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Befreiung – Ja gerne!
2. Juni 1978 – Info Blues 193
Ob sie es wollen oder nicht – für jede Stadtguerillabewegung ist
die Befreiung gefangener Mitkämpfer aus dem Knast eins der zentralen Probleme.
Jedenfalls wenn sie mal eingefahren sind und nun sehen müssen, wie sie wieder
rauskommen. Oder wie sie die Genossen rausholen ...
Dabei gibt es dann natürlich auch ein Risiko; es kann Verletzte geben, vielleicht
Tote; Geiseln und solche, die lieber sterben oder geopfert werden; es gibt entführte
Urlauber, Staatsbegräbnisse und selbstgemordete Gefangene; die klammheimliche
Freude oder ein Liedchen dazu und natürlich die kochende Volksseele – Springer
ist ja immer dabei.
Und es gibt unsere Haltung dazu. Setzen wir uns damit auseinander, welche Mittel
die Genossen von der Stadtguerilla anwenden, um ihre Kameraden aus den Klauen
des Feindes zu befreien, der vor Folter, Isolationshaft und Selbstmord nicht
zurückschreckt.
Sehen wir uns die einzelnen Befreiungsaktionen in den letzten zehn Jahren einmal
genauer an:
- Juli 1971 – der Blues läuft auf Hochtouren. Der Aufstand hat
grad erst begonnen, das System hinkt noch nach in seiner Wachsamkeit: Während
ihres gemeinsamen Prozesses können zwei Kämpfer des späteren 2.
Juni, Thomas Weissbecker und Georg von Rauch die Plätze tauschen. Einer
wird freigesprochen, gehn tut aber ein anderer, der eigentlich vier Jahre kriegen
sollte. Großer Lacher in Berlin ...
- Nicht so lustig: Die Befreiung Andreas Baaders, der wegen einer Kaufhausbrandstiftung
einsitzt, mit der die RAF-Leute ein Signal gegen den Völkermord in Vietnam
setzen wollten. Seine Genossen holen ihn mit der Waffe heraus. Dabei knallen
sie einen Opa nieder, der da den Pförtner mimte und sich wohl’n Orden
verdienen wollte. Er überlebt und kriegt 50 Rosen vom Bürgermeister
ans Bett gebracht. Die RAF nennt man seitdem „Baader-Meinhof-Bande“ Und
hängt ihr ein Killer-Image an
- August 1973: Inge Viett vom 2. Juni zersägt ein Eisengitter – weg
isse. Folge: Die ersten Razzien in WGs, die Sicherheitsmaßnahmen im Knast
werden natürlich verschärft.
- Februar 1975: „An einem schönen Donnerstag ...“ Die
erste Geiselaktion, die Entführung von Peter Lorenz, wird ein voller Erfolg:
Fünf politische; Gefangene sind aus dem Knast befreit, ein sechster sitzt
lieber seine zehn Jahre ab: Horst Mahler, Mitbegründer der RAF, will nicht
mit.
- Dann eine Serie von Fehlschlägen: Kammergerichtspräsident Drenkmann
lässt sich nicht entführen – wird umgelegt. Die Geiselaktion
von Stockholm zeigt, dass die Bundesregierung lieber ne ganze Botschaft in die
Luft jagen lässt, als 26 politische Gefangene rauszurücken. Entebbe
geht aus ähnlichen Gründen schief. Ponto will auch nicht mit (auch
er soll übrigens wie Drenkmann zur Waffe gegriffen haben) und der Reinfall
mit Schleyer und die Katastrophe von Mogadischu machen vollends klar, dass mit
Geiselnahme heute kaum noch ein Gefangner gerettet werden kann.
- Das einzige glückliche Beispiel aus der Zeit, der Ausbruch der vier
Frauen aus den Knast Lehrter Straße im Juni 1976, war durch die günstigen
Voraussetzungen möglich, die die Häftlinge in Stammheim oder Ossendorf
(Neubauten) nicht vorfinden. Allerdings zeichneten sich die vier Kämpferinnen
hierbei auch durch Geschick und Schläue aus.
- Wie auch jetzt am Samstag wieder, als sie (waren sie’s?) ihren Kampfgefährten
Till Meyer herausholten. Sicher – es gab einen Verletzten, den Bullen,
den sie kurzfristig als Geisel für freies Geleit nach draußen genommen
hatten. Er bekam eine Kugel ins Bein, weil sein Kollege am Schalter zögerte,
das Gitter zu öffnen. Vergessen wir aber dabei zweierlei nicht:
- Minuten zuvor hatte ein anderer Bulle die Befreiung von Andreas Vogel verhindert
und außerplanmäßigen Alarm ausgelöst.
- Als Till damals gestellt worden war, schoss ihm ein Bulle ins Bein, um ihn
an der Flucht zu hindern, obwohl er den Bullen nicht bedroht hatte.
Wir sagen nicht, gleiches mit gleichem vergelten. Unsere Waffen sind mehr
List, Einfühlungsvermögen und Fantasie. Erst wo sie wirklich ausgeschöpft
sind, fängt für uns der Gebrauch anderer Waffen an. Die Befreiung des
2. Juni-Kämpfers Till sehen wir als eine glückliche Mischung beider
Möglichkeiten. Sie zeigt trotz Schleyer, Moro und Mogadischu, dass es auch
heute entschlossenen Leuten gelingt, den einen oder anderen Genossen dem Knast
zu entreißen, ohne dass es Springer gelingen wird, daraus wieder etwas „volksfeindliches
zu machen (welches Volk zählt seine Knastbullen „zu sich“?)“ Und
auch wir sollten nicht jammern, wenn jetzt die Bullenscheiße wieder mal
am überkochen ist – Razzia, Kontrollen, Festnahmen wird es geben,
die Paranoia wird ansteigen – sondern sollten sehen, wie wir die Fahndung
nach Till und seinen Befreier(innen) stören können – Anruf genügt.
Ein kleines Schauspiel in der Telefonzelle, ne glaubhafte Story in die Muschel
genuschelt (Stimme verstellen) und aus 200 Hinweisen werden 4000 ... müssen
alle bearbeitet werden ... mehr Arbeit – weniger Sorgfalt ...
Handschuhe oder Taschentücher sorgt für Spurenfreiheit am Hörer.
Und noch etwas: Fasse dich kurz ... sonst fassen sie dich!
In diesem Sinn: Gut Stimme!
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