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„In Hinsicht auf die Linke vergisst der deutsche Staat nichts!“
TERZ-Interview mit Klaus Viehmann und Stefan Wisniewski



In Köln fand letzten Monat eine Solidaritätsveranstaltung für die wegen des Vorwurfs auf angebliche RZ-Mitgliedschaft Verhafteten statt. Auf dem Podium diskutierten die jahrzehntelang inhaftierten linken Militanten Klaus Viehmann und Stefan Wisniewski über die Politik der RZ. Klaus Viehmann war organisiert in der „Bewegung 2. Juni“ und Stefan Wisniewski in der „RAF“.

TERZ: Eure Erfahrungen mit staatlicher Repression gegen die Linke gehen ja noch zurück in die siebziger Jahre. Seitdem hat sich politisch in der radikalen Linken vieles völlig verändert. Die militanten Gruppen aus den Siebzigern existieren allesamt nicht mehr. Wie schätzt ihr den aktuellen staatlichen Angriff auf linke Strukturen im Kontext der Verfahren wegen angeblicher RZ-Mitgliedschaft ein?

Klaus Viehmann: Dazu kann man verschiedene Sichtweisen haben. Einmal, dass es jetzt eine Kriminalisierung antirassistischer Politik ist; eine Einschätzung, die in Teilen der Solidaritätsbewegung vertreten wird. In punkto Flüchtlingspolitik wird ja tatsächlich sehr viel vom BGS (Bundesgrenzschutz) und BKA (Bundeskriminalamt) unternommen – zum Beispiel in Schlepperverfahren, bei denen auch Linke kriminalisiert werden. Das ist eine Sichtweise. Aktuell muss jedoch unterschieden werden zwischen solchen Entwicklungen und dem OPEC-Verfahren. Diesem lagen nämlich klare parteipolitische Interessen zugrunde. Das ist von der CDU angeschoben worden, dass der Klein (Hans Joachim Klein, früherer RZ-Aussteiger und Kronzeuge im aktuell anstehenden Verfahren) in Frankreich verhaftet und ausgeliefert wird. Da war zu erwarten, dass er als Kronzeuge genutzt werden kann. Warum die Bullen nun gerade in Berlin ein gesondertes Interesse an den Tag gelegt haben, Leute für Aktionen zu verhaften, die fünf bis zehn Jahre zurückliegen, ist mir nicht so ganz klar. Zum Teil liegt es wohl einfach daran, dass sie das Glück hatten, Kronzeugen zu finden. Natürlich gibt es staatlicherseits und speziell beim BKA strukturell das Interesse, linke Politik zu kriminalisieren. Die haben ja schließlich schon den Erich Mielke wegen eines 1933 begangenen Polizistenmordes vor Gericht gezerrt. In Hinsicht auf die Linke vergisst der deutsche Staat nichts.

TERZ: Könnten also die aktuellen Verfahren auch als eine Form von Racheakt für jahrzehntelange Erfolglosigkeit in der Bekämpfung der RZ-Strukturen interpretiert werden?

Stefan Wisniewski: Ich denke schon, dass die ganzen repressiven Strukturen, die seit den Siebzigern systematisch ausgebaut wurden, weiterhin ihre Existenzberechtigung zu legitimieren versuchen – unabhängig davon, dass die bewaffneten Gruppen ihre Aktionen eingestellt haben. Ich interpretiere dies jedoch nicht in erster Linie als eine spezielle Form von Rache. Sicher mögen da einige Staatsanwälte auch noch ihren persönlichen Ergeiz ausleben wollen. In erster Linie jedoch dient die aktuelle Repression meiner Ansicht nach als Machtdemonstration gegen diejenigen, die antirassistische und antifaschistische Politik machen. Es soll deutlich werden: Wenn ihr noch irgendwo auf die Idee kommt, den gesetzlichen Rahmen bei euren Aktivitäten zu überschreiten, dann kriegen wir euch!

TERZ: Besonders in der autonomen Bewegung bestand eine stark ausgeprägte Mythologisierung der RZ. Nach den RZ-Stellungnahmen zu ihrer Auflösung Anfang der neunziger Jahre war in den diversen linksradikalen Zusammenhängen allerdings eher Sprachlosigkeit zu erkennen.

Klaus Viehmann: Ich würde das gar nicht als völlige Sprachlosigkeit kennzeichnen. Die „Interim“ (linksradikales Info-Blatt aus Berlin) war voll davon und es gab diverse Artikelsammlungen – ich denke, viele waren auch schlicht verunsichert, weil sie gar nicht wussten, wie sie das einschätzen sollten. Und die, welche ohnehin praktische Militanz geleistet haben, hat dies nicht tiefgehend tangiert. Die antirassistischen und antifaschistischen Militanten haben zu der Zeit Aktionen gegen Lebensmittelgroßhändler gemacht, die an Lebensmittelbezugsscheinen für Flüchtlinge verdient haben, oder halt klassische militante Antifa-Aktionen gegen Nazis. Die RZ-Auflösung hat meiner Ansicht nach eher die achtziger Jahre-Autonomen irritiert. Die haben sich eher in einer Pseudo-Konkurrenz zwischen RAF und RZ zu positionieren versucht – eine Konkurrenz, in der sich die bewaffneten Gruppen selbst sicher nicht gesehen haben. In der damaligen Autonomen-Szene wurde das Ganze eher wie in einem Fußballspiel nach dem Motto betrachtet: Wer macht die meisten oder besten Aktionen? Diese Szene war meiner Ansicht nach in der Neunziger Jahren jedoch nicht mehr zentral tätig. Für die nachfolgende Antifa-Generation war es wohl nicht mehr so entscheidend, ob die RZ in den Achtzigern so’ne tolle Gruppe war.

Stefan Wisniewski: Ich denke auch, dass die aktuellen linken Auseinandersetzungen unabhängig von diesem Mythos sind. Was aktuell an militanten Auseinandersetzungen im antirassistischen und antifaschistischen Bereich läuft, ist nicht mit Debatten um die RZ verknüpft. Es ist allerdings wichtig, zu betrachten, welche Erfahrungen aus der Geschichte der bewaffneten Gruppen zu ziehen sind. Es wäre eine vergebene Chance, wenn nicht aus den Erfahrungen, den Konzeptionen, den Fehlentwicklungen und auch aus den kleinen Erfolgen der bewaffneten Gruppen gelernt würde. Ich denke, dass dies noch zu wenig genutzt wird.

TERZ: Alle drei Strömungen der bewaffneten Gruppen, 2. Juni, RAF und RZ, haben politisch auch fatale Stoßrichtungen gehabt. Das waren zum Beispiel sowohl unkritische und verherrlichende Bezüge auf nationale Befreiungsbewegungen als auch besonders der verquere Antizionismus, der sogar antisemitische Stoßrichtungen beinhaltete. Wie erklärt ihr euch, dass eigentlich nur die RZ – und zwar eigentlich viel zu spät – zu diesem Thema selbstkritisch Stellung bezogen hat?

Klaus Viehmann: Ich meine, die Gruppen haben sich hierbei auch nicht anders verhalten, als der Rest der militanten sowie der Linken insgesamt in der BRD. Die Bezugnahme auf die nationalen Befreiungsbewegungen ist halt aus dieser Entkolonialisierungsphase heraus entstanden: Schafft viele Vietnams – wie Che 1967 gefordert hat. Damals waren viele der nationalen Befreiungsbewegungen wirklich eher links und revolutionär und zudem konnten sie damals auch noch missverstanden werden. Erst später sind die Erfahrungen gesammelt worden, wie sozialistische Programme dieser Bewegungen an der Macht umgesetzt wurden. Die Erfahrungen mit Fragen um Demokratie, um Umgang mit Minderheiten und besonders um die Befreiung der Frau in den nationalen Befreiungsbewegungen mussten erst in die Siebzigern gemacht werden, um in den Achtzigern schlauer zu sein und hinter diese Fassaden schauen zu können. Es gibt diese Diskussion ja heute noch in den Debattenbeispielsweise um die PKK; das ist eigentlich zeitlos. In den Siebzigern war dieser Erfahrungen jedoch einfach noch nicht vorhanden. Zum Antizionismus: Auch da sind die bewaffneten Gruppen nicht besser oder schlechter gewesen als die gesamte Linke hier. Es gab damals ein verkürztes Verständnis von Antifaschismus. Wir haben uns damals eindeutig zuwenig mit der Komplexität von Faschismus und Nazismus und dabei besonders mit dem Antisemitismus und dem Holocaust als zentralem Moment beschäftigt. Da wurde eher die alte Dimitrow’sche These vom Faschismus als reaktionärster Form des Finanzkapitals übernommen und die Zentralität von Rassismus und Antisemitismus nicht erkannt. Hätten wir das getan, hätten wir natürlich auch die Sensibilität gehabt für die Fallstricke und Fehler einer antizionistischen Politik. Natürlich hatte der israelische Staat und dessen Militärapparat gegenüber großen Teilen der palästinensischen Bevölkerung sowie auch in seiner Kooperation mit reaktionären Regimen wie Südafrika oder Guatemala eine sehr kritikwürdige Rolle gespielt. Aber Israel ist zugleich auch Zufluchtsstätte für Überlebende des Holocaust gewesen und insofern verbieten sich militante Angriffe – auf israelische Bürger sowieso wie eigentlich gegen alle Zivilisten. Jede Kritik an Israel muss den Doppelcharakter Israels als sowohl Siedlerstaat und Besatzungsmacht als auch zugleich Zufluchtsstätte für Überlebende des Holocaust berücksichtigen. Solche Aktionen, wie sie in den Siebzigern gelaufen sind – im RZ-Kontext hier die Entebbe-Flugzeugentführung, wo jüdische Passagiere als Geiseln genommen wurden – waren ein schwerer Fehler. Sie haben sich zum Glück in den Achtzigern, zum großen Teil aus Überzeugung, nicht mehr wiederholt.

Stefan Wisniewski: Man muss auch selbstkritisch die Tatsache betrachten, dass es im Zuge der Solidarisierung mit den Befreiungsbewegungen parallel nahezu keine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gegeben hat. Die Aktivitäten der alten Nazis in der BRD wurde von uns zuwenig wahrgenommen oder gar konzeptionell berücksichtigt. Damit hätte schon damals eine ganz andere Auseinandersetzung geführt werden können. Zwar hatte beispielsweise Gudrun Ensslin damals bekundet, dass mit der Generation von Auschwitz nicht verhandelt werden kann. Aber es gab in den damaligen Strukturen trotzdem die falsche Vorstellung, das der so genannte alte Antifaschismus keine tragende Rolle mehr spiele. Mit unserem Verständnis von Antiimperialismus haben wir die Auseinandersetzung mit dem Holocaust hinter uns gelassen und das war ein großer Irrtum gewesen. Es hat auch die Konsequenz gehabt, dass die alten Nazis in der BRD nahezu ungeschoren davongekommen sind und wir jetzt beispielsweise auch die Zwangsarbeiter-Debatte 55 Jahre später erst haben. Die Linke hätte solche Fragen schon viel früher entwickeln und sich mit den Opfern des Nazismus solidarisieren müssen.



Aus dem Knast erreichte uns die Karte von Harald Gloede, der seit Dezember 1999 in Düsseldorf einsitzt. Ihm werden verschiedene Delikte im Zusammenhang mit der RZ vorgeworfen. Am 10. Juni fand eine lautstarke Demonstration statt, um ihm solidarische Grüße in den Knast zu schicken.

11. Juni 2000 – Liebe Leute von der TERZ und des Antifa Kok, erst einmal wieder herzlichen Dank für die aktuelle Ausgabe der TERZ. Außerdem wollte ich Euch mitteilen, dass ich die Knastkundgebung gestern ganz hervorragend mitbekommen habe. Ihr müsst fast direkt vor meinem Zellenfenster gestanden haben – „nur“ getrennt durch einen Zaun und eine Mauer. Herzlichen Dank und viele solidarische Grüsse, Harald Glöde, JVA Düsseldorf