
die zu einem großen Teil im Knast verschwunden waren oder mich bei meiner
Entlassung von den Fahndungsplakaten wissend anschauten. Sie wussten nämlich,
dass mir ihr Schicksal nicht gleichgültig sein durfte. Wer einmal Im Gefängnis
war oder den „quälenden Zustand der Illegalität“ (wie es
Karl Retzlaff nannte, der als Kommunist in der Weimarer Zeit fünf Jahre
Illegalität durchgehalten hat – eine Leistung, die man durchaus mit
der des Mitangeklagten Reinders vergleichen kann) erlebt hat, der darf seine
Genossen, such wenn er wieder frei und legal ist, nicht vergessen und nicht im
Stich lassen. Ungeachtet alle möglichen politischen Differenzen und ungeachtet
aller persönlichen Entfremdung hab ich versucht, das im Hinterkopf zu behalten
in der Knast-Hilfe-Gruppe in München. Das werde ich weiter tun. Und ich
werde es den Herren des Morgengrauens nicht mehr so einfach machen, mich zu illegalisieren
wie im August 1973. Damals erging Haftbefehl und ich erschien auf dem Fahndungsplakat
der 16 meistgesuchten mutmaßlich bewaffneten anarchistischen Gewalttäter
vom BKA, weil folgendes gegen mich vorlag:
Ich soll eine kriminelle Vereinigung unterstützt haben, indem ich Ralf Reinders
und Ingrid Siepmann bei einem Rolf Putnik, genannt Wenzel, in München für
eine Nacht Quartier erbat. Ich soll die Gefängnismauer in Aichach mit unflätigen
Parolen besprüht haben. Im August 1973 habe ich mit über den Daumen
gepeilt zwei Jahren Knast rechnen müssen. Dies war mir im August 1973 zuviel.
Schließlich hatte Ich gerade zwei Jahre Knast hinter mir.
Hätte ich geahnt, was mir bevorstand, vielleicht hätte ich mir im August
1973 die Sache gründlicher überlegt. Um aber meine Ankündigung
wahr zu machen: Ich, Fritz Teufel, war an Vorbereitung, Planung und Durchführung
der Sparkassenüberfälle vom 30. und 31. Juli 1975 nicht beteiligt.
Und jetzt folgt vollkommen überraschend für alle Prozessbeteiligten
mein Geständnis, ich war in der fraglichen Zeit rauschgiftsüchtig und
auf dem Trip. Shit und LSD taten mir nicht weh. Aber ich hab auch schon ein-
oder zweimal den falschen genommen. Fixer sind meine unglücklichen Brüder.
Ich war zu dieser Zeit nicht in Berlin. Übrigens hat die Hauptverhandlung
ergeben, dass keiner der hier Angeklagten im unmittelbaren Zusammenhang mit diesen Überfällen
zweifelsfrei erkannt wurde und dass somit von Rechts wegen alle freigesprochen
werden müssen. Auch erhebt sich die Frage, ob Bundesanwälte und Richter
auf drei zählen können. Ergebnis der Beweisaufnahme war, dass die Negerkussverteilungen
jeweils von zwei Männern und drei Frauen ausgeführt wurden. Trotzdem
hat die Bundesanwaltschaft in ihren Blödojes für drei männliche
Angeklagte jeweils zehn Jahre gefordert, als Einzelstrafen für die Negerküsse,
nämlich für Reif Reinders, Andreas Vogel und mich. Wenn diese Logik
eine ist, dann die des Beweisnotstandes. Bei aller Selbstkritik halte ich mich
für einen wahrheitsliebenden Menschen – und wenn ich von Liebe rede,
mein ichs immer auch erotisch – ich hab ein erotisches Verhältnis
zur Wahrheit.
Ich bin schon häufig falsch verstanden worden. Ich irre mich oft, ich habs
im Gegensatz zu Politückern, Richtern und Staatsanwälten nicht nötig,
zu lügen.
Bitte an meine Todfeinde: Suchen sie die Zeugen
Es ist der Bundesanwaltschaft mit Unterstützung der Medien gelungen, Zeugen
aufzutreiben (mindestens zwei, die in verschiedenen Fasen des Verfahrens mich
im Zusammenhang mit der Lorenz-Entführung gesehen haben wollen. Zu einer
Zeit, als ich nachweislich nicht in Berlin sein konnte. Und diese Zeugen wurden
sehr ernst genommen. Nicht nur von Herrn Widera. Deshalb die Bitte an meine Todfeinde
vom BKA und der Bundesanwaltschaft, an Axel Springer und Eduard Zimmermann: Lasst
Euren Apparat spielen! Helft mir, unverdächtige Zeugen aus dem Volk zu finden,
die bestätigen können, dass ich mich in der letzten Juli- und der ersten
Augustwoche, und auch am 30. und 31. Juli 1975 in Köln aufgehalten habe!
Oder soll ich alles alleine aus’m Hut ziehen? Das Gericht hat sich einmal
blamiert und meint vielleicht, das Schlimmste wär überstanden. Das
Gericht hat sich einmal getäuscht und ich wünsche den Herren weiterhin
viel Vergnügen ... Bei der Gelegenheit, Herr Völz, will ich eine ihrer üblichen
Unverschämtheiten zurückweisen, wozu ich in der Hauptverhandlung keine
Gelegenheit erhielt. Herr Geus liebt keine Dialoge. Er weiß, dass berufsmäßige
Redner, so bald ihnen das Wort erteilt wird, zu schwafeln anfangen, so dass Angeklagte
in Prozessen mit Überlänge am Ende Gefahr laufen, sich diesem idiotischen
Diskussionsstil anzupassen. Auch dies als Selbstkritik.
Jedenfalls hat Herr Völz – ich nahm die Unverschämtheit zurück – die
Geistesgegenwart und Kühnheit besessen, auf den Einsturz seiner juristischen
Kongresshalle aus Staatsschutz-Flunker-Steinen zu reagieren, indem er mir unter
anderem vorwarf, ich habe bei alten Haftprüfungen geschwiegen, beharrlich
und verstockt und zu alten Anklagepunkten geschwiegen und allenfalls die Frage
auf Äußerungen von mir mit der Formel „Nein Danke, Herr Franke!“ beschieden.
Dass ich bei Haftprüfungen immer wieder auf die Haltlosigkeit der Vorwürfe
gegen mich hingewiesen habe, dass ich Richtern und Staatsanwälten ihre Blamage
angekündigt habe, dass sich mein damaliger Rechtsanwalt Spangenberg den
Mund fusselig geredet hat, ist Ihnen allerdings entgangen. Und ist auch in den
Protokollen der Haftprüfungen nicht festgehalten worden. Über das Protokoll
bestimmt der Haftrichter genauso diktatorisch wie Herr Geus in der Hauptverhandlung.
Ich sah das sie Beweismittelvernichtung von Amts wegen. Alle Anträge auf
Tonbandprotokoll sind abgelehnt worden. Herr Völz war bei den Haftprüfungen
zwar nicht zugegen, aber er hätte dabei genauso geschlafen wie seine Kollegen
und weiß auch genau wie Protokolle zustande kommen. Meine Äußerungen
sind also Herrn Volz und anderen entgangen, was kein Wunder ist, weit sie ja
nicht zuhören weil sie denken, dass andere Leute sich genau wie Herr Völz
ständig einer nichts sagenden, hohlen Rhetorik bedienen. Arme Redekunscht!
Manchmal mögen Sie sogar Recht haben, aber in unserem Fall hatte es sich
schon gelohnt, unsere Äußerungen bei Haftprüfungen, unsere schriftlichen
und publizierten Äußerungen und unsere Äußerungen in der
Hauptverhandlung zur Kenntnis zu nehmen, die zu einem großen Teil gar nicht,
verfälscht oder ins langweilige Schema der Terrorprozessberichterstattung
eingepasst, wiedergegeben wurden, nach dem Schema:
84 Tausend Zeugen
700 Bände Akten
50 Verteidiger
10 Millionen Umbaukosten
Schwere und schwerste Verbrechen
Angeklagte im wesentlichen überführt
erdrückende Beweislast
Schuld soll nur noch einmal öffentlich vorgeführt werden
natürlich kein Schauprozess
streng rechtsstaatliche Prinzipien
Angeklagte beschimpfen Gericht und Bundesanwälte
Gericht lässt Saal räumen
Morddrohung gegen blinde Nichte des Polizeipräsidenten – Baader Meinhof
am Werk?
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