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Schlusswortmarathon im Lorenz-Prozess
August 1980 – Fritz Teufel über den Tag der Schlusswörter
und Ralf Reinders mit seinem Schlusswort
Tag der Schlusswörter aus Sicht von Fritz Teufel
Trotz mehrfacher Abmahnung durch Angeklagte und Verteidiger ist der
1. Strafspinat des Jammergerichts auch bei den Schlussworten der Angeklagten
im Lorenz-Drenkmann-Prozess seiner Linie treu geblieben: Die Angeklagten nicht
ausreden zu lassen, Wort entziehen, bei Beifall ausm Publikum sofort unterbrechen,
Saal räumen lassen, Notstandsübungen gegens Publikum anordnen, Ausschluss
von Zuschauern und Angeklagten für ein oder mehrere Tage oder Ordnungsstrafen
unbefristet und von ein bis sieben Tagen Knast.
Nachdem der Vorsitzende Geus schon beim Schlusswort von Fritz Toifl mehrfach
durch Dazwischenreden unangenehm aufgefallen war – Ausführungen über
die Türkei gehörten nach seiner Ansicht ebenso wenig zur Sache wie
der Text von Postkarten, die der Angeklagte im Knast erhalten hat – konnte
auch der Angeklagte Till Meyer sein Schlusswort nicht in Ruhe vortragen, ohne
Geus wegen seines vorlauten Dazwischenkwasselns rügen zu müssen, was
er allerdings in außergewöhnlich milder Form tat. Nach zweieinhalb
Jahren Prozess und fünf Jahren U-Haft zeigten sich die Angeklagten in guter
Verfassung und gut vorbereitet.
Die Genossen hinter der Balustrade, Saaldiener, bürgerliche Pressemenschen
und der schlafmützige Taz-Reporter Wodo, Anwälte, Zwangsluis, Protokollführerinnen – eben
das gesamte Publikum lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit.
Eine Zuschauerin in einer kleinen Gruppe revolutionärer Hitzköpfe fragte
allerdings, was denn der Quatsch solle, als Toifl zwei sächsische Witze
erzählte, um den Humor des Vorsitzenden Sachsen zu testen. Toifls Frage,
was sie denn hören wolle blieb zunächst unbeantwortet. Meyer und Toifl,
die dreieinhalb beziehungsweise sechs Stunden sprachen, wobei sie beide teils
vom Blatt lasen, teils in freier Rede sprachen und einen von Saaldienern herbeigeschafften
Pappkarton als Rednerpult benutzten, mögen schon durch die Länge ihrer
Ausführungen die Geduld des Gerichts auf die Probe gestellt haben. Da klafft
ja noch ne Lücke im Gesetz: nirgends steht geschrieben, wie kurz sich die
Angeklagten fassen sollen.
Aber so richtig durchgeknallt sind die Herren Richter erst bei Ronnies Schlusswort,
dem der Vorsitzende nach 15 Minuten das Wort entzog, was mit folgendem Gerichtsbeschluss
noch mal abgesegnet wurde:
„Nach Beratung b.u.v. (soll heißen: beschlossen und verkündet).
Die Anordnung des Vorsitzenden wird bestätigt. Der Angeklagte Fritzsch hat
das Recht zum letzten Wort missbraucht. Er hat trotz mehrfacher Abmahnung durch
den Vorsitzenden die in den Sitzungsprotokollen festgehaltenen schwerwiegenden
Beleidigungen von Prozessbeteiligten durch die Angeklagten vorgelesen. Dieses
diente offensichtlich allein dem verfahrensfremden Zweck, die Beleidigungen zu
wiederholen und Teile des Publikums damit zu belustigen. Er hätte nämlich
sein Verhalten nach den Abmahnungen ändern können und müssen,
wenn er mit seinen Zitaten einen vertretbaren Sinn verfolgt hätte“.
Ronnie (Ronald Fritzsch) war dabei, in seinem Schlusswort die beGEUSternde Verhandlungsführung
durch eine Art Statistik nach dem offiziellen Sitzungsprotokoll zu illustrieren.
Nach 193 Verhandlungstagen hatten die Angeklagten insgesamt 282 Mal „gestört“ und
waren 164 Mal „verwarnt“ worden, sowie über weite Strecken der
Hauptverhandlung von derselben ausgeschlossen, als obs ein Privileg sei, der
eigenen Verknackung beizuwohnen. Dem Gericht wars offensichtlich unangenehm,
daran erinnert zu werden, wegen welcher Lappalien Angeklagte und Zuschauer verwarnt
und zu Ordnungsstrafen verknackt wurden und nicht „Teile des Publikums“,
sondern alle Anwesenden hatten ihr Vergnügen an den protokollierten Äußerungen,
die selten „beleidigend“ (was ist das eigentlich?), aber immer aufschlussreich
und heiterkeitserregend waren. Heiterkeit des Publikums – offenbar besonders
unerträglich für einen Vorsitzenden, der oft schon wegen eines Lächelns
neurotisch reagierte.
Es dürfte wohl einmalig und wenn schon kein absoluter Revisions- so doch
ein relativer Revolutionsgrund sein, dass Ronnie sein Schlusswort nur deshalb
nicht halten durfte, weil er es geschafft hat, aus dem in der Regel stinklangweiligen
offiziellen Prozessprotokoll die interessantesten Stellen rauszupicken.
Ronnies Arbeit darf nicht umsonst gewesen sein, deshalb im folgenden zunächst
das ronnische Prozessprotokollpotpurri.
Nachdem Ronnies Recht auf ein Schlusswort vom Gericht liquidiert war, wollten
auch Gerald Klöpper und Ralf Reinders nicht mehr reden und demonstrierten
damit noch mal eindrucksvoll die Solidarität aller Angeklagten gegenüber
diesem Gericht.
Trotzdem isses besonders schade um das nicht gehaltene sehr inhaltsreiche Schlusswort
von Professor Bärmann, alias Ralf Reinders, das ein krönender Abschluss
des Prozesses aus der Sicht der Angeklagten geworden wäre.
Glücklicherweise liegt dieses Schlusswort als Manuskript vor und soll in
der taz ohne Zensur, Satz- und Druckfehler – das wäre schön – den
interessierten Leuten zur Kenntnis gebracht werden. Gründliche Lektüre
und Verbreitung dieses nicht gehaltenen Schlussworts (wie alle Schlussworte und
schriftliche Äußerungen aller Gefangenen) – das wünschen
sich die Gefangenen und soll nach ihrer Auffassung auch keine Strafe, sondern
ein Vergnügen sein. Nach Ansicht der Gefangenen, die nach Absicht ihrer
Geiselnehmer für viele lange Jahre in der Versenkung verschwinden sollen.
Die Gefangenen sind außerordentlich interessiert an Kritik und Diskussion
ihrer Äußerungen und freuen sich über entsprechende Post und über
jede Art revolutionärer Resonanz. (Selbstverbrennung von Gerichten, Demos,
Streiks, Besetzungen)
Schusswort von Ralf Reinders
Als dieses Verfahren anfing, gab es bei uns Diskussionen, ob wir überhaupt
in diesem Saal erscheinen und ob wir überhaupt am Prozess teilnehmen.
Es gab gute Argumente diesen Prozess zu boykottieren. Die Gefahr, dass wir hier
im Saal 700 lediglich zu Statisten degradiert werden die mit ihrer Anwesenheit
einem so genannten demokratischen rechtsstaatlichem Alibi-Theater Vorschub leisten,
diese Gefahr bestand.
Der Versuch uns zu leblosen Objekten zu machen, durchzog diesen Prozess wie der
berühmte rote Faden. Rausschmisse waren immer die letzten Maßnahmen,
wenn wir uns gegen diese Versuche gewehrt haben. Die ersten waren das Verbot,
Anträge so zu formulieren und zu begründen wie wir es wollten. Uns
zu Objekten machen und gleichzeitig der Versuch, über kriminalistische „Beweisführung“ die
politischen Inhalte dieses Verfahrens rauszudrücken. Das waren die Hauptstoßrichtungen
des Gerichts und der Bundesanwaltschaft. Warum hat das Gericht und die Bundesanwaltschaft
versucht, uns nachzuweisen, dass wir gewöhnliche Kriminelle sind, die sich
persönlich bereichern würden und auf Kosten anderer leben?
Wozu denn dieses Abgestrampel, wo doch jedes Kind schon weiß, dass revolutionäre
Politik notwendigerweise illegal sein muss. Man kann kein Herrschaftssystem durch
dessen eigene Gesetze beseitigen. Ein Regime, das den gegen sich gerichteten
revolutionären Kampf anerkennt und nicht als kriminell betrachtet, gibt
sich selbst auf. Welches Regime könnte es sich leisten, die Revolution zur
eigenen Beseitigung als Notwendigkeit anzuerkennen?
Zu der Frage, was denn ein ganz gewöhnlicher Krimineller in einem kapitalistischen
Staat ist, hat Brecht wohl treffend formuliert: Was ist denn ein Bankraub gegen
das Gründen einer Bank?
Die Herren Oweh, Weltfremd, Weisnix und Spekulier von der BAW sagen ständig,
dass wir und unsere Politik völlig unbedeutend seien, wir für niemanden
sprechen und niemanden ansprechen würden.
Wenn das stimmen würde, dann wäre dieser Prozess hier anders abgelaufen.
Dann wären Gericht und Bundesanwaltschaft hier in aller Ruhe aufgetreten,
hätten die Taktik der väterlich-verständnisvollen Tour angewendet
und uns unter Berücksichtigung aller politischen Motive ein Volles aufgebraten.
Die ganzen Dreckkanonaden gegen unsere Verteidiger und uns wären doch vollkommene
Spiegelgefechte, wenn sie nicht einen Zweck erfüllen sollen. Und weil wir
diesen Zweck erkannt hatten, haben wir uns entschieden, am Prozess teilzunehmen.
Wir wussten, dass man uns zu Statisten des Verfahrens machen wollte und dass über
dieses Verfahren versucht wird, die Ziele, die Politik und unseren Kampf als
etwas Kaputtes hinzustellen und der Öffentlichkeit so zu verkaufen.
Unsere Möglichkeiten im Gerichtssaal sind ziemlich gering, die Macht liegt
in den Händen des Staates. Aber, trotz alledem, auch dieses Feld räumen
wir nicht kampflos. Denn noch immer bieten uns die Prozesse die Möglichkeit,
die Gerichte zu Tribünen unseres Kampfes zu machen. Viele interessieren
sich in ziemlich starkem Maße für die Prozesse und es galt und gilt,
soweit wie möglich, die Prozesse agitatorisch und propagandistisch für
uns zu nutzen und unsere Politik denen zu vermitteln, die wir für uns gewinnen
wollen.
Beide Seiten – Gericht und BAW auf der einen, wir auf der anderen – hatten
von Anfang an vor, diesen Prozess zur Tribüne der eigenen Politik zu machen.
Unsere Position war einwandfrei die Schwächere, wir hatten sozusagen ein
Auswärtsspiel, dessen Resultat auch schon vorher feststand. Aber Verlierer
in diesem Feld des Klassenkampfes sind wir nicht. Trotz Beleidigung, Misshandlungen,
Rausschmisse, Redeverbot, Antragsverbot, Zwangsverteidiger, haben wir einen politischen
Punktsieg davongetragen.
Gut, wir hatten schwache Augenblicke, waren manchmal trotz unserer langen Erfahrung
erstaunt, mit was für einer verlogenen und dummen Dreistigkeit hier zu Werke
gegangen worden ist. Trotzdem haben wir hier unsere Politik rüberbringen
können. Und es wird letztlich die Kraft und Stärke unserer politischen Überzeugung
sein, nach der wir verurteilt werden. Prozesse und besonders Schauprozesse, wie
es dieser war, sind in der bürgerlichen Klassengesellschaft immer ein Schwert
gegen die, die sich befreien wollen, gegen die, die sich bewusst und unbewusst
gegen dieses System der Zerstörung von Mensch und Natur wehren. Zum Plädoyer
der BAW, das sowohl juristisch als auch politisch jeder Niete auf dem Rummelplatz
die Hand schütteln könnte, sagen wir nichts.
Aber wir sollten erstmal bei dieser Justiz bleiben. Sehen wir genauer hin, blättern
ein paar Jahre zurück, dann kann auch dem Gesündesten nur noch schlecht
werden. Das Auge des Gesetzes sitzt im Gesicht der herrschenden Klasse, hat mal
Bloch treffend formuliert. Niemals ist die Justiz die neutrale Instanz, die frei
schwebend die Interessen aller vertritt. Sie ist vielmehr ein gewalttätiger
Vollstrecker der Interessen der bürgerlichen Klassengesellschaft.
1945, als der Faschismus zerschmettert am Boden lag, sollte es Ziel des Potsdamer
Abkommens sein, in Deutschland alle Voraussetzungen zu zerstören, die jemals
wieder das Aufkommen des deutschen Imperialismus ermöglicht hätten.
Dazu gehörte es, die Monopole zu entflechten und ein gründliches Entnazifizierungsprogramm
durchzuziehen. Ein Entnazifizierungsprogramm, das die deutsche Justiz wohl schwer
getroffen hätte. Aber die westlichen, die kapitalistischen Siegermächte
brauchten eine Justiz und sie brauchten sehr bald eine antikommunistische, eine,
die ein klares Feindbild und Erfahrung mit Kommunistenverfolgungen hatte.
Die Stimmung in der deutschen Bevölkerung war nach der Zerschlagung des
Faschismus antikapitalistisch. Denn so langsam dämmerte, dass nicht Hitler,
sondern der deutsche Kapitalismus der Hauptschuldige am 2. Weltkrieg war. Selbst
die CDU trug dieser Stimmung verbal Rechnung und sah in ihrem „Ahlener
Programm“ die Enteignung der Großindustrie und der Banken vor. Das
ging soweit, dass die Bevölkerung Hessens in einer Volksabstimmung 1946
die Abschaffung des Kapitalismus forderte. Diese Volksabstimmung wurde von einem
Besatzungsgeneral mit Namen Clay für ungültig erklärt. Uns wird
dieser saubere General als Held der Luftbrücke verkauft, aber niemand redet
darüber, dass er den Willen des Volkes unterdrückt hat.
Den westlichen Siegermächten passte die Stimmung in der Bevölkerung überhaupt
nicht und noch weniger passte es ihnen, dass die Sowjetunion aufgrund ihrer enormen
Leistungen und enormen Verluste bei der Zerschlagung des Faschismus, ein gesteigertes
Ansehen bei den Völkern der Welt besaß. Das Kräfteverhältnis
Kapitalismus gegen Sozialismus, hatte sich als Folge des 2. Weltkrieges und aufgrund
des Befreiungskampfes, in China, zugunsten des Sozialismus verschoben.
Die Antwort der Westmächte war die Spaltung Deutschlands, um den verbliebenen
Rest, der sich heute BRD nennt, als kapitalistisches Bollwerk gegen die Sowjetunion
aufzubauen. Eine der Folgen dieser Entwicklung war das Aufgeben der Aufgaben
der Entnazifizierung in den Westzonen Deutschlands.
Das ist nur ein winziger historischer Abriss, der nur verdeutlichen soll, wessen
Interesse es war, bereits 1951, also 6 Jahre nach Schließung der Konzentrationslager,
wieder Menschen wegen ihrer Gesinnung in Deutschland zu inhaftieren und politisch
zu verfolgen. Um die Kommunistenverfolgungen einleiten zu können, musste
sich 1951 eine Strafrechtskommission hinsetzen und das erste Strafrechtsänderungsgesetz
ausarbeiten. Überflüssig darauf hinzuweisen, dass von den 25 Juristen
die dieser Kommission angehörten, 16 eine Nazivergangenheit hatten.
Darunter befand sich auch ein K. H. Scharpenseel, der noch bis vor kurzem im
3. Strafsenat des BGH saß und viele unserer Beschwerden verworfen hat.
Ehemals Amtsgerichtsrat bei der Reichsjustizverwaltung.
Der Präsident des 3. Strafsenat von 1958/59, Kanter, war da schon eine Nummer
größer, hatte er doch an einigen Todesurteilen während der Nazibesetzung
in Dänemark mitgewirkt. Jagusch, der Nachfolger Kanters beim 3. Strafsenat,
war Mitglied der NSDAP. Es wäre wohl etwas einseitig hier nur Richter zu
benennen. Nehmen wir doch den Generalbundesanwalt Wolfgang Immerwahr Fränkel,
er hatte als Mitarbeiter der Reichsanwaltschaft etwa 50 Todesurteile gegen politische
Täter mit beantragt. Wundert sich da noch einer, wenn man feststellt, dass
die fast wörtlich aus der Strafrechtsnovelle von 1934 übernommenen
Landesverratsdelikte in ihrer Struktur genau in das Konzept des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes
passten?
Diese Richter und Staatsanwälte sind das Fundament, auf dem die westdeutsche
Justiz aufgebaut wurde. Und nur ein Demagoge, ein gelehriger Schüler Goebbels,
auch wenn er sich hier mit einer markanten Breitscheitelfrisur tarnt, kann ein
solches Fundament leugnen und von einer demokratischen Justiz sprechen.
Während Menschen wie Emil Bechtle, Fritz Rische, Oskar Weyrich – um
nur einige der tausenden zu nennen – wieder von den selben Nazirichtern
wie vor 1945 verurteilt wurden und ihre Gesundheit in den Knästen ließen,
saßen die Richter wohlbehütet und ohne Sorge, mal für die Verbrechen
bezahlen zu müssen, auf ihren Posten.
Sie, die selbst einer der größten Verbrecherorganisationen angehörten,
saßen über Antifaschisten zu Gericht und verurteilten diese nach Paragraph
129 daher wegen Bildung beziehungsweise Zugehörigkeit zu einer kriminellen
Vereinigung. Es ist die historische Kette, die uns mit denen, die sich im KZ
Buchenwald selbst befreit haben, verbindet. Mit denen, die in den Zuchthäusern
Hitlers und Adenauers gesessen haben, verbindet uns was und nicht mit den Offizieren,
die am 20. Juli Hitler stürzen wollten, weil sie in ihm die Verkörperung
der militärischen Niederlage Deutschlands sahen und nicht weil sie Antifaschisten
waren.
Aber nicht nur in der Justiz, sondern in der gesamten Gesellschaft tauchten die
ehemaligen Kriegsverbrecher wieder auf. Globke, Oberländer, Kiesinger, Lübke,
Filbinger in der Politik! ABS, Schneidewind, Krupp, Thyssen und Schleyer in der
Wirtschaft! Heusinger für die Nato. Die Bundeswehr bekam all die großdeutschen
Offiziere.
Auch das sind nur ein paar, die bekanntesten Namen. Sie sind nur der personifizierte
Ausdruck dessen, was in der BRD als Restauration des Kapitalismus verstanden
wurde. Ein Kapitalismus, der von Anfang an durch seine neue/alte Aggressivität,
sowohl nach außen gegen die sozialistischen Staaten, als auch nach innen
gegen die linke Opposition auffiel. Nach außen forderte Adenauer sehr schnell
die so genannte „Befreiung“ der ehemaligen Ostgebiete. Damit heizte
er die Spannungen an.
Nach innen gab es einen Justizterror der durch 600 000 eingeleitete Ermittlungsverfahren
gegen politische Gegner zwischen 1951 und 1964 belegt wird. In den Betrieben
gab es schwarze Listen, Streikverbote und Löhne die anfangs die niedrigsten
in ganz Europa waren. Auch im Produktionssektor blieb die Justiz nicht untätig.
So hielt der BGH am 4. Juni 1955 in einem Urteil fest, dass Massen- und Generalstreiks,
sowie Massendemonstrationen, Gewalt im Sinne der Hochverratstatbestände
sein können. Massen- und Generalstreik gleich Hochverrat! Auch diese Auffassung
des BGHs hat ihren Vorläufer, nämlich den Paragraph 6 der „Verordnung
gegen Verrat am deutschen Volk und hochverräterischer Umtriebe“ vom
28. Februar 1933.
Noch heute sind politische Streiks und Streiks, die nicht von den Gewerkschaften
organisiert werden, illegal und verboten. Der deutsche Kapitalismus war aufgrund
seiner niedrigen Löhne und der Unterdrückung im eigenen Land wieder
konkurrenzfähig. Damit hatte er seine alte ökonomische Basis wieder
und konnte als Imperialismus auftreten. Ab 1950 trat er wieder in die Arena des
imperialistischen Konkurrenzkampfes zurück. Der Auslandsumsatz von deutschen
Industriewaren stieg von 1950 bis 1957 doppelt so schnell wie der Inlandsumsatz.
Die BRD eroberte immer mehr Marktanteile im Kampf gegen die USA und die alten
Kolonialmächte Europas. Die BRD trat zwar 1950 zum Beispiel erst in Lateinamerika
ins Geschäft, hatte aber bereits drei Jahre später das englische Kapital
aus der 2. Position der dortigen Marktanteile verdrängt. Nummer eins blieben
die USA. Mit dem Anwachsen der wirtschaftlichen Kraft des deutschen Imperialismus
und besonders wegen seines gesteigerten Kapitalexports, stieg auch sein politischer
Einfluss auf der Bühne der Weltpolitik.
Die Dynamik für seine Expansion hat sich der deutsche Imperialismus durch
das Auspressen der eigenen Bevölkerung geholt. Eine Bevölkerung, für
die jede sozialistische oder radikaldemokratische Betätigung die Gefahr
der Verfolgung und Arbeitslosigkeit mit sich brachte.
Auch die Rolle der vom Kapital gekauften, an der Ausbeutung beteiligten oder
von der CIA nach Kriegsende eingesetzten Gewerkschaftsführer – wie
Sickert zum Beispiel – war nicht unbedeutend, wenn es darum ging, Klassenkämpfe
abzuwenden. Solch ein Land mit Imperialismus und kaltem Krieg nach außen
und Terror gegen Andersdenkende und Neokapitalismus durch gekaufte Gewerkschaftsführer
nach innen, präsentierte sich als der „freieste Staat“, der
je auf deutschem Boden existierte.
In dieser Zeit sind wir groß geworden. Deswegen kann auch kein hier vom
Gericht vorgelesener Lebenslauf als eine abweichende Entwicklung einzelner vorgeführt
werden. Die Lebensläufe können – wenn überhaupt – hier
nur politisch vorgetragen werden und zwar nicht als persönliche Entwicklung
des Einzelnen, sondern als das Leben in einem Land, das seit seiner Gründung
in treudeutscher Tradition Terror ausübt, um die Macht der herrschenden
Klasse zu sichern.
Der Angeklagte Teufel fragte den Zeugen (Kriminalbeamten): „Sind Sie Mitglied
einer gut bezahlten, bewaffneten, hierarchischen, terroristischen Organisation?“
Die Interessen des Kapitals gingen in diesem Land schon immer vor den Interessen
der gesamten Gesellschaft. Und der kurze historische Abriss der politischen und ökonomischen
Entwicklung der BRD und unser Leben darin, soll den jungen Genossen die heute
draußen kämpfen, nur zeigen, wie viel unsere damalige Entwicklung
mit der ihrigen heute gemeinsam hat. Wir sind in einem Land groß geworden,
wo die alten Nazis ihre Posten zurückbekommen haben, wo die Nazis Pensionen
und Renten beziehen, während die Opfer der Nazidiktatur leer ausgehen. In
den Schulen haben uns die Lehrer zwar was über Hitlers Autobahnbau, nichts
aber über die Gräueltaten in den KZs erzählt.
Sie haben uns zwar was über die sechs Millionen Arbeitslosen, die von Hitler
wieder Arbeit bekommen hätten, erzählt, aber nichts davon, dass genau
diese Zahl, nämlich sechs Millionen, die Menge der im Krieg umgekommenen
Deutschen entsprach. Und so mancher Lehrer riss auch noch mal so nebenbei den
rechten Arm hoch, wenn er von seinen Heldentaten im Krieg schwärmte. Wir
sind in einem Land groß geworden, wo die Mörder Ernst Thälmanns
noch frei und unbehelligt rumlaufen, während Kommunisten wegen ihres Widerstands
in den KZs wegen Tötung von SS-Schergen während der Selbstbefreiung
des KZs Buchenwald verfolgt werden.
In einem Land, das Kindern einen Ferienaufenthalt in DDR-Ferienlagern verbot.
Das die Grenze sperrte um die Teilnahme westdeutscher Jugendlicher an Festspielen
und Kongressen in der DDR zu verhindern. Beim Versuch, die Elbe illegal von West
nach Ost zu durchschwimmen, um an den Weltfestspielen in Ostberlin teilzunehmen,
ertrank am 5. August 51 ein Jugendlicher.
In einem Land, wo die Redaktionsräume von Zeitschriften durchsucht und geschlossen
wurden, Redakteure verhaftet, Dichter beschimpft und boykottiert wurden. Wo Bücher
beschlagnahmt wurden, weil sie Namen von Nazi- und Kriegsverbrechern nannten,
so das Braunbuch im Oktober 1967. Wo Demonstranten zusammengeschlagen und ab
und zu auch einer erschossen wurde, so der 21-jährige Philip Müller
am 11. Mai 1952 in Essen, als die Polizei die von der FDJ (West) organisierte „Jugendkarawane“ gegen
die Wiederbewaffnung auseinanderschoss beziehungsweise auflöste.
Wo Emil Bechtle am 2. August 1954 drei Jahre Zuchthaus bekam, weil er eine Volksbefragung
gegen die Remilitarisierung der BRD mitorganisiert hatte. Und das, obwohl trotz
Befragungsverbot durch die Regierung fast zehn Millionen Menschen ihre Unterschrift
gegen eine Remilitarisierung gegeben hatten. Wir haben ein Wirtschaftswunder
erlebt, das auf die Knochen der arbeitenden Bevölkerung ging. Ein System,
das die Menschen auf einen Konsumterror abrichtete, was immer Verschuldung mit
sich brachte und dafür sorgte, dass nicht nur die Väter, sondern auch
die Mütter arbeiten gehen mussten.
Suff, Krankheiten und Gewalttätigkeiten bestimmten das Zusammenleben vieler
Familien. Aber was sollten die Menschen schon machen. Das System bedrohte sie
bei Widerstand nicht nur durch Arbeitsentzug und Verfolgung, es führte auch
noch einen regelrechten Krieg gegen die Köpfe. Radio, Fernsehen, und besonders
die Presse hämmerten die Menschen täglich voll: Wie gut sie es doch
hätten, wie wichtig Konsum sei, wie sinnlos Widerstand wäre und dass
alles, was nicht der kaputten kapitalistischen Norm entspricht, eine Gefahr für
die Monatsraten darstellt.
Die Pogromstimmung in der Bevölkerung wurde soweit angeheizt, dass Langhaarige
keine Arbeit bekamen, dass sie in den Straßen gejagt und oft zusammengeschlagen
wurden. Der Krieg gegen die Köpfe sollte dafür sorgen, dass auch wir,
nicht nur in den Schulen, Unis und Lehrwerkstätten, sondern auch von den
Eltern, zu gut funktionierenden Schräubchen der kapitalistischen Maschinerie
erzogen werden.
Die Formen des Krieges gegen die Köpfe haben sich heute etwas verändert,
sind oft noch subtiler, undurchschaubarer, geworden, aber die Inhalte, die dieses
System darüber vermitteln will, decken sich noch immer mit dem hier aufgezählten.
Auch heute wird noch versucht, die Jugend zu Robotern des Kapitals zu erziehen.
Wird dieser Roboter gebraucht, dreht man ihn auf Hochtouren, wird er nicht gebraucht,
stellt man ihn in die Ecke, wie die große Zahl der arbeitslosen Jugendlichen
beweist. Doch so einfach läuft dieses Spielchen nicht mit jedem.
Teile der Jugend heute, haben wie wir, nach einer langen Phase der Orientierungslosigkeit
begriffen, dass sie handeln müssen, wenn sie ihre Lage verändern wollen.
Sie sind zur Rebellion bereit. Das, was sich heute in ganz Europa abspielt, in
Zürich, Amsterdam, Bristol, Oslo, Paris, Frankfurt und Bremen, sind nur
die Sendboten einer neuen Rebellion.
Unsere Revolte hatte damals einen wesentlichen politischen Ausgangspunkt. Das
war die Ostermarschbewegung. Auch wenn die Ostermärsche lahmarschige Spaziergänge
waren und nichts verhindern konnten, so haben sie doch ihren bedeutenden Teil
zu unseren Lernprozessen beigetragen. Die Ostermarschbewegung war ein Ausgangspunkt
der APO. APO, drei Buchstaben, die damals für eine Generation Hoffnung bedeutet
haben. Heute tauchen zwar Geschichtsfälscher von rechts und links auf und
geben vor zu wissen, was die APO war und wollte.
Doch sie war weder eine reine Studentenrevolte, noch war sie die antiimperialistische
Fundamentalopposition. Sie war das, was die drei Buchstaben aussagen, eine außerparlamentarische
Opposition, in der alle Schichten der jungen Generation vertreten waren. Und
der allgemeine politische Ausdruck der Rebellion war der Wunsch und Wille, kollektiv
und selbst über das eigene Schicksal bestimmen zu können. Es war der
Versuch, unser Leben selbst und frei gestalten zu können und uns nicht länger
von irgendwelchen schwachsinnigen Autoritäten und Interessenvertretern des
Kapitals bestimmen zu lassen.
Wir sind gegen unsere Unterdrückung aufgestanden und haben innerhalb dieses
Kampfes immer mehr und klarere Vorstellungen bekommen von dem, was wir wollen.
Die Erkenntnis, dass nur der Sozialismus in der Lage ist, die Probleme der Zeit
zu lösen und dass der Kapitalismus Ausbeutung, Zerstörung, Krieg und
Tod bedeutet, reifte heran. Der kapitalistische Staat muss weg, das war eine
wichtige Feststellung. So, wie er uns gegenübertrat, mit einer Polizei,
die sich fast alles herausnehmen konnte, einer Justiz, die in ihrem blinden Systemgehorsam
Demonstranten verfolgte und verurteilte, einem Verbündeten, der in Vietnam
Völkermord im Nazistil vollzog, gab es nur eine Möglichkeit, diesem
System der Gewalt und Unterdrückung, die Gewalt der Unterdrückten entgegenzustellen.
Was uns damals so euphorisch stimmte, war die Tatsache, dass wir nicht alleine
kämpften. In der ganzen Welt tobte der Kampf gegen Kapitalismus, Imperialismus
und verkrusteter Herrschaftsstruktur. In Vietnam stand ein kleines tapferes Volk
und führte einen Giganten vor. Die fast unglaublichen Opfer und der Wille
zum Sieg des vietnamesischen Volkes gaben uns Mut, auch an dem Niedergang des
Giganten im eigenen Land zu glauben. In Amerika selbst standen einige Städte
in Flammen, die farbige Bevölkerung kämpfte gegen ihre Unterdrückung
und die Vietnamgegner protestierten gegen den Krieg.
In Frankreich stand die sozialistische Revolution vor der Haustür und es
hätte nicht viel gefehlt, sie wäre eingetreten, allerdings hätte
es dafür eine andere kommunistische Organisation geben müssen als die
KPF. In China lief die Kulturrevolution, unsere ganze Hoffnung, hatte sie doch
die inhaltlichen Ziele, die wir selbst erträumten: Selbstbestimmung, Kollektivität,
direkte Demokratie, gleiche Bildungs- und Arbeitsbedingungen für alle, Aufhebung
der Trennung von Kopf- und Handarbeit. Die Kulturrevolution in China war der
erste Versuch, vom Sozialismus in den Kommunismus überzuwechseln.
Seitdem haben wir eine Menge gelernt und lernen müssen, besonders die Erkenntnis,
dass die antiimperialistische Solidarität, die gegen Ende immer mehr unser
politisches Leben bestimmte; eben nicht der alles verändernde Kampf war.
Die Erfahrung, dass unser Antiimperialismus keine materielle Basis hatte, die
den Imperialismus ein für alle mal hätte zerschmettern können,
war ziemlich bitter. Unser Antiimperialismus war etwas Ideelles, blieb lediglich
moralische Unterstützung für die Befreiungsbewegungen in der 3. Welt.
Zwar war die Unterstützung für die Befreiungsbewegungen im Kampf gegen
den Imperialismus – und besonders den US-Imperialismus – wichtig
und bleibt auch wichtig; Doch der antiimperialistische Kampf für die Unterstützung
der 3. Welt kann nicht die tragende Säule unseres Kampfes gegen die kapitalistische
Maschinerie werden. Er darf nicht zum Strohhalm werden, den wir freudig ergreifen,
um nicht im Gewässer der eigenen Unfähigkeit zu ersaufen, der Unfähigkeit,
den Kampf gegen die ökonomische und politische Basis des Imperialismus hier
und heute zu führen.
Der Kampf für die Befreiung der 3. Welt konnte für uns keine revolutionäre
Perspektive sein, konnte er doch nicht unsere eigene Unterdrückung beseitigen.
Umso länger wir uns mit dem beschäftigten, was wir eigentlich wollten
und umso länger wir die Kolonialrevolutionen untersuchten, mussten wir feststellen,
dass der Imperialismus nicht auf seinem äußeren Feld letztlich geschlagen
werden kann. Und E. Mandel sagt in seinem Buch: „Einführung in die
marxistische Wirtschaftstheorie“ dazu: „Die Bilanz der Kolonialrevolutionen
weist – so paradox dies auch klingen mag – noch keinen Substanzverlust
für die kapitalistische Welt auf. Im Gegenteil. Einer jener Faktoren, die
das von uns bereits festgestellte Ausmaß der wirtschaftlichen Expansion
der imperialistischen Länder erklären, ist die Tatsache, dass die Kolonialrevolution – sofern
sie im Rahmen des kapitalistischen Weltmarktes bleibt (daher wenn sie nicht zur
Entstehung anderer, so genannter sozialistischer Staaten führt) in den imperialistischen
Ländern zu einer Belebung der Produktion und des Exports von Anlagegütern,
Gütern der Schwerindustrie führt!“
Da sich die wenigsten Länder nach der nationalen Unabhängigkeit dem
sozialistischen Lager angeschlossen, beziehungsweise vom kapitalistischen Weltmarkt
abgekoppelt haben, waren sie für den Imperialismus auch nicht verloren.
Auf langfristig kriegt der Imperialismus durch die Revolutionen in der 3. Welt
Schranken gesetzt. Aber diese „Schranken“ sind teilweise von ihm
selbst gewünscht.
Die Ausbeutung eines „souveränen“ jungen Nationalstaates ist
größer als die einfache Plünderung von Rohstoffen aus einer Kolonie.
Die UNO hat festgestellt, dass die Ausbeutung der Staaten der 3. Welt heute 200
Mal höher ist, als zur Zeit der Kolonien. Die Abhängigkeit hat nur
ein neues Gewicht bekommen. Da dieses Gesicht die Fassade eines „souveränen“ Staates
trägt und weil diese Staaten in der UNO manchmal gegen den Imperialismus
stimmen, wird die Theorie, dass der antiimperialistische Kampf in der 3. Welt
den Imperialismus beseitigt, arg strapaziert.
Das Beispiel, dass die Rohstoffe nach den Revolutionen teurer werden, ein Absatzmarkt
verschwindet und das dadurch die Kapitalisten gezwungen sind, das eigene Proletariat
stärker auszubeuten, ist zwar nur eine Teilwahrheit, aber selbst wenn wir
es jetzt mal annehmen, kann man damit nur aufzeigen, welche Auswirkungen die
Revolutionen in der 3. Welt auf den Hauptwiderspruch des Imperialismus -Proletariat
gegen Bourgeoisie – in seiner Basis haben.
Nun darf aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden; weil die antiimperialistischen
Revolutionen in der Mehrheit sich nicht vom Imperialismus lösen können
und sogar zu dessen wirtschaftlicher Expansion beitragen, müssen wir sie
ablehnen oder ihnen die Solidarität verweigern. Darum kann und darf es nicht
gehen. Es muss in erster Linie darum gehen, den richtigen Stellenwert der antiimperialistischen
Revolutionen zu analysieren und zu erfassen. Jeder Kampf, der gegen imperialistische
Herrschaft in der 3. Welt gerichtet ist, ist zu unterstützen, denn Imperialismus
bedeutet immer Ausbeutung, Hunger, Armut und muss beseitigt werden.
Gut, aber spätestens an dieser Stelle sollten wir uns nicht mehr von unseren
sinnlichen Wahrnehmungen prägen lassen. Anstatt nur auf die äußere
Erscheinung des Imperialismus zu achten, müssen wir uns Gedanken über
die Ursache dieser Erscheinung machen. Genau da lag 1968 ein Fehler, wir waren
nicht in der Lage von der sinnlichen Wahrnehmung, dem härteren und revolutionäreren
Kampf, dem größeren Elend in der 3. Welt und die Befreiung vom Imperialismus
wegzukommen.
Die sinnliche Wahrnehmung, Imperialismus, Hauptübel, Hauptwiderspruch, verleitete
dazu, diese Wahrnehmung von der 3. Welt auf die Industrienationen zu übertragen.
Kurz und hart gesagt, wir sind von der sinnlichen Erfahrung nicht weggekommen
und haben nur die erste Sprosse der menschlichen Erkenntnisleiter erklommen.
Die nächste Sprosse nämlich, das rationale Durchdenken der sinnlichen
Wahrnehmung, haben wir erst ziemlich spät erreicht.
Wenn wir ausschließlich den antiimperialistischen Kampf hier, für
die Unterstützung des Befreiungskampfes in der 3. Welt führen, sozusagen
als verlängerter Arm der 3. Welt, so wird es uns nie gelingen, bis zum Herz
des Imperialismus vorzudringen. Weil der äußere Anstoß, den
der Imperialismus durch den Befreiungskampf bekommt, zwar unter Umständen
die inneren Widersprüche des Imperialismus vergrößern, nicht
aber beseitigen kann. Beseitigen kann man den Imperialismus nur durch das Lösen
seiner inneren Widersprüche. Wir dürfen nie in den Fehler verfallen,
den Alltag des Imperialismus – und dazu gehört auch die Gegenwehr
in der 3. Welt – bereits als seinen Todeskampf aufzufassen. Ökonomisch
der Ausbeutung auch anderer Nationen fähig, militärisch zu jeder Erpressung
imstande, bleiben die imperialistischen Nationen durch den Reichtum, den ihnen „ihr“ Proletariat
schafft. Die Ausbeutung des Proletariats hier, die funktionierende Klassenherrschaft
hier ist es, die den imperialistischen Staaten ihre ökonomische und militärische
Macht erhält.
Diese Macht zerbrechen, heißt die Klassenherrschaft hier zu beseitigen,
heißt, den Klassenkampf hier voranzutreiben. Sprüche, von wegen, ,was
gehen uns die Revolutionen in der 3. Welt an‘, oder umgekehrt, ,hier in
der BRD ist nichts mehr möglich, wir kämpfen für die Interessen
der 3. Welt‘, sind nicht nur unsolidarisch, sondern politischer Blödsinn.
Wir haben aufgezeigt, warum das Lösen der Widersprüche im Herzen der
Bestie für uns Vorrang haben muss, dass hier die Hauptschlacht stattfinden
wird. Hier, wo der Imperialismus seine ökonomische Basis hat, wo er den
Reichtum absahnt, der es ihm ermöglicht, im internationalen Rahmen zu wirken.
Aber deshalb werden wir die Anstöße, die der Kapitalismus durch den
Befreiungskampf der 3. Welt bestimmt, nicht leugnen. Ganz im Gegenteil, wir werden
den Befreiungskampf der Völker in der 3. Welt unterstützen. Solidarität
darf keine hohle Phrase sein. Es müssen sich alle, die gegen Kapitalismus
und Imperialismus kämpfen, gegenseitig unterstützen. Das sowohl durch
Geld/Sachspenden, als auch durch Demonstrationen und Aktionen. Und man kann Aktionen,
wie die Besetzung des Amerikahauses in Berlin kritisieren, weil die Analyse in
den Flugblättern falsch oder die Art und Weise des Vorgehens falsch war.
Man kann also die Form kritisieren, aber man kann den objektiven Inhalt der Aktion
nicht leugnen.
Die Aktion war deshalb richtig und wichtig, weil sie in einer Zeit, wo die persische
Revolution von den imperialistischen Staaten in den Dreck gezogen wird, praktische
Solidarität mit dem Volk des Iran vermittelt hat. Sie hat auch dem Volk
des Iran etwas vermittelt, nämlich, dass es in der BRD noch Menschen gibt,
die nicht bereit sind, die offiziell vorgeschriebene Meinung der Herrschaftskaste über
die islamische Revolution zu übernehmen. In Deutschland selbst tragen solche
Aktionen dazu bei, dass der Verblödungsstrategie und den Verleumdungskampagnen
etwas entgegengesetzt wird.
Militante Solidarität mit den Befreiungskämpfen in der 3. Welt muss
zum ständigen Bestandteil unserer Politik, unseres eigenen Befreiungskampfes
gemacht werden.
Erst in der Praxis des eigenen Kampfes und der Solidarität gegenüber
anderen Kämpfen, werden wir die richtigen Stellenwerte der Kämpfe erkennen
und handeln können.
Als sich 1969/70 die APO so langsam auflöste und unsere stürmisch begonnene
Rebellion nur noch einem lauen Lüftchen ähnelte, stand die Frage des:
,wie gehts weiter?‘, permanent auf der Tagesordnung. Und aus dem miteinander
diskutieren, wurde immer mehr ein gegeneinander. Die einen glaubten, sie müssen
in die Betriebe und dort mobilisieren, die anderen in die Stadtteile, Schulen,
Unis oder Frauenbewegung. Einige gründeten Parteien, einige versuchten,
die Subkultur für den Widerstand zu gewinnen, andere wieder gründeten
eine Stadtguerilla nach dem Vorbild der Tupamaros in Uruguay. Zwar hatten all
diese Ansätze und Versuche, den Trend, unsere Rebellion vom ideellen Charakter
zum materiellen Widerstand zu bringen, an den sozialen Brennpunkten anzusetzen.
Doch anstatt sich zusammenzuraufen, raufte man sich auseinander.
Alle einzelnen Gruppen glaubten nur noch an die „Heilslehre“ des
eigenen Kampfes und der absoluten Wichtigkeit des Bereiches, indem man gerade
kämpfte. Die Stadtguerilla meinte, sie sei die einzige Fundamentalopposition
und überhaupt das Revolutionärste schlechthin. Die Betriebsarbeiter
erklärten die Fabriken dazu, die Stadtteilgruppen die Stadtteile, die Knastgruppen
die Knäste und das ging munter so weiter. Auch heute noch wird so ein Quatsch
teilweise verbraten, glücklicherweise nur noch teilweise. Anstatt zu begreifen,
dass es unseren Widerstand zwar durch seine Einzelbereiche gibt, diese Einzelbereiche
aber nur durch den gesamten Widerstand existieren und überleben können,
kapselten sich die einzelnen Gruppen ab und verkamen immer mehr zu Sekten.
Sie, die eigentlich die Triebfeder der Bewegung als ganzes hätten sein müssen,
isolierten sich selbst und isolierten damit die Bewegung als Ganzes. Und erst
heute, zehn Jahre danach fängt es wieder an, dass nicht mehr die Wichtigkeit
des einzelnen Bereiches oder der Sekte die Hauptsache ist, um die sich alles
drehen muss, sondern man ist dabei, neue Gemeinsamkeiten zu suchen. Bei der Suche
nach Gemeinsamkeiten ist es Aufgabe all der 68er Rebellen, ihre Erfahrung in
die Diskussionen einzubringen, damit die gleichen Fehler nicht unbedingt noch
einmal wiederholt werden.
Lorenz
Und wenn wir uns schon zu einem Schlusswort in diesem Prozess entschließen,
dann gehört es zur Vermittlung von Erfahrung an junge Genossen auch, etwas über
den Lorenz-Klau zu sagen. Da sich die Aktion noch heute großer Beliebtheit
innerhalb der Linken erfreut, muss einfach der ganze gesellschaftliche Hintergrund
solcher Aktionen aufgezeigt werden. Dieser Prozessabschnitt ist von beiden Seiten
im wahrsten Sinne des Wortes beschränkt geführt worden. Deshalb jetzt
was zur Lorenz-Aktion.
Diesen Abschnitt beginnen wir mit einem modifizierten Zitat Rosa Luxemburgs:
„Wenn ein so genannter ,freier‘ Bürger von einem anderen gegen
seinen Willen, zwangsweise in ein enges, unwohnliches Gelass gesteckt und dort
eine Zeitlang gehalten wird, so versteht jeder, dass dies ein Gewaltakt ist.
Sobald jedoch die Operation aufgrund eines gedruckten Buches, genannt Strafprozessordnung,
geschieht und das Gelass „UHAA-Moabit“ heißt, dann verwandelt
sie sich in einen Akt der friedlichen Gesetzmäßigkeit. Wenn ein Mensch
von einem anderen gegen seinen Willen zur systematischen Tötung von Nebenmenschen
gezwungen wird, so ist das ein Gewaltakt. Sobald aber dasselbe „Militärdienst“ oder „Polizeidienst“ heißt,
bildet sich der gute Bürger ein, in vollem Frieden der Gesetzlichkeit zu
atmen. Mit einem Worte: was sich uns als bürgerliche Gesetzmäßigkeit
präsentiert, ist nichts anderes als die von vornherein zur verpflichtenden
Norm erhobene Gewalt der herrschenden Klasse“ (Ende des Zitats)
Peter Lorenz hatte nun den Vorzug, einmal die Gegengewalt der beherrschten Klasse
kennen zu lernen. Eine Gewalt, die nur die verstehen können, die unter der
Gewalt der bürgerlichen Klassengesellschaft zu leiden haben. Und über
diese Gewalt kann kein ausgetrocknetes bürgerliches Juristenhirn urteilen.
Die legale staatliche Gewalt ist aufgebaut, um der herrschenden Klasse die Macht,
die Ausbeutung und Unterdrückung zu sichern und wird nur von einem Gedanken
getragen, alles auszurotten, zu zerstören, was sich ihr in den Weg stellt.
Die Gewalt der Unterdrückten dagegen ist eine gerechte Gewalt, sie richtet
sich gegen Unterdrückung, gegen Ausbeutung, für eine klassenlose Gesellschaft.
Sie ist notwendig, weil der Kapitalismus nicht bereit ist, ohne Widerstand von
der geschichtlichen Bühne abzutreten.
Nun zu Peter Lorenz. Sein Auftritt hier im Gerichtssaal war Spitze, er war das
was man unter einem guten Zeugen versteht. Natürlich nicht im juristischen
Sinne, igitt, politisch waren seine Aussagen gut. Er ist noch immer – obwohl
er es selbst gar nicht weiß – der beste Propagandist der Bewegung
2. Juni. Nach den Äußerungen P. Lorenz über seine Zeit bei der
Bewegung 2. Juni wird es doch wohl erlaubt sein, auch mal die Frage zu stellen,
ob es einen der 60 000 Gefangenen in den Staatsknästen der BRD gibt,
der ähnlich gut von seiner Haftzeit berichten kann. Gibt es einen Gefangenen
in den Staatsknästen, der auch sagen kann, nein, beleidigt, oder geschlagen
wurde ich nicht?!?
Wer losgeht und sucht, wird dabei feststellen, dass es in der BRD leichter ist,
einen erschlagenen Gefangenen zu finden, als einen, der noch nie beleidigt oder
geschlagen wurde. P. Lorenz macht auch heute noch keine schlechten Aussagen über
die Bewegung 2. Juni, wie es einige Herren ganz gerne hätten. Er macht sie
deshalb nicht, weil sein persönliches Erlebnis, so wie er behandelt wurde,
sich nicht mit dem Bild deckte, das er durch die Scheißhauspropaganda des
BKAs, der Bundesanwaltschaft und der Staatsschutzmedien hatte.
P. Lorenz wurde als das behandelt, was er auch als Feind noch bleibt, als Mensch
und dieses Erlebnis muss wohl für ihn umwerfend gewesen sein. Der Bundesanwalt
Völz hat P. Lorenz zwar die Frage nach den Haftbedingungen gestellt, sie
aber sofort wieder zurückgezogen. Wir haben den demagogischen Sinn – dieses
in den Raum stellen der Frage und nicht beantworten lassen – begriffen.
Es sollte auf angebliche schlechte Haftbedingungen des Herrn Lorenz hinweisen.
Mit der Demagogie ist es oft wie mit Stinkbomben, wehe sie gehen im eigenen Raum
hoch. Diese Stinkbombe war noch besser, sie ist dem Bundesanwalt in der eigenen
Hosentasche hochgegangen.
Und damit es noch eine Weile weiter stinkt, wollen wir nicht einmal unsere Haftbedingungen
denen des Herrn Lorenz gegenüberstellen. Wir wollen nur den ganz normalen
Haftgang eines sozialen Gefangenen dagegenstellen. Die hängen nämlich – nach
der Festnahme – oft tagelang in der Gothaer Straße in Zellen, die
1,50 Meter breit und drei Meter lang sind, kein Radio haben, keine Zeitung, kein
Gespräch, kein Hofgang. Wer zur Toilette will, muss klingeln und warten.
Wenn sie dann nach Moabit verfrachtet werden, in Kabinen, die kaum weniger eng
sind, als es die Kiste oder der Schrank des P. Lorenz war, dann haben sie zwar
Freistunde und Anstaltslautsprecher, davon, dass sie Bier oder Wein bekommen,
oder gar Essen, wann sie wollen, haben nicht nur wir noch nichts gehört.
In Moabit gibt es kurz nach 15 Uhr Abendbrot und dann ist der Tag zu Ende. Wer
es dann noch wagt, am Fenster mit anderen Gefangenen zu sprechen, riskiert Prügel
und Hausstrafen. Hausstrafen, die zum Teil in einer Art und Weise durchgezogen
werden, die die UNO schon 1948 als Folter definiert hat. Von Schachspielen oder
Fernsehen können sie dann erstmal eine Weile träumen.
Was hätte das für ein Geschrei gegeben, hätte die Bewegung 2.
Juni ihren Gefangenen so behandelt, wie es in BRD-Gefängnissen üblich
ist. Dann hätte die Bundesanwaltschaft Wörter wie Folter und Misshandlungen
hier wohl auf die Tagesordnung gesetzt. So was konnte aber gar nicht vorkommen,
weil ein sozialistischer Revolutionär, der gegen Folter und Unmenschlichkeit
kämpft, sich selbst verraten und aufgeben würde, wenn er foltert oder
misshandelt.
Wir haben nicht jahrelang gegen die Folter gekämpft, um sie selbst anzuwenden!
Das hat Fidel Castro einer amerikanischen Reporterin geantwortet, als sie den
Kubanern Folterungen an Gefangenen vorwarf. Genauso denken und handeln wir, unabhängig
ob wir nun mit Peter Lorenz was zu tun hatten.
Das Verhältnis zwischen P. Lorenz und seinen Bewachern war so locker und
flockig, dass sie ihm sogar zur Wahl gratuliert haben. Von der Gratulation wurde
der Vorwurf gegen die Bewegung 2. Juni abgeleitet, dass sie durch die Entführung
der CDU zum Wahlsieg verhelfen wollte und sich auch über deren Wahlsieg
gefreut hat. Wer solch eine Theorie aufstellt, unterstellt nicht nur ziemlich
leichtfertig der Bewegung 2. Juni, dass sie es am liebsten ganz schlimm, also
faschistisch, haben möchte, sondern diejenigen unterstellen ganz einfach,
dass es zwischen SPD und CDU einen riesigen Unterschied gibt.
So groß ist der Unterschied nicht. Es wäre jetzt allerdings zu einfach,
diesen Unterschied zu leugnen, bloß weil die SPD, genauso wie die CDU,
die Interessen und die Herrschaft des Kapitals sichert. Der Unterschied liegt
nicht im Inhalt, kann er gar nicht, denn in diesem Land herrscht das Monopolkapital
und bestimmt die politische Richtung, niemals aber eine Partei. Parteien dürfen
nur die vom Kapital eingeschlagene Richtung absegnen oder Streitigkeiten des
Monopolkapitals untereinander, als Stellvertreter der jeweiligen Richtung, austragen.
In der Form liegt der Unterschied. Während die CDU allzu oft mit der Holzhammermethode
noch allem schlägt, was nur nach Widerstand riecht, ist die SPD nicht nur
in der Lage, die Unterschiede im linken Spektrum zu erkennen, sie ist auch auf
Grund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung – in Falschheit und Verrat – in
der Lage, aufkeimende Unruhe in der Bevölkerung zu kanalisieren.
Und immer dann, wenn sich eine außerparlamentarische Opposition regt und
stärker wird, taucht die SPD auf und bietet Reformen an, die beim näheren
Betrachten keine sind oder sowieso nicht verwirklicht werden. Hat sie 1968 noch
auf dem Höhepunkt der Studenten- und Jugendrevolte sich durch riesige Reformversprechungen
ins Gespräch gebracht und hat sie einen großen Teil der Rebellen für
sich gewonnen, so muss sie sich heute fragen lassen, wo denn die Reformen sind.
Für die Demokratie, die es mehr geben sollte, die sie wagen wollten, hat
die SPD die Berufsverbote eingeführt. Für die größere Mitsprache
der Bevölkerung in Stadtteilen und Betrieben, hat sie uns die fast perfekte
und totale Bespitzelung beschert. Für die Jugend hat sie Arbeitslosigkeit
besorgt. Sie hat einen Polizeiapparat aufgebaut, um den sie jeder Polizeistaat
beneidet. Und solche Beispiele können weiter aufgezählt werden. Die
SPD hat nichts von ihren Reformversprechungen gehalten, sie konnte es auch gar
nicht. Nicht, weil dann die CDU wegen der Reformen an die Regierung gekommen
wäre, sondern weil die Reformen der Verwertung des Kapitals widersprachen.
Den Ausbau des Repressionsapparates hat sie in weiser Voraussicht auf den zu
erwartenden Widerstand gegen die Erscheinungen der kapitalistischen Krise aufgebaut.
Heute verspricht die SPD keine Reformen mehr, heute bieten uns die Berufsverbieter
von gestern eine abgemilderte Form der Berufsverbote an, um sich als das kleinere Übel
gegenüber der CDU anzubieten. Sie droht mit dem großen Übel Strauß und
bietet dafür einen faulen Kompromiss an. Das Angebot lautet übertragen,
verbrennt euch die Finger mit der SPD, Strauß hackt sie euch ganz ab. Nur
sollte niemand vergessen, wer ewig mit verbrannten Fingern rumrennt, kann sie
auch nicht benutzen.
Gerade weil uns die deutsche Geschichte lehrt, dass es das Kapital ist, das die
politische Strategie bestimmt, müssen wir unsere Finger benutzen können.
Wir müssen sie benutzen können, um Widerstand zu leisten. Denn die
Parteien machen wieder einmal alles, was für die Verwertung des Kapitals
notwendig ist. Das Kapital braucht Arbeitslose, die Parteien stimmen zu. Das
Kapital braucht Schutz vor ausländischer Konkurrenz, die Parteien errichten
Zollschranken. Das Kapital braucht den Markt des Ostblocks, die Parteien machen
auf Entspannung. Das Kapital braucht Rüstung, die Parteien sorgen für
die Gelder. Und wenn das Kapital wieder einen Krieg benötigt, dann bereiten
die Parteien ihn mit öffentlichen Rekrutenvereidigungen vor.
Und dieses Interesse wird von allen parlamentarischen Parteien geteilt. Eine
Partei, die sich im Rahmen des kapitalistischen Systems bewegt, wird sich auch
ganz logisch der kapitalistischen Strategie unterordnen und sie zum Tragen bringen.
Dass dabei das Volk getäuscht, belogen und manipuliert wird, ist nur zu
logisch. Da CDU, SPD und FDP sich der kapitalistischen Strategie verschrieben
haben, kann es keine Auswahl zwischen ihnen geben, es kann nur heißen gegen
sie kämpfen.
Dabei ist die Strategie des Kapitals kein blindes Schema, sondern eine bunte
Palette der Sicherung der Macht. Es reicht von einer bürgerlichen Demokratie
mit abgestuften Repressionswellen bis hin zum offenen Faschismus. Je nachdem,
wie günstig oder ungünstig die Verwertungsbedingungen für das
Kapital sind.
Den Unterschied zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus nicht sehen,
hieße auch, keine richtige Strategie und Taktik gegen die jeweiligen Formen
der kapitalistischen Herrschaft zu finden. Dass es bereits innerhalb der bürgerlichen
Demokratie Ansätze und Tendenzen für eine faschistische Gesellschaft
gibt, darf uns nicht so blind machen, dass wir das Differenzieren verlernen und
bürgerliche Demokratie mit Faschismus gleichsetzen. Die bürgerliche
Demokratie und der Faschismus haben aber ein und dasselbe Ziel, das kapitalistische
System am Leben zu erhalten.
Eine Herrschaftsform, die man nicht unter den alten Begriffshüten wie Faschismus
oder bürgerliche Demokratie bekommt, die aber immer mehr das Leben in der
BRD bestimmt und sich durchsetzt, ist der institutionelle Faschismus. Eine Herrschaftsform,
die nicht nur eine neue Qualität hat, sondern sich auch innerhalb des Widerspruches
bürgerliche Demokratie und Faschismus bewegt und von beiden viel hat. Hatte
der alte Faschismus noch Massencharakter, konnte noch Massen mobilisieren, so
baut der institutionelle Faschismus auf Überwachung und Kontrolle.
Er hat keine Kraft mehr, Massen zu mobilisieren, was er bei Drenkmanns und Bubacks
Beerdigungen auch schmerzlich feststellen musste. Seine Legitimationsbasis ist
das, was die Regierenden immer gern als „schweigende Mehrheit“ bezeichnen.
Diese „schweigende Mehrheit“ gibt es; sie zu leugnen, wäre gefährlicher
Blödsinn. Es ist aber genauso blödsinnig, diese schweigende Mehrheit
für eine unveränderliche Legitimation des Regimes zu halten. Selbstverständlich
versuchen die Herrschenden immer die Widersprüche innerhalb der Klassen
einer Gesellschaft für sich auszunutzen. Und es sind die Widersprüche
innerhalb der Klassen, die eine Einheit gegen das System verhindern und damit
dazu beitragen, dass es diese passive – „schweigende Mehrheit“ gibt.
Wie sehr sie diese zur Legitimation neuer Gesetze und dessen Anwendung braucht,
zeigt die Manipulation dieser Menschen deutlich auf. Die Menschen werden über
die Medien zu gut funktionierendem Stimmvieh verarbeitet. Und damit dieses „Stimmvieh“ nicht
aus dem allgemeinen Trott ausbrechen kann, wird es in der Gesellschaft am Arbeitsplatz,
im Stadtteil so isoliert, dass es verlernen soll, sich gegen diese unsichtbare
Umklammerung und Manipulation zu wehren, sie zu durchbrechen. Es ist nur zu klar,
wenn einer keine aktive Massenbasis hat, sondern nur eine „schweigende
Mehrheit“, dann verliert er sofort jede Legitimationsberechtigung, wenn
die Menschen gegen die Umklammerung und totale Kontrolle kämpfen. Eine schweigende
Mehrheit, die zu einer sich artikulierenden Mehrheit wird, ist eine direkte Gefahr
für das kapitalistische System und der Herrschaftsform, die die kapitalistische
Strategie tragen soll, dem institutionellen Faschismus.
Das Gefährliche ist, dass er technokratisch abläuft und sinnlich schwerer
als der alte Faschismus wahrzunehmen ist. Es ist schon schwieriger, die Bedrohung
sinnlicher nachzuvollziehen, wenn alle Daten von einem Computer gespeichert werden,
oder ob bei jeder Kleinigkeit ein Schnüffler vorbeikommt und ständig
direkt nachfragen muss. Den Computer sieht man nicht, den Schnüffler hasst
man. Die technokratische Repression hat für das Regime auch einen Nachteil.
Ist sie erst mal wahrgenommen, dann entsteht eine Entfremdung zwischen „schweigender
Mehrheit“ und denen, die vorgeben, für diese zu sprechen.
Ein deutlicher Ausdruck für diese Entfremdung ist in der BRD die so genannte
Staatsverdrossenheit der Bürger. Die ist aber im Grunde nichts anderes als
die Legitimationskrise der Regierenden. Je größer die technische Repression
sich vor uns aufbaut, je größer das Ungeheuer, das sich Atomstaat
nennt, abzeichnet, umso größer wird auch die Entfremdung, umso geringer
wird die Identifikation des Volkes mit dem Staat. Und unsere Aufgabe ist es,
in diese Kerbe zu schlagen und die Unzufriedenheit, die Staatsverdrossenheit
voranzutreiben.
Da heißt es dann, alle Vereinzelungen der Menschen zu durchbrechen und
die einzelnen Rebellionen in der Gesellschaft zu vereinen. Wenn die Rebellionen
in der Gesellschaft zu einem Block werden, an dem sich die technokratische Repression
die Zähne ausbeißt, dann werden wir alle sehr schnell erleben, das
es institutioneller und alter Faschismus gemeinsam haben, nämlich die Brutalität.
Aber im Gegensatz zum alten Faschismus, der keinerlei Opposition duldete, hat
der institutionelle Faschismus noch gewisse Freiräume zu bieten, die er
von der bürgerlichen Demokratie geerbt hat. Es wäre gefährlich
und politischer Leichtsinn, den institutionellen Faschismus getrennt von der
bürgerlichen Demokratie sehen zu wollen oder ihm gar mit der bürgerlichen
Demokratie ein Ziel entgegensetzen zu wollen.
Der Atomstaat, das ist die aufsteigende Tendenz der Herrschaft, die bürgerliche
Demokratie ist bereits ihre absteigende Linie. Der Abbau der Demokratie in der
BRD (ganz Europa) zeigt, dass sie der Bourgeoisie angesichts der Verschärfung
der ökonomischen und sozialen Krise hinderlich wird. Hinderlich bei der
Unterdrückung und der Ausübung der Macht. Mit dem Abbau will sie den
erwarteten Widerstand im Keim ersticken.
Wenn sie bestimmte demokratische Rechte abbauen, dann ist es für uns notwendig,
für den Erhalt und vor allen Dingen den Ausbau dieser Rechte zu kämpfen.
Böswillige erkennen an dieser Stellen immer einen unlösbaren Widerspruch;
auf der einen Seite die bürgerliche Demokratie als Herrschaftsform des Kapitals
zu bekämpfen, auf der anderen Seite aber für die Erhaltung demokratischer
Rechte zu kämpfen. Dieser Widerspruch ist zu lösen.
Wir ketten uns nicht an die bürgerliche Demokratie, wenn es darum geht,
dem Atomstaat etwas entgegen zu setzen. Wir setzen uns doch nicht auf einen morschen
Ast. Es kann in diesem Kampf nicht darum gehen, lediglich ein bisschen mehr Freiheit
zu erhalten oder zu bekommen, dies wäre Reformismus. Dieser Kampf muss so
begriffen werden, dass sich in ihm, im Kampf um Demokratie, Stück für
Stück ein Bewusstseins- und Emanzipations-Prozess entwickelt, nämlich
der, dass sich die Menschen politische Formen schaffen – wie Selbstverwaltung
und Selbstorganisation – die es ihnen ermöglichen, ihr Schicksal in
die eigenen Hände zu nehmen und es selbst zu gestalten.
Sich solche Formen zu schaffen, haben die Wendländer in Gorleben versucht
und versuchen die Häuserbesetzer noch immer. Der Häuserkampf ist nicht
nur ein Kampf gegen Spekulanten und falsche Sanierungs- beziehungsweise Baupolitik.
Er drückt auch aus, dass Demokratie nicht erst im gelobten Land beginnt,
sondern schon heute im alltäglichen Kampf erlernt werden muss und auch wird.
Selbstverwaltung und Selbstorganisation im Kampf zu erlernen, sind Basen die
eine sozialistische Revolution eines Tages möglich machen.
In diesem zähen und langfristigen Kampf, werden die Menschen heranreifen
und sich soweit emanzipieren, dass sie nicht nur der Bourgeoisie den letzten
Tritt geben, der notwendig ist, um deren Herrschaft zu beenden, sie werden dann
auch so gefestigt sein, dass sie jeden faschistischen – aber auch stalinistischen – Machtanspruch
abschmettern. Es ist allerdings ein Wahnwitz, jetzt zu glauben, man könnte
den Kapitalismus über den Kampf um Demokratie oder gar über den Parlamentarismus
auf friedliche Weise beseitigen. Es ist ein Traum, zu glauben, dass man friedlich
Stück für Stück vom Kapitalismus in den Sozialismus wandern kann.
Ein Traum, der für die chilenischen Genossen zum Alptraum geworden ist.
Als ob es jemals eine herrschende Klasse gab, die ruhig zusah, wie man ihr den
Besitz, den Profit und das Recht auf Ausbeutung wegnahm. Alle herrschenden Klassen
verteidigen diese, ihre Privilegien, bis zum Schluss mit äußerster
Brutalität. Dafür haben sie ganze Völker ausgerottet und ausgeplündert.
Kein Mittel und keine Methode ist den Herrschenden fremd, wenn es darum geht,
ihre Macht zu erhalten. Deshalb macht der Kampf um Demokratie die Revolution
nicht überflüssig, denn letztlich kann es ohne die Beseitigung des
Kapitalismus keine sozialistische Demokratie geben.
Da Parteien und Namen innerhalb der kapitalistischen Strategie keine Rolle spielen,
könnte der Name Lorenz auch ersetzt werden. Namen spielen nur insofern eine
Rolle, wie diese Politiker auch persönlich Verantwortung tragen und wie
sie persönlich an der Korruption teilhaben. Wer zum Beispiel ist Peter Lorenz,
warum wurde er gerade mitgenommen? Was für eine Bedeutung hatte er?
Lorenz als Vorsitzender der Berliner CDU und damaliger Parlamentsvizepräsident
war – im großen politischen Rahmen gesehen – von geringer Bedeutung.
Seine Bedeutung lag zur damaligen Zeit einfach darin, dass laut bürgerlicher
Wahlanalyse die CDU stärkste Partei in Westberlin werden sollte. Also konnte
es sich eine Regierungspartei überhaupt nicht leisten, einen Vorsitzenden
der Opposition – die auch noch den stärksten Zuwachs bei bürgerlichen
Wahlen bekommt – zu opfern. Die Bevölkerung hätte sich dann nämlich
gefragt, ob da nicht ein lästiger Konkurrent geopfert wird, und zwar nicht,
um die Autorität eines Staates zu retten, sondern um auf langfristig die
eigene Partei zu stärken.
Mit dieser Konstellation begann die Zwickmühle für die Regierung, und
sie sollte sich noch weiter zuziehen. Sie setzte sich fort, in dem durch die
Wegnahme eines Oppositionspolitikers von Anfang an ein Keil zwischen Regierung
und Opposition getrieben wurde. Die CDU wollte ihren Mann mit Sicherheit nicht
opfern, also war eine Einheitsfront der staatstragenden Parteien – gegen
einen Austausch – solange unmöglich, solange die Bewegung 2. Juni
die gestellten Bedingungen nicht ins Unrealistische steigerte. Das war, wie wir
ja wissen, nicht der Fall. Im Gegenteil, eher kann man die Forderungen der Bewegung
2. Juni als zu bescheiden ansehen.
Nun, das waren aber nicht die einzigen Gründe, warum der gegenseitige Austausch
von Gefangenen geklappt hat. Es können auch nicht die einzigen Gründe
gewesen sein, warum P. Lorenz die Ehre hatte, der erste politische Gefangene
zu sein, der nicht von staatstragenden Kräften eingesperrt wurde. Das P.
Lorenz besonders fotogen ist – mag zwar stimmen – darf aber kein
Haftgrund sein.
Wie wir seinen Aussagen entnommen haben, hat die Bewegung 2. Juni ihm während
der Gespräche oder Verhöre vorgeworfen, eine Reise ins besetzte Palästina
unternommen zu haben. Er hat dort Verhandlungen mit Mitgliedern der zionistischen
Regierung über wirtschaftliche und politische Unterstützung für
das kolonialistische Gebilde, das sich selbst Israel nennt, geführt.
Diese gegen das Völkerrecht verstoßene Politik hat P. Lorenz hier
im Gerichtssaal mit der Bemerkung – das jüdische Volk müsse doch
irgendwo im Frieden leben können – zugegeben. Das ist die allgemein
gängige Version, die uns ständig von den Propagandamühlen der
staatstragenden Medien unter die Nase gerieben wird. Da stehen P. Lorenz und
die CDU wahrlich nicht allein. Auch wir gönnen den jüdischen Menschen
Frieden, Wohlstand und eine Heimat. Aber nicht auf Kosten des arabischen Volkes
von Palästina. Nicht auf Kosten zerbombter Flüchtlingslager, ermordeter
Kinder, die oft durch mit Sprengstoff gefülltem und über den Lagern
abgeworfenem Spielzeug zerrissen werden. Nicht auf Kosten eines besetzten Gebietes,
wo das heimische Volk nur mit Passierscheinen leben kann und aller Menschenrechte
beraubt ist.
Nicht das Volk Palästinas hat den jüdischen Menschen etwas getan. Es
waren die Deutschen, die die jüdischen Menschen ausrotten wollten, und es
ist das palästinensische Volk, das die Auswirkungen der deutschen Verbrechen
zu spüren bekommt. Ein schlechtes Gewissen gegenüber den jüdischen
Menschen darf noch lange kein Grund sein, die Verbrechen Israels zu decken und
zu finanzieren. Schlechtes Gewissen wird auch nur von der Propaganda vorgeschoben.
Die wahren Gründe der Finanzierung Israels hat die Bundestagsfraktion der
KPD in der zweiten Lesung über das Luxemburger Abkommen 1953 unter anderen
so dargelegt:
'Unter dem Namen der Wiedergutmachung erhalten also die Industriellen Israels
aus Westdeutschland alles, was sie zum Ausbau ihrer Grundindustrie benötigen.
Die Tatsachen beweisen, dass dieses Abkommen mit einer Wiedergutmachung, auch
nicht das geringste zu tun hat .., dass die einzelnen Verfolgten in Israel
von den drei Milliarden Mark auch nicht einen einzigen Pfennig erhalten, die
Industriellen dagegen ein glänzendes Geschäft machen. Aber nicht nur
die sind die Nutznießer aus diesem Abkommen, sondern vor allem die Herren
aus der amerikanischen Rüstungsindustrie und Hochfinanz ... nicht aus
Gründen der Humanität und Menschenfreundlichkeit. Es sind sehr reale
Gründe für diese Politik maßgebend. Es sind die amerikanischen
Imperialisten, die sich im vorderen Orient einen starken strategischen und militärischen
Stützpunkt verschaffen ..., mit Hilfe der Industrieausrüstungen
aus Westdeutschland wollen die Amerikaner also den in ihren Händen befindlichen
Staat Israel zur rüstungsmäßigen und operativen Basis ausbauen ...‘ (Ende
des Zitats)
Das war 1953 und hat noch heute seine Gültigkeit. Weil Israel von unseren
Medien als imperialistischer Kettenhund geschätzt und geschützt wird,
erfahren wir nichts über die Massaker Israels an Frauen und Kindern, heute
in den Flüchtlingslagern, damals 1948 in Deir Yassim und Katamon.
Die Massaker von Deir Yassin und Katamon sind nur zwei von unzähligen, begangen
an der arabischen Bevölkerung, sie sind nur deshalb so von Bedeutung, weil
sie die Vertreibung der Araber Palästinas eingeleitet haben, und weil sie
vom heutigen Ministerpräsidenten Israels, Menachem Begin, befohlen wurden.
Man muss sich die Massaker und zerbombten Flüchtlingslager vor Augen halten,
um zu begreifen, mit was für Leuten P. Lorenz in Israel zusammengetroffen
ist.
Da die PLO – die einzige rechtmäßge Vertreterin des palästinensischen
Volkes – das besetzte Palästina unter Kriegsrecht gestellt hat, macht
sich jeder der das zionistische Gebilde moralisch oder materiell unterstützt,
zumindest der Unterstützung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit schuldig. Wer über Aktionen des palästinensischen Widerstands
urteilt, sollte sich mal mit der Stellungsnahme der Matzpen – einer sozialistischen
Organisation in Israel – vom 22. März 1968 beschäftigen. Allerdings,
und das muss an dieser Stelle betont werden, meinen wir Aktionen, die vom palästinensischen
Widerstand und nicht von irgendwelchen Palästinensern in irgendwelchem Geheimdienstauftrag,
getragen werden.
Hier teilweise zitiert: „Es ist das Recht und die Pflicht eines jeden unterdrückten
Volkes, die Okkupation zu bekämpfen und für seine Freiheit einzustehen.
Mittel und Wege dieses Kampfes werden vom Volk selbst bestimmt, und es ist heuchlerisch
von Außenstehenden, besonders wenn sie der unterdrückenden Nation
angehören, den Unterdrückten diktieren zu wollen, was sie zu tun oder
zu lassen hätten. Ausgehend von der bedingungslosen Solidarität mit
der Gesamtheit der unterdrückten und okkupierten Bevölkerung in ihrem
Befreiungskampf, unterstützt Matzpen im Besonderen nur solche Organisationen,
die ebenfalls das Selbstbestimmungsrecht der Juden Israels für die nachzionistische
Zeit anerkennen. Auf dieser Grundlage kann sich ein gemeinsam jüdisch-arabischer
Kampf für eine bessere Zukunft miteinander entwickeln“ (Ende des Zitats)
Das Programm der PLO, von Arafat in seiner Rede vor der UNO erläutert, sieht
ein demokratisches Palästina vor, in dem Juden, Moslems und Christen in
Frieden und Gleichheit mit- und nebeneinander leben werden und es deckt sich
in einigen Punkten mit den Programmen der antiimperialistischen und antizionistischen
Juden in Israel.
Dadurch, dass die Bewegung 2. Juni die moralische und materielle Unterstützung
für Israel durch P. Lorenz und die CDU noch einmal deutlich gemacht hat,
hat sie dafür gesorgt, dass zumindest ein wenig mehr über die palästinensische
Revolution nachgedacht wird. Ein weiterer Punkt, den die Bewegung 2. Juni P.
Lorenz vorgeworfen hat, ist die Unterstützung des Folterregimes von Pinochet
in Chile. P. Lorenz hat das von sich gewiesen, weil ja auch Christdemokraten
in Chile verfolgt werden. Nun ja, sie werden die Geister, die sie riefen, nicht
mehr los. Noch Wochen nach Allendes Ermordung haben führende chilenische
(und nicht nur chilenische) Christdemokraten den Putsch begrüßt und
gehofft, die Militärs würden den Christdemokraten die verlorene Macht
wieder zurückgeben.
Jetzt, wo sich abzeichnet, dass die Militärs auch keine Christdemokraten
mitregieren lassen, da regt sich auch von dieser Seite Widerstand und nun sind
auch sie Verfolgungen ausgesetzt. Nach allem, was P. Lorenz von sich gegeben
hat, kann man ihm persönlich abnehmen, dass er das Regime in Chile ablehnt.
Aber er gehört einer Partei an und dieser kann das niemand abnehmen. Es
gibt einen Bruno Heck, und es gibt einen Vorsitzenden einer Schwesterpartei – einen
Strauß –, die in Chile waren und das Folterregime als durchaus legitim
ansahen. Heck, der die Fußballstadien besichtigte und sie luftig und voller
Sonnenschein antraf und die in diesen Stadien bestialisch Ermordeten verhöhnte.
Und es gibt einen Spruch, den Strauß in Chile abgelassen hat und den wir
hier unkommentiert wiedergeben: „Wenn behauptet wird, Allende sei ermordet
worden, dann muss man das auch von den Gefangenen in Stammheim sagen!“
Wir können uns nicht daran erinnern, je einen öffentlichen Aufruf von
P. Lorenz gegen das Regime in Chile gelesen zu haben, wir können uns auch
nicht daran erinnern, dass P. Lorenz je eine Petition unterschrieben hat. Das
kann er auch gar nicht, weil die imperialistischen Industriekreise, die die CDU
unterstützen, sofort für die Beendigung seiner politischen Laufbahn
gesorgt hätten.
Gegen den nächsten Vorwurf der Bewegung 2. Juni hat P. Lorenz den ganzen
Charme der Scheinheiligkeit von Berufspolitikern aufgefahren. Wieso sollte auch
gerade er Mitschuld an der Aufrechterhaltung des diskriminierenden Paragraph
218 haben? Er, der Privatmann P. Lorenz trat hier auf, als ob er nichts, aber
auch gar nichts von dem weiß, was er als ein Landesvorsitzender der CDU
mitzuverantworten hat. Als ob es nie Programme und Gesetzesvorlagen der CDU gab.
So aufzutreten, da gehört schon eine Portion Frechheit zu. War es nicht
die CDU – unterstützt von der Kirche – die alle Frauen zu Mörderinnen
stempelte, bloß weil die es wagten, abzutreiben. Es also wagten, über
ihren Körper und ihr Leben selbst zu bestimmen. Wie viele Frauen bei illegalen
Abtreibungen ihr Leben und ihre Gesundheit in irgendwelchen Hinterstuben aufs
Spiel gesetzt haben, zu denen sie gerade durch das CDU-Gesetz getrieben wurden,
ist nirgends festgehalten, dürfte aber auch den ahnungslosen Herrn Lorenz
erschrecken, falls er sich je die Mühe macht, die Zahl zu ermitteln. Wie
wir ihn kennen, wird er sich diese Mühe nicht machen.
Es ist noch heute die CDU, die – nach der durch die Frauen erkämpften
Reformierung des Paragraph 218 – Ärzte auffordert, Abtreibungen abzulehnen.
Die damit Mitschuld trägt, wenn ein Teil der zur Abtreibung zugelassenen
Frauen in den Kliniken mit Methoden behandelt werden, die nicht selten einer
Misshandlung gleichkommen. Der Paragraph 218 bleibt auch nach der Reformierung
eine einzige Diskriminierung, weil er den Frauen noch immer verweigert, über
ihren Körper selbst zu bestimmen.
In einem Klassenstaat ist es nur zu logisch, dass Frauen aus sozial schwächeren
Schichten von dieser Diskriminierung besonders betroffen sind. Frauen von Parlamentariern
haben da schon andere Möglichkeiten, die sie im Ausland oder beim Hausarzt
finden.
Nun der Paragraph 218 hat etwas mit dem System in der BRD gemeinsam: beide werden
eines Tages von der Bildfläche verschwinden.
Das waren alles nur ein paar Vorwürfe gegen P. Lorenz und die CDU und es
hätte auch Schütz und die SPD oder Oxford und die FDP heißen
können, aber hier hat sich die Taktik einer Aktion anscheinend an Peter
Lorenz gehalten. Heute an die Aktion ranzugehen, ohne die Flugschrift der Bewegung
2. Juni – die Entführung aus unserer Sicht – zu berücksichtigen,
geht nicht. Genauso wenig geht es heute, vier Jahre danach, noch genauso euphorisch
heranzugehen, ohne all das zu berücksichtigen, was seitdem passiert ist.
Eine nüchterne Betrachtung der Aktion hat bis heute nicht stattgefunden.
Entweder wird sie als Bullenaktion diffamiert oder als großartig proletarisch
bejubelt.
Eine Bullenaktion war sie schon deshalb nicht, weil sich Bullenaktionen immer
gegen das Volk richten, niemals aber gegen die Herrschenden. Ob die Aktion nun
proletarisch war, darüber lässt sich streiten. Eher war sie populistisch,
im wahrsten Sinne des Wortes, volkstümlich. In der Aktion steckten die Elemente,
die jedes Volk besitzt, das sich wehrt, Phantasie, Entschlossenheit, List und
Witz. Durch den reibungslosen Ablauf der Aktion und angesichts der politischen
Umstände jener Tage (die Wahl), waren die Herrschenden gezwungen, die Bewegung
2. Juni vorübergehend als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Damit hatte
die Bewegung 2. Juni bereits eins der politischen Ziele erreicht.
Zum nächsten Ziel dieser Aktion – der Befreiung von Gefangenen – muss
wohl mehr gesagt werden. Denn man kommt an diesem Punkt nicht mehr an der zum
Teil praktizierten These vorbei, dass Gefangenenbefreiung Taktik und Strategie
jeder Guerilla sei. Wenn Gefangenenbefreiung Taktik und Strategie der Bewegung
2. Juni gewesen wäre, dann hätten besser nicht die Gefangenen die Koffer
gepackt, sondern die, die die Aktion durchgeführt haben. Wer solch einen
Quatsch im Kopf hat und den politischen Kampf nur noch auf Gefangenenbefreiung
ausrichtet, sollte sich vorläufig vom bewaffneten Kampf fernhalten. So wie
die Aktion durchgeführt wurde, wurde deutlich, dass die Bewegung 2. Juni
solch einen gefährlichen Unsinn nicht im Kopf hatte.
Das Schlimmste, was im politischen Kampf passieren kann, ist, dass man das politische
Ziel aus den Augen verliert oder aufgibt. Dann ist es nicht mehr weit und man
gibt sich mit Teilerfolgen zufrieden und funktioniert die Teilerfolge zum Ziel
um. Was vorher und real Taktik war, ist dann nicht mehr Teil der Strategie, sondern
verselbständigt sich und wird zur Strategie aufgeblasen. Das Niederlagen
damit vorprogrammiert sind, ist klar. Eine Guerilla, deren Taktik und Strategie
die Befreiung von Gefangenen sein soll, macht sich nicht nur lächerlich,
sie lädt den Feind geradezu ein, die Gefangenen zu ermorden. So ne Guerilla
wäre vom Feind immer über Druck auf die Gefangenen erpressbar oder
bei Ermordung sogar ausschaltbar. Was soll denn eine Guerilla dann noch machen,
wenn sie ihrer Taktik und Strategie beraubt wird? Knast ist immer nur ein Teil
des Unterdrückungsapparates, die letzte Stufe der Repressionsleiter, die
härteste für die, die sich noch wehren können. Knast soll sie
abschrecken, die sich nicht schon durch Familie, Schule, Uni, Fabrik oder im
Stadtteil einschüchtern lassen. Dort überall reicht der lange Arm der
Repression hin und unterdrückt und kontrolliert die Menschen über Lehrer,
Meister, KOB‘s und neuerdings über Computer.
Knast ist kein Motor der kapitalistischen Maschinerie, er ist auch nicht deren
Hauptsicherung, die alles zum Stehen bringt, falls sie durchknallt. Knast ist
eine Sicherung unter vielen. Jedoch stört jede durchgeknallte Sicherung
den reibungslosen Ablauf der Maschinerie, ist sozusagen ein Störfall. Doch
daraus zu schließen, das System würde untergehen, falls es uns gelingt,
alle Knäste in Schutt und Asche zu legen, ist eine totale Verkennung der
Realitäten.
Erst wenn das System der Ausbeutung von Menschen durch den Menschen mit seinen
ganzen Herrschaftsmechanismen zerstört ist, wird die Zerstörung von
Knästen auch von Dauer sein. Weil der Kampf gegen die Knäste nur ein
Aspekt des gesamten Kampfes ist, kann die Befreiung der Gefangenen heute nur
eine Taktik im gesamten Kampf sein, der darauf abzielt, die Ohnmacht der Menschen
gegen die Allmacht und das Gewaltmonopol des Systems aufzuheben.
Die Befreiung von Gefangenen nun zur Strategie zu erklären, hieße,
die Unterdrückung in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen zu ignorieren,
hieße auch, die kapitalistische Maschinerie nicht zu durchschauen. Ignoranz
und mangelnder Überblick sind immer Triebkräfte der eigenen Niederlage.
Wir müssen bei einer Aktion alles im Auge haben, was den gesamten Widerstand
in der BRD beeinflussen könnte. Wir wollen die Auswirkungen einer Aktion
selbst bestimmen und sie nicht dem Zufall überlassen.
Sollten uns aber die Auswirkungen einer Aktion auf die gesamte Linke von vornherein
egal sein – so nach dem Motto, nach mir die Sintflut – dann dürfen
wir uns aber auch nicht wundern, wenn uns die Niederlagen hinweg spülen.
Sind uns die Auswirkungen egal und unsere Fehler wiederholen sich permanent,
dann werden wir uns von der Basis isolieren. Wir werden dann nicht Teil des gesamten
Widerstandes, sondern unsere Aktionen isolieren uns immer mehr. Sie bekommen
eine innere Dynamik und verselbständigen sich, werden nur noch um ihrer
selbst willen gemacht. Dann zeichnet sich das Ende solch einer Guerilla auch
schon ab.
Wenn es uns aber darauf ankommt, den bewaffneten Widerstand zu verankern, ihm
eine solide Basis zu verschaffen, dann müssen wir in der Lage sein, den
strategischen Wert einer (taktischen) Aktion richtig einzuschätzen. Der
Kampf um die Gefangenen bleibt immer ein Teil des gesamten Kampfes und als Teil
hat er sich an dem gesamten Widerstand zu orientieren. Man kann nicht einen Teilbereich
des Kampfes (hier den Knast) herausgreifen und ihn zum Ganzen erklären.
Eine Gruppe, die das doch tut und zum Beispiel die Lorenzaktion zur Strategie
erklärt, die will sich selbst aufbauschen, die will eine Wichtigkeit hervorheben,
die sie nicht hat. Eine Gruppe, die sich wichtiger nimmt als sie ist, die verliert
den politischen Überblick und bereitet ihren politischen Irrweg vor.
Wenn wir denen, die einen Teil des Kampfes zum Ganzen erklären, ein Stück
Kuchen in die Hand drücken und ihnen sagen, das hier ist der ganze Kuchen,
dann würden sie wohl maulen und merken, dass ein Teil weniger ist als das
Ganze. In der „Entführung aus unserer Sicht“ steht ziemlich
deutlich, dass sich die Bewegung 2. Juni als Teil des allgemeinen Widerstandes
begreift. Als Teil, weil ihr klar ist, dass Guerilla nichts anderes als eine
Methode des politischen Kampfes ist, eine Methode unter vielen.
Da die Bewegung 2. Juni sich so begreift, ist auch anzunehmen, dass sie es sich
vorher überlegt hat, ob die Aktion mehr negative oder positive Folgen für
die Linken haben würde. Da ist eine Frage, die beantwortet werden muss;
was hat die Aktion ausgelöst? Sie hat neben der Anerkennung als Verhandlungspartner,
der Befreiung von sieben Gefangenen, die Resignation in weiten Teilen der Linken
aufgebrochen und vielen Genossen – aber nicht nur denen – gezeigt,
dass das System zwar die Macht hat, diese Macht aber nicht mehr unantastbar ist.
Die Bewegung 2. Juni hat gezeigt, dass es möglich ist, dem Regime der BRD
eine Schlappe zuzufügen. Das ist, die sich nach innen und außen so
sicher geben, die Deutschland als Modell der Sicherheit und Ordnung präsentieren,
dass die nach dieser Aktion nicht mehr mit so einem arroganten und polierten
Image rumlaufen konnten. Klar, der Staat ist davon nicht demoralisiert oder gar
schwer angeschlagen worden, so leicht ist das leider nicht. Aber sein Gewaltmonopol
wurde durchbrochen. Es musste einfach durchbrochen werden, um allen Leuten – die
in diesem Land von Berufsverboten, von einem fast perfekten Überwachungsapparat,
von Arbeitslosigkeit, vom Knast, von Horrorstadtteilen, von einer zerstörten
Umwelt betroffen sind, Hoffnung und Mut zu machen.
Für diese Menschen war die Niederlage des Systems ein Stück Genugtuung
und Ansporn. Genauso war die Aktion für die Befreiungsbewegungen in der
Dritten Welt eine Genugtuung, mitzuerleben, wie die so mächtige BRD durch
eine innere Opposition eine Niederlage zugefügt bekam. In dem Maße,
wie der BRD-Imperialismus selbständiger wird und immer offener auftritt,
die Menschen in diesen Ländern als medizinische Versuchskaninchen benutzt – so
wie Schering in Südamerika Versuche mit der Anti-Baby-Pille an indianischen
Frauen durchgeführt hat, so wie Rollei die Bevölkerung in Singapur
ohne sozialen Schutz ausbeutet oder Siemens seine Atomanlagen in Südkorea
ohne die – für die BRD notwendigen – Schutzanlagen in Betrieb
nimmt, die BRD-Regierung die feudalen und faschistischen Regimes in diesen Ländern
mit Geld und Waffen unterstützt, in dem Maße wird es klar, warum die
Befreiungsbewegungen über jeden Funken Widerstand im Herzen des Imperialismus
froh sind.
Denn sie wissen, dass letztlich die Hauptschlacht gegen den Imperialismus, seine
totale Niederlage, nur im Herzen der Bestien selbst laufen kann. Ob die Bewegung
2. Juni für die Lorenz-Aktion Unterstützung von Befreiungsbewegungen
oder anti-imperialistischen Staaten bekommen hat, das rauszukriegen, soll Aufgabe
staatlich bezahlter Spekulanten bleiben. Unsere Aufgabe ist es, festzuhalten,
dass die Gefangenen in das Land ihrer Wahl geflogen und aufgenommen wurden. Und
dass die Volksrepublik Jemen eine ganze Menge Geld ausgeschlagen hat, das ihr
im Falle einer Rückführung von der Regierung der BRD angeboten wurde.
Wer die Armut kennt, die der englische Imperialismus im Jemen hinterlassen hat,
der kann die Handlungsweise der Volksrepublik erst richtig schätzen lernen.
In den Hirnen kapitalistischer Politiker muss es wohl gewaltig rumort haben.
Da kommen sie mit ihrem Geldsäckel über tausende von Kilometern angereist
und glauben, dass alles auf der Welt käuflich ist. Doch sie rannten gegen
eine Wand und mussten erkennen, dass ihre eigene erbärmliche Käuflichkeit
nicht auf eine sozialistische Regierung zu übertragen ist.
Denn die stand zu ihrem Wort; und dieses Wort hieß Aufnahme und volle Bewegungsfreiheit
für die befreiten Gefangenen.
Wir wollen auch auf die negativen Folgen der Lorenzaktion eingehen. Die Wut des
Regimes hat sich nach der Freilassung von Lorenz natürlich gegen Menschen
ausgetobt, die aus den Zwängen des Systems ausbrechen wollen. Gegen Jugendliche,
die ihr Leben selbst organisieren wollen. Die Exzesse der Bullen im Weissbecker-
und Rauch-Haus sind Beleg dafür.
Der Versuch, die legale Linke und alle Menschen, die überhaupt aus dem bürgerlichen
Rahmen fallen, durch Razzien, Wohnungsdurchsuchungen und Bedrohungen einzuschüchtern,
sind weitere Belege. Teilweise waren viele Genossen nach der Freilassung von
Lorenz von Repressionswellen wie gelähmt. Die Freude über die befreiten
Gefangenen schien in Resignation umzuschlagen. Der Staatsapparat wollte Macht
demonstrieren, wollte nach seiner Niederlage den Widerstand in dieser Stadt in
die totale Defensive drängen. Es sollten nicht nur die bewaffneten Kämpfer
der Bewegung 2. Juni getroffen werden, man wollte in einem Abwasch alle zum Schweigen
bringen, die dieser Gesellschaft kritisch gegenüberstehen.
Aber solange der Staatsapparat mit seinen Schlägen erfolglos blieb, musste
er aus allen Teilen der Bevölkerung Kritik einstecken. Darunter auch von
Leuten, die die Lorenzaktion total ablehnten. Da der Staatsapparat zu dieser
Zeit schon Kritik aus den eigenen Reihen schlucken musste und die Bevölkerung
ihn in zunehmendem Maße verscheißerte, ist es ihm selbst gelungen,
den von der Bewegung 2. Juni provozierten Riss zwischen Staatsgewalt und Volk
zu vergrößern. Er führte die Brutalität der legalen staatlichen
Gewalt zu einer Zeit und in aller Öffentlichkeit vor, wo es für alle
eine Vergleichsmöglichkeit zur revolutionären Gewalt der Unterdrückten
gab. Ein Fehler, der für den Staatsapparat zum Schlag ins Wasser führen
musste. Es wäre aber trotzdem erfolgreich gewesen, wenn es ihm gelungen
wäre, durch sein geballtes Auftreten Resignation und Ohnmacht zu verbreiten.
Die Lorenzaktion wäre so nachträglich isoliert und zu einem Eintagserfolg
degradiert worden.
Genau in der Phase des staatlichen Gegenschlags hat die Bewegung 2. Juni die
Lorenzaktion durch die Flugschrift: „Die Entführung aus unserer Sicht!“ der
Linken und der Bevölkerung zusätzlich vermittelt. Vermittlung einer
Aktion ist immer wichtig, sie ist es aber besonders dann, wenn der Gegner drauf
und dran ist, die Aktion durch seine Gegenpropaganda in den Dreck zu ziehen.
Dass es überhaupt möglich war, eine Flugschrift in diesem Umfang und
in dieser Größenordnung zu verteilen, zeigt nur die Basis und die
damalige Verankerung der Bewegung 2. Juni auf. Ohne diese Basisnähe wäre
es unmöglich gewesen, in der politischen Offensive zu bleiben und der politischen
Führung in dieser Stadt eine weitere Niederlage zuzuführen. Hatte sie
doch ihren gesamten Apparat auf die Straße gehetzt, hatte versucht, viele
Menschen einzuschüchtern und musste doch mit ansehen, wie die Bewegung 2.
Juni unter den Augen der Bullen – die hier immerhin die größte
Dichte in der Welt besitzt – Flugschreiben verteilt. Das Verteilen der
Flugschrift hat Stärke vermittelt und das Aufkommen von Resignation verhindert.
Es hat den Staat nicht Macht, sondern seine eigene Ohnmacht darstellen lassen.
Durch das Verteilen wurde sehr vielen Leuten die Möglichkeit der Identifikation
mit der Bewegung 2. Juni erleichtert. Denn dadurch wurden sie Teil der Aktion
und haben auch ihren Teil zum Sieg beigetragen. Das soll nun aber nicht so verstanden
werden, dass wir die Lorenzaktion als Erfolgsrezept zur schematischen Nachahmung
empfehlen. Schematismus ist nicht nur langweilig, sondern auch gefährlich.
Wer schematisch handelt, vergisst, dass sich die Bedingungen bei Aktionen nicht
blind von einer politischen Situation auf die nächste übertragen lassen.
Schließlich lernt auch der Gegner dazu und reagiert nicht immer gleich.
Der Gegner, der dazu lernt, ist ein Aspekt. Der wichtigere jedoch ist, dass sich
die politischen Bedingungen oft schon durch die Aktion verändern. So stellt
sich für die Akteure die Frage, ob sie die Entwicklung der politischen Bedingungen
vorher richtig analysiert und auch gewollt haben. Wenn ja, dann entwickelt sich
alles zugunsten der Aktivisten, dann behalten sie das wichtigste bei solchen
Aktionen überhaupt: die Initiative. Haben sie die Entwicklung allerdings
nicht gewollt beziehungsweise nicht vorhergesehen, dann verlieren sie die Initiative
an den Gegner. Die Aktion hat dann ein Stadium erreicht, wo sich jede Gruppe
oder Kommando überlegen muss, ob es möglich ist, die Initiative zurück
zu gewinnen, oder ob es nicht besser ist, die Aktion zu beenden.
Die Bewegung 2. Juni hatte bei Lorenz nicht einen Augenblick lang die Initiative
aus der Hand gegeben. Selbst da nicht, wo es so aussah, wo sie Bedingungen der
Polizei erfüllte, tat sie es so, dass der Eindruck, die Polizei hätte
nun die Initiative, nie entstehen konnte. Im Gegenteil, die Polizei musste alle
Mitteilungen des 2. Juni öffentlich machen und damit klarstellen, dass die
Initiative weiter beim 2. Juni lag. Eine Guerilla kann es sich nicht leisten – will
sie keine Niederlage einstecken – die Initiative während der Aktion
aus der Hand zu geben.
Die Bewegung 2. Juni hätte zum Beispiel nie dem Polizeiapparat – nach
der Lorenzaktion – durch neue, ähnliche Aktionen die Initiative entreißen
können, das hätte unweigerlich zu einer fürchterlichen Schlappe
geführt. Die Bewegung 2. Juni konnte aber ihre politische/militärische
Initiative durch die Verteileraktion in einer neuen politischen Form präsentieren.
Das Verteilen der Flugschrift nach der Aktion war nichts anderes als das Beibehalten
der Initiative im neuen politischen Gewande. Man kann fast sagen, dass hier einem
Lehrsatz von Clausewitz und Mao gefolgt wurde. Denn wenn eine Guerilla mit dem
Rücken zur Wand steht, die Umzingelung durch den Feind immer mächtiger
wird, dann sollte sie ja nicht versuchen, diese Umzingelung durch die Erhöhung
des militärischen Einsatzes zu sprengen.
Vielmehr sollte sie neue politische und politisch/militärische Formen suchen
und darüber das Bewusstsein der Menschen erobern. Der Gegner wird zwar immer
versuchen, uns mit dem Rücken an die Wand zu drücken, uns von allem
und jedem zu isolieren, uns durch seine Umzingelung so zu erdrücken, dass
wir einen Ausweg aus eine solcher Situation nur noch im direkten Kampf gegen
seinen – überlegenen – Staatsapparat sehen sollen. Wenn es zu
einer spektakulären Situation kommt, dann wird er es noch stärker versuchen
und die Ansatzpunkte, die er durch solche Aktionen bekommt, voll gegen uns auszunutzen.
Seine Aufgabe ist es, uns auf seine „Schlachtfelder“ zu drücken
oder zu locken, da, wo er Form und Inhalt des Kampfes diktiert und wo wir wegen
seiner totalen Überlegenheit nur untergehen können. Und das ist keineswegs
nur militärisch zu verstehen sondern auch politisch. Denn wenn wir diesen
Kampf annehmen, dann haben wir bereits den politischen Fehler begangen, der sich
dann in einer militärischen Niederlage nur noch ausdrückt. Für
uns heißt es, wenn der Gegner uns umzingeln will, auszuweichen. Wenn er
uns auf sein Gebiet locken will, der Verführung widerstehen und insgesamt
die politische Initiative dort ergreifen, wo er nicht drauf gefasst ist oder
wo er es trotz seiner militärischen Überlegenheit nicht verhindern
kann.
Einem Gegner ausweichen kann aber nur der, der sich nicht auf ein dogmatisches
Konzept oder Rezept beruft, sondern flexibel genug ist, die Verschiebungen beim
Gegner mit zu berücksichtigen und notfalls die Strategie – wohlgemerkt
die Strategie und nicht das Ziel – zu ändern. Als neue politische
Initiative müssen auch die beiden Aktionen betrachtet werden, die hier unter
den Begriff Negerkussbanken laufen. Es wird zwar allgemein angenommen, dass es
nur Spaß war, die Negerküsse zu verteilen. Das ist aber ein Irrtum.
Vermutlich hat es auch Spaß gemacht, viel wichtiger war aber, dass die
Bewegung 2. Juni nach der Lorenzaktion nochmals deutlich machte, dass sie bei
Aktionen – und auch sonst – Bonzen und Unbeteiligten unterschiedlich
gegenübertritt. Der eine wird entführt, der andere kriegt Negerküsse.
Eine sozialrevolutionäre Gruppe überzeugt nicht nur durch die Stoßrichtung
der Aktion – also den Inhalt – sondern sie wirbt auch durch die Form
des Auftretens für sich. Und für richtige Inhalte sind auch nicht beliebig
viele Formen verfügbar. Zu einer Zeit, wo der Staatsapparat immer wieder
seine Propaganda darauf abrichtete, dass Aktionen zur Gefangenenbefreiung nicht
nur Figuren wie Lorenz, sondern auch jede Blumenfrau von der Ecke treffen könnte,
war es besonders wichtig, eine Form des Kampfes zu wählen, die den Inhalt
revolutionärer Politik transparent machen und die Staatspropaganda leer
laufen lassen sollte. Unbeteiligte werden durch Aktionen der Bewegung 2. Juni
nicht bedroht; das zu vermitteln war und ist wichtig.
Wenn sich die unterdrückten Teile der Bevölkerung durch unsere Aktionen
bedroht fühlen, dann werden sie unser Feind und werden mit dem Staatsapparat
gegen uns zusammenarbeiten. Gelingt es uns aber, Sympathien zu wecken, dann werden
wir sie für uns gewinnen oder aber sie zumindest neutralisieren. Gerade
eine Stadtguerilla, die keine befreiten Gebiete wie eine Landguerilla hat, muss
noch gesteigerten Wert auf die Zustimmung der Bevölkerung legen.
Eine schlagkräftige Stadtguerilla aufzubauen, steht nach wie vor auf der
Tagesordnung. Wir wollen allerdings nicht nur über Vergangenes reden. Die
Gegenwart und die Zukunft verdienen es auch mal, erwähnt zu werden. Allerdings,
eine Strategie liefern wir nicht. Wer die erwartete, wird wohl etwas enttäuscht
sein, aber wir können auch gar keine Strategie im Knast entwickeln. Dazu
reichen unsere Erfahrungen alleine nicht aus. Uns fehlt ganz einfach der Überblick über
die Gesamtsituation der Kämpfe draußen und uns fehlt die Praxis an
einigen wichtigen Punkten – ohne beides kann niemand eine Strategie entwickeln.
Es gibt genug bürgerliche Propagandisten, aber auch Genossen, die uns das
imperialistische Lager als Einheit ohne nennenswerte Widersprüche verkaufen
wollen. Als ein Lager, wo sich alles bedingungslos unter die Hegemonie der USA
stellt.
Als Beweis solcher Thesen müssen immer die für uns alle so schön
sichtbaren Bündnisse und sonstigen Vereine der Imperialisten herhalten.
Einmal die Nato, einmal die Trilaterale, einmal der IWF. All diese Bündnisse
stellen sich uns als Bündnisse der „friedlichen“ Aufteilung
der 3. Welt durch den imperialistischen Block dar. Nur, so friedlich verlaufen
diese Bündnisse der Imperialisten untereinander gar nicht. Zwar ändern
sich die Formen des Kampfes untereinander permanent und sind oft nur schwer auszumachen.
Wer aber die Statistiken des Waren- und Kapitalexportes der Imperialisten nicht
nur betrachtet, sondern untersucht, wird sehr schnell feststellen, dass der Stahl-,
Auto-, Textil- und Währungskrieg wie auch die Rüstung der Notwendigkeit
entspringen, die Interessen und Einflusssphären des eigenen Staates – als
Sachwalter des Kapitals – gegenüber den Konkurrenten auszubauen.
Und weil dieser Konkurrenzkampf aufgrund enger gewordener Märkte immer schärfer
wird, werden sich die Spannungen innerhalb des imperialistischen Lagers vergrößern.
Allerdings überwiegt demgegenüber das gemeinsame Interesse, den so
genannten „Freien Westen“ gegenüber den RGW-Staaten zu sichern,
möglichst zu erweitern. Die Politik des Kalten Krieges und der neuen Spannungsstrategie
gegenüber der Sowjetunion dient dazu, sie wirtschaftlich zu schwächen,
da sie beträchtliche Teile des Volkseinkommens in einen permanenten Nachrüstungswettlauf
stecken muss. Während Amerika zum Beispiel fünf Prozent seines Bruttosozialprodukts
für die Rüstung aufwendet, ist es der technologische Rückstand
der UdSSR, der ihr immerhin 17 Prozent des Bruttosozialprodukts für die
gleiche Rüstungsmenge abverlangt.
Und die Amerikaner wissen genau: solange die SU der amerikanischen Rüstung
hinterherlaufen muss und prozentual mehr als dreimal soviel von ihrem Volkseinkommen
aufwenden muss, solange kann die SU in der 3. Welt nicht agieren oder handeln,
wie sie es gern möchte. Gleichzeitig erfüllt die Spannungsstrategie
noch einen Zweck: den europäischen Nato-Verbündeten wird ein gefährlich
hochgerüsteter sowjetischer Gegner vorgeführt. Dieser hochgerüstete
und feindliche Gegner (fürs Kapital) erzeugt Angst und es erscheint nur
zu logisch, dass sich Westeuropa durch die Spannungsstrategie wieder mehr an
die USA kettet. So soll die alte imperialistische Einkreisungspolitik gegenüber
der SU – diesmal atomar – fortgesetzt werden und der SU strategisch
weiter – noch weiter – die Hände fesseln. Amerika will aber
zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die 2. Fliege ist die EG als wirtschaftlich
immer stärker werdender Konkurrent für die USA auf den immer enger
werdenden Märkten. Allein die BRD hat 1978 die Amerikaner vom ersten Platz
des Warenexports in der Welt verdrängt. Zudem hat die BRD die USA auch als
den größten Kapitalexporteur abgelöst.
Die BRD allein. Und wenn man bedenkt, dass sich der Trend der wirtschaftlichen
und politischen Konzentration innerhalb der EG fortsetzt, dann ist leicht zu
erkennen, was für ein potenter Konkurrent sich da für Amerika schon
entwickelt hat.
Wir stehen noch am Anfang der Spannungsstrategie und diese Entwicklung und auch
die Taktiken der einzelnen kapitalistischen Staaten sind nicht einwandfrei zu
durchschauen. Doch eins steht fest und zeichnet sich immer deutlicher ab: die
Amerikaner wollen den immer stärker werdenden EG-Imperialismus als Konkurrenten
schwächen. So sollte man auch nicht vergessen, dass in Amerika schon offen über
Krieg in Europa und deren wirtschaftlichen Nutzen für die USA diskutiert
wurde. Schließlich gibt es ja die Erfahrung des 2. Weltkrieges, daher ein
zerstörtes Europa.
Alles lernen, nichts vergessen!
Das hat uns Karl Liebknecht hinterlassen. Nicht zu vergessen, dass eine Rüstung,
die auf Hochtouren läuft, eine Krise, die im Innern der kapitalistischen
Staaten immer schärfer wird und die dadurch verstärkten Spannungen,
das Auslösen eines Krieges immer unkontrollierbarer machen. Da ist es dann
egal, ob es ein toter Thronfolger in Sarajewo, der Papst in Rom, der Konflikt
Irak-Iran, oder sonst ein im Verhältnis banaler Anlass ist. Solch ein Anlass
ist dann nur noch der Funke, der in total überfüllte Pulverfässer
fliegt und der die Erde in Brand steckt.
Alles lernen, nichts vergessen!
Alles lernen, heißt, die neuerliche Erfassung aller Wehrpflichtigen in
den USA, die offene Darstellung neuer Atomschlagstrategien durch die USA, die
Propaganda und die Witze über ein atomverseuchtes Teheran, die Neutronenbombe,
die Nato-Mittelstreckenraketen, den Ausbau und die erweiterten Aufgaben der BRD-Marine
als das zu begreifen und zu bekämpfen, was es immer war und ist, offene
Kriegsvorbereitungen.
Nichts vergessen, heißt, dass Kriege auch psychologisch vorbereitet werden
und das öffentliche Rekrutenvereidigungen genau diesem Ziel dienen. Jeder,
der sich diesen Rekrutenvereidigungen in den Weg stellt, hat, ob er das weiß oder
nicht, die Tradition der revolutionären Arbeiterbewegung aufgegriffen und
den politischen Geist Liebknechts und Luxemburgs wieder aufblühen lassen.
Der Feind steht im eigenen Land! Auch das ist von Liebknecht und so wahr wie
damals.
Immer wieder präsentiert uns das Kapital äußere Feinde, mal die
SU, mal die Ölscheichs, mal die Ayatollas, mal die japanische Industrie,
mal die Vietnamesen. Logisch, denn wenn die Krise die inneren Probleme des Kapitals
anwachsen lässt, dann wird ein äußerer Gegner gebraucht, damit
von der verstärkten Ausbeutung und Repression im eigenen Land abgelenkt
werden kann. Wenn wir uns ablenken lassen, dann kommt es zum Kampf der Völker
gegeneinander. Das haben wir zu verhindern, da verliert nur der kleine Mann.
Was wir wollen und anstreben, um den Krieg der Rassen zu verhindern, das ist
der Krieg der Klassen.
Klassenkampf im Herzen der Bestie ist die einzige Möglichkeit, Krieg und
Imperialismus ein für allemal zu beseitigen. Das hat auch der kapitalistische
Staat erkannt, deshalb sind für ihn alle die den Hauptfeind, die dem Wahnsinn
des Wettrüstens, dem Wahnsinn der nur an Profit orientierten und Mensch
und Natur zerstörenden Industrie, den kaputt machenden Stadtteilen und Wohnsilos,
den Fabriken, Schulen, Unis, kurz allen kapitalistisch durchstrukturierten Lebensbereichen
Widerstand entgegensetzen. Das Kapital hat erkannt, dass der Widerstand in allen
Lebensbereichen, der Kampf um Selbstverwaltung und Selbstorganisierung der Anfang
einer sozialen Revolte ist, die es gilt im Keime zu ersticken, bevor sie Wurzeln
schlägt und zur Revolution wird.
Für uns, die diesen Wahnsinn nicht nur stoppen, sondern beseitigen wollen,
kann es nicht darum gehen, den Kampf nur gegen die kaputten Stadtteile, den Kampf
nur gegen Atomkraftwerke oder nur gegen den Krieg zu propagieren. Das ist zu
wenig. Der Kampf muss sich in allen Lebensbereichen verstärken und sich
vereinen, mit dem Ziel die ökonomische und kulturelle Revolution von unten,
von der Basis her voranzutreiben, bis zur politischen Revolution.
Es reicht nicht aus, nur die politische Macht und den Staat der Herrschenden
zu zerschlagen. Wir müssen von Anfang an seine ökonomische Basis angreifen.
Wir werden erst Häuser besetzen und halten und dann Stadtteile. Wir werden
erst KOB’s aus den Stadtteilen schmeißen und dann die Bullen überhaupt.
Wir werden die Fabriken erst besetzen und sie selbstverwalten. Wir werden wie
die polnische Arbeiterklasse freie Gewerkschaften im Kampf erobern und sie selbst
organisieren, wir werden AKWs genauso wie alle Mittelstreckenraketen und sonstigen
Dreck verschrotten.
Wir werden alles dransetzen, damit sich die Widerstandskerne und Bereiche zu
einem Ziel, der sozialistischen Revolution vereinen. Denn nur in der Einheit
aller Rebellionen in dieser Gesellschaft haben wir die Chance, auch erfolgreich
die Befreiung aller zu erreichen. Und nur in der Einheit und im revolutionären
Kampf haben wir die Chance, den Wahnsinn eines begrenzten und unbegrenzten Atom-
oder sonstigen Krieges zu verhindern. Krieg dem Krieg, das heißt direkter
Angriff auf die Verhältnisse, die Kriege hervorbringen, das heißt
Krieg dem Kapitalismus. Für uns als dem bewaffneten Teil des Widerstandes
kann es nur heißen, sich am Kampf um die Einheit der Rebellionen in der
Gesellschaft zu beteiligen und uns in dem Kampf um die Lebensbereiche einzureihen.
Wir werden entweder Teil dieser Kämpfe, oder wir werden zur politischen
Bedeutungslosigkeit verkommen.
Schafft es der Gegner, uns von diesen Kämpfen zu isolieren, dann werden
wir alles tun, um die Fehler, die uns in solche Situationen bringen können,
genau und ehrlich aufzuarbeiten, damit sich der bewaffnete Kampf nicht verselbständigt
und zum Selbstzweck wird. Bewaffneter Widerstand, der sich als Teil des gesamten
Widerstandes definiert und begreift und die bewaffnete Aktion zum Nutzen des
gesamten Widerstandes einsetzt, wird sich der Gefahr einer Isolierung von Anfang
an entziehen. Der bewaffnete Kampf oder Stadtguerilla wird so, in Form und Inhalt,
die Politik des Widerstandes mit anderen Mitteln fortsetzen. Nur so werden wir
lernen, dass sich unsere Politik nicht nur aus bewaffneten Aktionen zusammensetzt.
Es ist auch nicht so, dass nun der bewaffnete Kampf zur Speerspitze der Bewegung
erklärt wird. Die Speerspitze ist und bleibt unsere Politik. Nicht der Grad
der Gewalt bestimmt, ob etwas avantgardistisch oder höchste Form des Kampfes
ist, sondern welche Form des Kampfes am effektivsten unser Ziel verwirklichen
hilft. Die Formen und die Mittel unseres Kampfes dienen immer nur einem Zweck,
dem politischen Ziel. Die Politik befiehlt dem Gewehr und nicht umgekehrt.
Eine unserer wichtigsten Erfahrungen im Kampf ist es, sich niemals auf eine Form
des Kampfes festzulegen. Das führt zum Dogmatismus, zum Fetischismus und
letztlich zur politischen Erstarrung. Die Gewaltfrage ist für uns keine
prinzipielle Frage, sondern eine Notwendigkeit. Die Gewalt wird von außen
an uns rangetragen, wir haben doch die Gewalt nicht erfunden. Es ist auch kein
Zufall, dass gerade der proletarische Teil innerhalb der Linken, der die herrschende
Gewalt alltäglich in vollen Zügen genießen kann, viel eher und
schneller auf Gegengewalt zurückgreift, als der Teil aus bürgerlichen
Kreisen. Sowohl die Gewaltfreien, als auch die, die gezielt die Gegengewalt einsetzen,
sollten sich nicht gegenseitig am Grad der Gewalt messen, sondern sie müssen
gemeinsam die Ausweitung des Widerstandes im Auge haben und sich daran messen.
Der gewaltfreie Widerstand in Gorleben hat gezeigt, dass es Momente im Widerstand
gibt, wo es effektiver ist auf aktive Gegengewalt zu verzichten. Die offene Gegengewalt
in Bremen jedoch hat auch gezeigt, dass es Momente gibt, wo man nicht auf Gegengewalt
verzichten kann. Und wir meinen, dass die Aktiven aus Bremen und die Passiven
aus Gorleben nicht gegeneinander, sondern vielmehr miteinander reden sollten
und die gemeinsame Seite ihres Widerstandes herausarbeiten müssen. Beide
Pole der Bewegung machen Lernprozesse und keiner kann auf die Erfahrung des anderen
verzichten, solange man sich als eine Bewegung versteht, und davon gehen wir
jedenfalls aus. Diese Bewegung muss vor allen Dingen den Dialog untereinander
suchen und sich über das gemeinsame Ziel klar werden, um davon die Strategie
und Taktik abzuleiten. Der Dialog untereinander bringt uns vorwärts und
nicht der schleimige Dialog mit den Herrschenden.
Eine selbständige Entwicklung können wir nur machen, wenn wir sie uns
selbst erkämpfen und nicht, wenn wir sie von den Herrschenden durch Preisgabe
unserer Radikalität erkriechen. Das gilt für die Einzelnen genauso
wie für die Gesamtheit der Bewegung. Und für uns, dem bewaffneten Teil
des Widerstandes gilt es in Zukunft, nicht lauter zu bellen als man beißen
kann. Wir werden alles dransetzen, dass sich der militante und bewaffnete Widerstand
verbreitert und verankert. Sich so verankert, dass es zu einem zähen und
langfristigem Guerillakampf kommt, der sich nicht nur auf die Städte konzentriert
und der immer zum Ausdruck bringt, dass es letztlich nur ein gewaltsamer Umsturz
sein kann, der das alte System verjagt.
Im Verhandlungsprotokoll sind für die ersten 193 Verhandlungstage (bis
einschließlich 1. August 1980) vermerkt
365 Zeugen
22 Sachverständige
Störungen
Teufel: 52 Mal
Meyer: 27 Mal
Reinders: 59 Mal
Fritzsch: 55 Mal
Klöpper: 63 Mal
Vogel: 26 Mal
Verwarnungen
Teufel: 20 Mal
Meyer: 13 Mal
Reinders: 44 Mal
Fritzsch: 39 Mal
Klöpper: 40 Mal
Vogel: 8 Mal
Tumulte linke Anklagebox: 2 Mal
Tumulte rechte Anklagebox: 5 Mal
Zuhörerraum
Beifalls-, Missfallenskundgebungen, Unruhe, Klatschen, Lachen: 614 Mal
Tumulte im Zuhörerraum: 10 Mal
Räumungen: 11 Mal
unerlaubte Kontaktaufnahme mit Angeklagten: 46 Mal
Ermahnung des Vorsitzenden zur Ruhe: 211 Mal
Drohung mit Ausschluss: 88 Mal
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