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Auflösungspapier Bewegung 2. Juni
2. Juni 1980
Das Auflösungspapier wurde 1980 während des Prozesses in Berlin
wegen Lorenz und Palmer von den drei Frauen aus der Bewegung 2. Juni, Gaby Rollnik,
Angelika Goder und Gudrun Stürmer verlesen. Der Mitangeklagte Klaus Viehmann
distanzierte sich sofort von diesem Papier. Zeitgleich wurde die Erklärung
in der taz veröffentlicht.
Die Auflösungserklärung war der Endpunkt eines schon über Jahre
andauernden Entfremdungs- und Spaltungsprozesses der Bewegung 2. Juni. Diese
Auseinandersetzung begannen 1976 und hatten ihren Höhepunkt in der kontroversen
Debatte und politischen Einschätzung der Flugzeugentführung von palästinensischen
Gruppen und Teilen der RZ im Sommer 1976. Die Maschine wurde in Entebbe durch
ein israelisches Kommando gestürmt und alle an der Entführung Beteiligten
wurden erschossen.
Nach zehn Jahren bewaffnetem Kampf wollen wir unsere Geschichte kritisch reflektieren
und erklären, warum wir heute sagen: Wir lösen die Bewegung 2. Juni
als Organisation auf und führen in der RAF – als RAF – den antiimperialistischen
Kampf weiter.
Die Bewegung 2. Juni hat sich als Widerspruch zur RAF gegründet, mit der
unklaren Bestimmung, „spontane proletarische“ Politik zu machen.
Wir haben die revolutionäre Theorie, die Analyse der Bedingungen – aus
der heraus die Strategie und Taktik, die Kontinuität und Perspektive des
Kampfes erst entwickelt werden kann – für unwichtig gehalten und „drauflosgekämpft“,
mit dem Ziel, die Jugendlichen anzutörnen, und so haben wir auch unsere
Praxis nach der Frage – was törnt an – bestimmt und nicht nach
der Frage, wo sind die wirklichen Widersprüche, die Fraktionen in der imperialistischen
Strategie, die wir angreifen müssen.
Die Bewegung war eine vermeintliche Alternative zur RAF als eine Möglichkeit
derjenigen Genossen, denen der kompromisslose Kampf zu weit ging.
Das hat zehn Jahre lang Spaltung, Konkurrenz und Desorientierung unter den Linken
und auch in der Guerilla produziert und es hat auch unseren eigenen revolutionären
Prozess behindert.
So haben wir mit unseren Aktionen auf der populistischen Linie operiert, ohne
die politische Orientierung zu geben, ohne eine Mobilisierung gegen die Strategie
der Schweine zu schaffen.
Es ist nie die Aufgabe der Guerilla, sich der Bevölkerung gefällig
zu zeigen, um ihren Beifall zu bekommen, sondern – in einem Land, in dem
der Nazi-Faschismus und die vom US-Imperialismus eingebundene Sozialdemokratie
die Arbeiterklasse um jede proletarische Organisation gebracht haben – die
vorderste Front zu sein, die zentralen politischen Widersprüche durch den
bewaffneten Angriff zu eskalieren, um den Staat in die politische Krise zu treiben.
Was die Guerilla in der Metropole nur sein kann: der politische Sprengstoff im
imperialistischen Gefüge, der Angriff, der den Riss zwischen Gesellschaft
und Staat zum Bruch – also revolutionäre Politik – entwickelt,
indem Mobilisierung proletarische, antiimperialistische Organisierung wird und
das politische Kräfteverhältnis für uns kippt.
Der politische Angriff, materialisiert durch die Waffe, bleibt immer ein Sieg,
selbst da, wo die Operation militärisch geschlagen wird, weil er diesen
Prozess antizipiert und einleitet.
Diese Kontinuität der Guerilla ist in ihrer Strategie zu finden, trotz schwerer
militärischer Niederlagen.
Und das ist auch der Unterschied von Schleyer und Lorenz. Wir können heute
unsere wichtigste Aktion getrost kritisieren. In ihr sind alle Fehler zu finden,
die wir zehn Jahre lang gemacht haben und aus denen wir gelernt haben.
Die Befreiungsaktion 1975 in Berlin ist in einer politisch zugespitzten Situation
gelaufen. Der Kampf der Stammheimer Genossen hatte eine nationale und internationale
Mobilisierung geschaffen, die durch den großen HS (Hungerstreik) auf den
Höhepunkt gebracht und von Schmidt kaum noch zu verkraften war. Diese Situation
haben wir nicht nur völlig ignoriert, sondern sie über die Auswahl
der Gefangenen auch politisch gekippt.
Darin und in dem Typen – aus einer Partei, die für die imperialistische
Strategie nur noch eine untergeordnete Bedeutung hat – lag statt Strategie
das Kalkül. In unserer propagandistischen Arbeit zu und nach PL (Peter-Lorenz-Aktion – die
Redaktion) war uns der kurzfristig errungene Sieg – das konsumierbare Ritual
wichtiger, als das politisch militärische Niveau zu erkämpfen, das
die imperialistische Strategie bricht. Darin ist auch die Wurzel der pervertierten
Spaßguerilla von Reinders, Teufel etc. zu finden. Die Offensive der RAF
1977 und die Reaktion des Staates hat letztlich auch uns neu vor die Frage der
politischen Strategie gestellt.
1977 ist ein Einschnitt sowohl in der Entwicklung der imperialistischen Strategie
als auch in der Bestimmung der Metropolenguerilla. Seit dem Massaker in Mogadischu
und Stammheim hat Schmidt Westeuropa – unter der Führungsrolle der
BRD – die politische Bestimmung gegeben:
Projekt und Modell das Imperialismus in der Krise gegen die Befreiungskämpfe
in der 3. Welt und in der Metropole Westeuropa.
Der bedingungslose Einschluss Westeuropas in die US-Militärstrategie und
die Militarisierung der Metropolenstaaten nach Innen über einen tendenziell
einheitlichen Apparat ist die Reaktion der Imperialisten auf die zunehmende Gleichzeitigkeit
der revolutionären Kämpfe weltweit.
Die revolutionäre Strategie internationalisiert sich, indem die antiimperialistischen
Gruppen den Hauptfeind USA und das Projekt Westeuropa erkennen. Die USA und ihre
Komplizen wissen, dass ihre nächste strategische Niederlage in irgendeiner
Region der Welt sie auf das Gleis der endgültigen Niederlage bringt. Die „Nach-Vietnam-Ära“ – also
der Versuch, aus der Defensive nach der politisch-militärischen Niederlage
des US-Imperialismus in Vietnam politisch-ökonomisch wieder zur Strategie
zu kommen – ist im Iran – nach der Kette von Angola bis Kampuchea – zusammengebrochen.
Die imperialistische Politik sucht jetzt militärisch die Lösung, die
sie nicht erreichen kann und kommt so – in der Vorbereitung totaler Vernichtung
auf den nackten Begriff ihres Inhalts. Die erneute, und dann wohl letzte Entfesselung
des Krieges in Europa, der von vornherein als Atomkrieg konzipiert ist, verhindert
werden. Das Theorem des „begrenzten Krieges“ kommt in dieser Perversion
zu einer neuen Variante.
Die Kriegsvorbereitungen zielen nicht auf die Aufteilung der Welt unter imperialistischen
Kontrahenten. Ihr Inhalt ist Revolution oder Konterrevolution – und so
der Abschnitt der Konfrontation, an dem die Entscheidung laufen wird.
Diese Entscheidung in der internationalen Konfrontation wird letztlich in den
Metropolen laufen, weil sich die siegreichen, zum Staat gewordenen Befreiungsbewegungen
der 3. Welt notwendigerweise solange im Ost-West-Widerspruch konsolidieren müssen,
solange die imperialistischen Zentren diese militärisch und über die
Abhängigkeit vom Weltmarkt erpressen können.
Es ist der Inhalt des ganzen weltrevolutionären Prozesses – Zerschlagung
des Staates, Selbstbestimmung, Identität – der in der Metropole im
Kampf um Kommunismus in den letzten Jahren der Auseinandersetzung seine besondere
Reife und Brisanz bekommen hat – sich jetzt materialisiert – oder
gar nicht.
Dies ist die Frage an die ganze Linke in Westeuropa, ob sie in dieser eskalierten
Situation, in der – so oder so – eine Entscheidung fallen wird, ihre
historische Aufgabe wahrnimmt oder sie verraten wird.
Einheit im antiimperialistischen bewaffneten Kampf
Zum letzten Mal: Bewegung 2. Juni
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