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Notgroschen der Revolution – „Banken“ der
Bewegung 2. Juni
2000 – von Klaus Viehmann aus dem Buch „Va Banque“
„Hohe Werte im volkswirtschaftlichen Kreislauf müssen vor rechtsbrecherischem
Zugriff gesichert werden, weil vielfach extreme und radikale Gruppen ihre unlautere
Tätigkeit auf dem Wege von Einbruch und Überfall finanzieren.“
(Sicherheitsplanung für Geldinstitute, 1996)
Der „volkswirtschaftliche Kreislauf“ lässt viele wie im
Hamsterrad rotieren, während wenige sich dumm und dämlich verdienen:
Ein unsoziales System, das nicht zufällig auf den Unwillen der Armen und
den Widerstand „extremer und radikaler Gruppen“ stoßen kann.
Politik kostet Geld – militante Politik kostet mehr Geld. Nur der geworfene
Stein ist kostenlos, auch der Molli hängt kaum vom Spritpreis und dem der
Pfandflasche ab. Utensilien zum Fälschen von Papieren sind schon teurer,
illegale Wohnungen und Autos erst recht. Deshalb standen schon die Anfang der
siebziger Jahre entstandenen Stadtguerillagruppen wie eigentlich die gesamte
Linke vor der Frage: Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld?
Wichtig bei der Beantwortung dieser Frage war, dass – im Gegensatz
zur kapitalistischen Normalität – für Geld niemand dran glauben
sollte. Die Methoden verzweifelter oder schlicht dummer und rücksichtsloser
Diebe und Räuber, die einfachen Leuten die Dreizimmerwohnung durchwühlen
oder einen Kioskbesitzer für ein paar Mark halb totschlagen, kamen auf keinen
Fall in Frage. Denn da werden keine Kronjuwelen gejagt, da geht es um Glasperlen.
Da wird nicht das System in Frage gestellt, da soll sich lediglich in seinem
Rahmen persönlich bereichert werden, eine armselige Spiegelung der herrschenden
Habgier.
Der alte Werbeslogan „Geldprobleme? Fragen sie ihre Bank!“ legte
nahe, sich irgendwie an ein Geldinstitut zu wenden ... Geldtransporter zu überfallen
hätte ein hohes Risiko von Schießereien mit sich gebracht, auch Überfälle
auf einzelne Geldboten konnten schnell in einen heftigen körperlichen Kampf
ums liebe Geld ausarten. „Gewaltfreie“ Beschaffungsmethoden wie zum
Beispiel Scheckfälschung kamen nicht in Frage, weil sie zuwenig Bargeld
einbrachten. Banküberfälle blieben somit das Mittel der Wahl gegen
die chronische Unterfinanzierung linker Aktivitäten und sie waren vor 20,
25 Jahren sicher die häufigste bewaffnete Aktion.
Es gab übrigens keine politische Aktionsreihenfolge, dass der Überfall
auf eine Bank die Steigerung der eingeworfenen Bankscheibe gewesen wäre.
Banküberfälle wurden einfach wegen dem Geld gemacht – selbst
wenn die unvermeidlich mitklingenden politischen Botschaften gerne mitgenommen
wurden: Umverteilung von oben nach unten, subversiv ohne Lohnarbeit und Ausbeutung
zu Geld kommen und die einträglichen Möglichkeiten von Militanz zu
demonstrieren.
Die öffentliche Verurteilung der „Terroristen“ stand oft
im Widerspruch zur versteckten Bewunderung ihres Mutes und ihrer behaupteten
Perfektion. Und so gesichtslos wie sie alle auftreten mussten, so total konnten
sie medial verzerrt werden, so sehr eigneten sie sich als Projektionsflächen.
In der Hinsicht unterschieden sich „Terroristen“ nicht von den normalen
Bankräubern. Politische Banküberfälle fanden aber eine viel größere Öffentlichkeit,
selbst wenn sich der Ablauf nicht von dem üblicher Banküberfälle
unterschied. Die Unterschiede lagen woanders: Politische BankräuberInnen
eigneten sich das „abgehobene“ Geld nie privat an und es landete
nie in Konsumtempeln oder bei Luxusreisen. Die anonymen AkteurInnen in den Banken
waren keine überschuldeten Arbeitslose oder verzweifelte FamilienernährerInnen,
sie waren überzeugte Linke, die auch sonst ihr Auskommen gehabt hätten.
Der Unterschied zu anderen Linken in der BRD war, dass die sich nicht mit Bankraub
befassten – was für den kläglichen Kassenstand ihrer Projekte
sicher mitverantwortlich war.
In Stadtguerillagruppen agierten tatkräftige HandwerkerInnen, ideologiefeste
StudentInnen, nervöse stoischere Charaktere, last not least Männer
und Frauen. Die wenigen BankräuberInnen in der BRD-Geschichte waren sicher
zu 90 Prozent Frauen aus der Stadtguerilla.
Jede Aktionsform erfordert offensichtlich ihren speziellen Mut und eine spezielle
Art der Gelassenheit, denn nicht alle GenossInnen waren fähig eine Bank
zu machen: „Eine Bank zu machen“ oder noch schlichter: „Banken“ – was
man mit denen machen wollte, war eh klar -, war die damalige Ausdrucksweise,
nie wurde davon gesprochen, eine Bank zu überfallen oder zu berauben. Manche,
die bei anderen Anlässen ihren
Mut bewiesen hatten, bekamen hier zittrige Knie und fahrige Hände. Umgekehrt
gab es sehr souveräne Bankräuber, die ein vergleichsweise harmloser
nächtlicher Autoklau völlig nervös machte, weil sie nachtblind
waren und hinter jeder Ecke einen Bullen vermuteten. Und jemand, der bei einer
Enteignungsaktion schreckhaft ein im Durchzug zufällig zuklappendes Fenster
ins Visier nimmt, sollte seine militante Karriere lieber aufgeben und wieder
unbewaffneten Projekten nachgehen – eine Entscheidung, die alle nicht kugelfesten
GenossInnen nachhaltig unterstützen werden ...
(Von ganz anderen, auffällig mackerhaften und selbstdarstellerischen
Figuren, die ohnehin ein Risiko für alle bewaffneten Aktionen sind, sei
hier nicht die Rede.)
Wenn nach einer „Bank“ „professionell geplant“ in
den Zeitungen stand und der unvermeidliche Pressesprecher der Polizei abends
in der Tagesschau die „bisher ergebnislose Fahndung“ verkünden
musste, war da viel Wahres dran. Banküberfälle wurden anfangs wirklich
sehr gründlich vorbereitet – denn die erste „Bank“ ist
immer die schwerste. Das „professionelle“ war dann Resultat einiger
Erfahrungen und späterer Abgebrühtheit.
Zu Beginn der Stadtguerillaerfahrung brauchte man noch Wochen, um eine geeignete
Bank zu finden, die benötigten Informationen über das Innere, die Kassenboxen
und die Türen zu gewinnen sowie die Autos zur Flucht zu klauen. Noch länger
hatte es zuvor schon gedauert, sich Waffen zu besorgen. Nach der zweiten oder
dritten „Bank“ reichte eine knappe Woche Vorbereitung, in der ein,
zwei Leute eine geeignete Filiale aussuchten, nachsahen, wann die Müllabfuhr
auf der Fluchtstrecke arbeitete (auf der Flucht in einer schmalen Straße
hinter einem Müllauto im Stau zu stecken, erlebt niemand gerne öfter
als ein Mal) und zwei Autos klauten oder mit falschen Papieren mieteten. Ein,
zwei weitere GenossInnen kamen am Tag vor der Aktion dazu, wurden eingewiesen
und am nächsten Morgen fuhr man/frau vor, kassierte und zischte ab.
Die Regel, dass bei „Banken“ immer zwei „Erfahrene“ und
höchstens zwei „Neue“ mitmachten, gab ein Gefühl von Sicherheit,
was über das in Kollektiven tatsächlich übliche Sich-aufeinander-verlassen-können
noch hinausging. Die Rollenverteilung bei einer „Bank“ erfolgte auch
so, dass die Neuen wenig Unsinn anrichten konnten, feste Aufgaben hatten, die
sie nur durchziehen mussten. Eine typische Neulingsrolle war Fahren, also vor
der Bank im Auto warten und den Bullenfunk abhören, auf die Hupe zu drücken,
wenn nach zwei, drei Minuten die Durchsage kam: „Ausgelöster Alarm
Bankfiliale XY-Straße – alle verfügbaren Kräfte anfahren“.
Dann wussten die in der Bank, dass man sich allmählich trollen musste. Neulinge
konnten auch die Position in der Bank direkt hinter der Tür einnehmen um
zu verhindern, dass Kunden rausliefen und draußen „Überfall, Überfall!!!“ kreischten,
das hört sich nämlich schrecklich an und erzeugt vor der Tür kleine
Menschentrauben, durch die man/frau sich später mit Maskierung, klobiger
Kleidung, Geldtüte und gezückter Schrotflinte drängeln muss. Außerdem
hatte der/die an der Tür die Rolle, ahnungslos eintretenden BankkundInnen
nachdrücklich hereinzubitten, damit nicht durch eine lange offen stehende
Tür das klassische Bild: Kunde mit offenem Mund in ebenso offener Tür – Passanten
Einblicke in ein Geschehen erhalten, dass sie nur aus dem Fernsehen kennen (sollten).
Die beiden Erfahrenen hatten mit dem Verscheuchen der Kassierer aus den Kassenboxen
und dem Geldeinsammeln genug zu tun. Es einfach zu nehmen und in eine Tüte
zu stopfen, war selten möglich. Man sollte meinen, in einer deutschen Bank,
bei deutschem Kassenpersonal würde Ordnung herrschen. Weit gefehlt, nur
manche Geldbündel lagen ordnungsgemäß in der Geldschublade und
auf dem Zählbrett. Mehr wurde in diversesten Schubladen, in der Butterbrotdose
oder gar ganz unten im Papierkorb aufbewahrt – kein Wunder, dass man/frau
dazu überging, die ganze Kassenbox zu filzen und allen wertlosen Kram auf
den Boden zu kippen. In der Hektik konnte es geschehen, auf einen nun von einem
Papierstapel bedeckten Alarmknopf zu treten, was neben einem durchdringenden
Klingeln (damals gab es noch laute Alarmanlagen) ein mehrstimmiges „Das
war ich nicht!“ der Bankangestellten erzeugte. Trotz gewissenhaftester
Suche war die Geldsumme, die später am Küchentisch gezählt wurde,
gelegentlich geringer als die am nächsten Tag in der Zeitung genannte. Der
eine oder andere Kassierer wird sich auf den Schreck ein übersehenes Bündelchen
gegönnt haben.
Hartgeld wurde bis auf die obligatorische Münzrolle fürs Flippern
oder den Zigarettenautomaten immer liegengelassen, Gewicht und Wert standen auch
bei trainierten jungen Menschen in keinem Verhältnis. Kleine Goldbarren
große gab es leider nie -, Goldmünzen oder Blankoschecks wurden hingegen
gerne genommen. Es gab auch mal Pseudogeldbündel, die rundherum eine hübsche
Banderole, aber nur oben und unten einen echten Geldschein hatten, und sonst
aus weißem Papier bestanden. Wer es dem Kassierer überließ,
die Tüte zu füllen, bekam nur solche Schwindelpackungen und das im
halben Dutzend, selber einpacken war einfach besser. Neue Geldscheine mit durchlaufenden
Nummern wurden nicht wie in schlechten Krimis verbrannt, sondern in einem Beutel
angefeuchtet, gründlich geknüllt, getrocknet, gebürstet, gefaltet
und beim kleinen Einkauf im Kaufhaus gewechselt. Wenn ein Schein tatsächlich
ein paar Tage später bei der Landeszentralbank auffiel, war seine Herkunft
kaum nachvollziehbar und Fingerabdrücke auf dem Schein – zumindest
seinerzeit – nicht mehr feststellbar.
Und wenn tatsächlich mal registrierte Scheine bei einer Verhaftung oder
in einer fluchtartig aufgegebenen Wohnung gefunden wurden, dann belasteten sie
nur Genossinnen, die eh schon 15 Jahre Knast wegen ganz anderer Aktionen zu erwarten
hatten. In puncto Bankraub konnten sie nicht mehr bekommen und ganz ungeniert
auftreten.
Kunden und andere
Für den relativ sicheren Ablauf einer „Bank“ sorgte schon
die zahlenmäßige Überlegenheit im Kassenraum, drei Leute in einer
mittelgroßen Bankfiliale haben kaum ungedeckten Raum im Rücken und
Kunden kommen nur bei einzelnen Bankräubern in Versuchung den Helden zu
spielen. Demonstrativ gezeigte Bewaffnung und ein freundlichbestimmtes Auftreten
taten ihr Übriges. Die Bankangestellten machten sowieso keine Probleme,
denn sie hatten spätestens seit dem Münchener Desaster von 1971 die
Anweisung, das Geld zügig herauszurücken und eine Geiselnahme zu vermeiden.
Viele waren schon in den siebziger Jahren psychologisch geschult und machten
selten einen ängstlichen Eindruck. Manche starrten einen weisungsgemäß an,
um später eine „gute Personenbeschreibung“ abgeben zu können,
andere drückten erst dann auf den Alarmknopf, als man schon dabei war, die
Bank zu verlassen (so können die Bullen natürlich nie „rechtzeitig“ kommen – und
eine Schießerei auslösen). Die wenigsten waren so unklug, die Verfolgung
aufzunehmen.
Es gab Bankangestellte, die sich auf den Schreck pfiffigerweise krankschreiben
ließen, es gab aber auch mehr als glaubhafte Schocks. Ein alter Mann, der
beim Anblick einer nicht einmal auf ihn gerichteten Waffe panisch „Nicht
schießen!“ ausstieß, sah offensichtlich ganz andere Situationen
vor seinem inneren Auge. Ein Junge, der – unaufgefordert – die Hände
hob und verschreckt so erstarrte, hatte in diesem Moment sicher ein Erlebnis,
von dem er noch träumen würde. Solche Bilder brennen sich im Gedächtnis
der linken AkteurInnen ein und führen zu Überlegungen, wie sich die
Situation während einer „Bank“ entspannen lassen könnte.
Die Zeugenaussagen von Kunden und Angestellten tendierten oft ins Skurrile.
Manche beschrieben eine Kalaschnikow hartnäckig als „Spazierstock“ („Der
männliche Täter hatte auch einen“), oder eine abgesägte
Schrotflinte als „Knüppel“ – zum Glück versuchten
sie in ihrem Irrtum nicht, danach zu greifen. So ärgerlich es ist, von verwirrten
oder beeinflussten Zeugen fälschlich „wieder erkannt“ zu werden,
so grotesk ist es, wenn eine zugegebenermaßen nicht sehr groß gewachsene,
aber durchaus längst volljährige Genossin von gleich zwei Bankkundinnen
als „Kind“ erkannt wurde. In ersten Fahndungsmeldungen war wirklich
von einem „Pärchen mit Kind“ die Rede. Die Zeuginnen waren immerhin
irritiert, dass auch das „Kind“ eine Waffe in der Hand hatte.
Ungewöhnliches Berufsglück hatte ein Radioreporter, der bei einer „Bank“ unter
den Kunden war und sich anschickte, seinen Notizblock vollzukritzeln. Noch bevor
die Bullen in der ausgeräumten Bank eintrafen, war er auf dem Weg ins Funkhaus.
Der Moderator des Radiomagazins zerfloss fast vor Neid und Mitgefühl, als
unser rasender Reporter beschrieb, wie er „einer Terroristin“ Auge
in Auge gegenüberstand. Die Genossin hatte ihn aufgrund seines sonderbaren
Verhaltens wirklich besonders im Auge, sie hatte ihn aber keineswegs für
einen Journalisten, sondern für einen möglicherweise gleich abdrehenden
Patienten der nicht weit entfernten psychiatrischen Einrichtung gehalten, vor
dem das zweite Fluchtauto wartete.
Es wurden immer scharfe Waffen mitgenommen zur „Bank“. Zum einen
trugen „lllegale“ sie eh ständig bei sich, zum anderen waren
sie die „Sicherheitsreserve“, falls die Bullen doch mal zu früh
kommen sollten. Das war glücklicherweise bei den Aktionen der Bewegung 2.
Juni nie der Fall. Nur einmal betrat ein uniformierter Polizist zufällig
eine Bank, wurde aber von dem an der Tür postierten abgefangen und mit dem
Gesicht zur Wand gebeten, leider übersah er dabei die nicht offen, sondern
im Schulterhafter getragene Dienstwaffe. Zum Glück schoss der Bulle nicht
hinter dem abfahrenden Auto her; angeblich, weil er keine Unbeteiligten gefährden
wollte, tatsächlich wirkte es so, als hätte er vergessen durchzuladen
oder zu entsichern. Dem vernünftigen Glück, sich nicht in oder vor
einer Bank zu begegnen, wurde seitens der RäuberInnen durch zügige
Eile nachgeholfen, seitens der Bullen auch mal durch Trödelei und gespielte
Ver(w)irrtheit. Versessen darauf, einen armen mit einer Schreckschusspistole „bewaffneten“ Arbeitslosen
zu fangen, rasten sie los, sobald die erste Meldung eines laufenden Überfalls über
ihren Funk kam. Eifrig bestätigten „Südwest“, „Zeppelin“ und
wie sie alle hießen, der Einsatzzentrale, auf dem Weg zur Bankfiliale zu
sein. Aber nach dem „stummen“ Alarm kam ein Anruf eines Bankangestellten
aus dem Filialhinterzimmer mit einer ersten Beschreibung des Geschehens, der
ihren Eifer deut-lich bremste. „Zentrale an alle! Banküberfall XY-Straße:
Unbedingt auf Eigensicherung achten! Bei den Tätern handelt es sich um zwei
Frauen und einen Mann (den vor der Tür im Auto hatte der Anrufer nicht gesehen),
sind bewaffnet mit Maschinenpistolen!“ Bei so einer TäterInnen- und
Waffenbeschreibung war es seinerzeit auch begriffsstutzigen Streifenbullen klar,
dass sie es mit gleichwertig bewaffneten „Terroristen“ zu tun hatten.
Entsprechend bog eine heranrasende Streife vor der Filiale ab, um 500 Meter querab
per Funk um „erneute Einweisung“ zu bitten. Die Einsatzzentrale war
fassungslos, dass eine große Straße und eine gut als Bank beschilderte
Filiale nicht sofort gefunden werden konnten.
Das Geld
Auch wenn die AktivistInnen sparsam waren, kostete Stadtguerilla viel Geld.
Mitte der siebziger Jahre brauchte eine Gruppe von knapp zehn Illegalen um die
20.000 DM pro Monat nur für die laufenden Kosten. Vor Aktionen oder für
Ersatzmaterialien und -Wohnungen nach Fanhndungsverlusten war schon mehr fällig.
Arme Linke können sich das kaum leisten. Viel Geld landete bei Maklern,
Reisebüros, Wohnungs- und Autovermietern. Wer dringend eine ruhige Wohnung
sucht, nimmt sie zu fast jedem Preis, zahlt für eine wurmstichige Vitrine
zähneknirschend Abstand und kann die Mietkaution bei einer unsicher gewordenen
Bude schlecht zurückfordern. Flugreisen oder Bahnfahrten gab es auch nicht
umsonst und die Mietwagen, die so zuverlässig und unauffällig waren,
kosteten einiges. Geld verschlangen auch Druckmaschinen, Kopierer und Werkzeuge – Waffen
und Munition waren zwar an sich teuer, schlugen aber in der Gesamtrelation kaum
zu Buche.
Ein Teil des Geldes ging in den siebziger Jahren an linke Projekte. (Jugend-)Zentren,
Knastgruppen, Zeitungen, Buchveröffentlichungen, Stadtteilaktivitäten
und auch die Chile-Solidarität wurden von Banken und Sparkassen unfreiwillig
bezuschusst. Manche wussten nicht, wer ihre Spendendosen mit Hunderten voll stopfte – sie
sollten es auch nicht wissen, zu ihrem eigenen und der SpenderInnen Schutz. Manche
ahnten es und manche haben es gewusst; auch wenn sie später lieber behaupten,
sie wären schon immer gegen illegale Methoden gewesen. Das Geld haben sie
aber gut gebrauchen können.
Was bleibt?
Banküberfälle haben als linker Gelderwerb ausgedient und sind von
Lohnarbeit, Erbschaften, Stiftungs- und Staatsknete abgelöst worden. Das
ist legal und ungefährlicher für alle Beteiligten, aber auch viel gesellschaftskonformer
und weniger widerständig. Gemessen an der damaligen linksradikalen Praxis,
Bankenteignungen zu nutzen, wirkt es erstaunlich, wie sehr sie heute aus der
linken Mode gekommen sind. Geld aus Enteignungen zu nehmen prägt linke Politik
und Projekte vermutlich ebenso, wie das Hinterherlaufen hinter reichen Erben
oder Stiftungshanseln und das Ausfüllen von Antragsformularen. Anders formuliert:
Eine Linke, die geklautes Geld nutzt, hat sicher eine andere Haltung als eine,
die sich unbedingt legal finanziert. Die Abhängigkeiten sind andere, auch
die Einstellung zu staatlichen Stellen, zu reichen Leuten, zu etablierten Organisationen.
Banküberfälle konnten und können nie den gesellschaftlichen
Reichtum völlig umverteilen und auch nicht das Einkommen der „pauperisierten
Massen“ sichern, aber sie durchbrachen zumindest den Zwang zur Arbeit und
die kapitalistischen Regeln des Gelderwerbs – von denen bekannt ist, dass
sie nicht weniger räuberisch sind als ein Banküberfall.
So einige sind wegen „Banken“, juristisch: „räuberische
Erpressung“, lange Zeit in den Knast gekommen, über den Daumen gepeilt
waren es allein bei Aktivistinnen der Bewegung 2. Juni mehr als hundert Knastjahre
nur dafür.
Die Frage, ob sich die „Banken“ gelohnt haben, ist die Frage,
ob sich linke Politik lohnt. Bei der zählt aber nicht der Gewinn, sondern
zu gewinnen. Ohne die „Banken“ wären Stadtguerillagruppen und
andere mit dem Geld agierende Projekte wenig effektiv gewesen. Aber ihr politischer
Erfolg hing viel stärker von der historischen Situation und der politischen
Kräfteverhältnissen ab. Genügend Notgroschen zu haben war da nur
ein einzelner Aspekt. Und eine Sorge weniger.
Die „Negerkussbanken“
Kaum eine Enteignungsaktion wurde so populär wie die beiden „Banken“,
bei denen „Negerküsse“ verteilt wurden. (Antirassistische Sprachkritik
hatte damals noch keine „Schokoküsse“ hervorgebracht.)
Am 30. Juli 1975 zur üblichen Zeit – halb zehn – wird eine
Sparkassenfiliale in Berlin-Neukölln von fünf Leuten der Bewegung 2.
Juni „gemacht“. Während des Ausräumens der Kassen bietet
eine Genossin den KundInnen und Angestellten an, sich aus einem Karton mitgebrachter „Negerküsse“ zu
bedienen. Aus Angst oder Verdutztheit greift aber niemand zu, der Karton bleibt
auf dem Tresen zurück, das Geld (gut 100 000 Mark) wird mitgenommen.
Die Berliner Polizei löst eine Großfahndung aus und durchsucht nach
einem Hinweis auch einen ganzen Wohnblock mit mehreren hundert schwerbewaffneten
Bullen, die aber morgens um vier ergebnislos abziehen.
Sechs Stunden später werden sie wieder in den Dienst gerufen, denn erneut
haben zwei Männer und drei Frauen der Bewegung 2. Juni eine Bank nach dem
Muster des Vortages „gemacht“. Die zweite Kiste „Negerküsse“ landete
im Polizeilabor und wurde – selbstverständlich vergeblich – auf
Betäubungsmittel hin untersucht.
Das in den Banken verteilte Flugblatt fand weniger Eingang in die linke Erinnerung,
es war knapp und spielte auf ein Konjunkturprogramm der regierenden SPD-FDP-Koalition
an:
„Konjunkturprogramm der Bewegung 2. Juni
Wo alle sagen, dass der Rubel wieder rollen muss, damit die Schornsteine
wieder rauchen, will auch unsere Bewegung im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten – schließlich
sitzen wir alle im gleichen Latrinendampfer – einen Beitrag leisten. Hoffentlich
geht's gut, also: Her mit der Kohle!!!
Revolutionäre Negerküsse von der Stadtguerilla der Bewegung 2.
Juni!“
In den Wochen danach gab es zwei Happenings, bei denen von angeregten Linken
in Banken „Negerküsse“ – ohne jede Raubabsicht – verteilt
wurden. In München führte das zu einem Polizeieinsatz und nachfolgendem
vierstelligem Strafbefehl, in Essen blieb es bei einer Personalienfeststellung.
In einer Berliner Szenekneipe gab es noch Jahre später jeweils am 2. Juni „Negerküsse“ gratis.
Für viele sind die Negerkussbanken das Symbol einer „Spaßguerilla“.
Hinter so einer Verklärung steht Unwissenheit, die wohl unvermeidlich war.
Wer kann auch wissen, dass die „Negerküsse“ eher zufällig
ausgesucht wurden – genau so gut hätten es „Saure Drops-Banken“ werden
können – und sie nur die taktische Funktion haben sollten, die KundInnen
zu beruhigen. Dass das Flugblatt weniger Öffentlichkeit fand als der Süßkram,
hat die AktivistInnen sicher am meisten überrascht. Gegen die „Spaßguerilla“-These
spricht auch, dass ebenso bei diesen Banken Waffen nicht zum Spaß mitgenommen
wurden und zumindest bei der zweiten Bank die Bullen nur sehr knapp zu spät
kamen, zudem machte sich eine Autofahrerin zur Verfolgung auf und konnte nur
ganz unspaßig mit vorgehaltener Waffe davon abgebracht werden. Und last
not least saßen fast alle Beteiligten Ende 1975 bereits im Knast,
Gar nicht lustig ist es auch, wenn nach über 20 Jahren Akten auftauchen,
laut denen das Ministerium für Staatssicherheit der DDR „aus erster
Hand“ schon kurze Zeit später ziemlich detailliert berichtet bekam,
wer angeblich bei diesen „Banken“ teilnahm, wer das Geld einsackte,
wer über den Verbleib des Geldes Bescheid wusste, wer es aufbewahrte. Was
das MfS mit diesen Informationen machte, kann nur vermutet werden, auf alle Fälle
hätte es – ganz abgesehen vom Wahrheitsgehalt der Unterlagen – Folgen
haben können, wenn diese Akten vor Ablauf der Verjährungsfristen im
Westen bekannt geworden wären.
Guerilla wurde nie als Spaß betrieben – das gilt auch für
die „Negerkussbanken“
(Der Autor wurde 1978 unter anderen wegen Banküberfällen der
Bewegung 2. Juni angeklagt.)
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