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Schweine ins Weltall
Oktober 1981– Schlusswort von Klaus Viehmann, erschienen in der „radikal“ Nummer
98 und 99
Vorbemerkung der „radikal“ Nummer 98 (10/1981)
Im Februar diesen Jahres ging ein von der linken Öffentlichkeit wenig
beachteter Prozess im Moabiter Bunker zu Ende. Angeklagt waren Klaus Viehmann
(Entführung des Bonzen Palmers, Till Meyer Befreiung, Anlegen eines Waffenverstecks
im Tegler Forst, Banküberfälle, Mitgliedschaft in der Bewegung 2. Juni),
Gabriele Rollnik (Lorenz-Entführung, Drenkmann-Erschießung, Flucht
aus dem FrauenGefängnis Lehrter-Straße, Palmers-Entführung, Till
Meyer Befreiung, Banküberfälle, Mitgliedschaft 2. Juni), Angelika Goder
(Palmers-Entführung, Till Meyer Befreiung, Banküberfälle, Mitgliedschaft
2. Juni), Gudrun Stürmer (Mitgliedschaft 2. Juni).
Gudrun wurden viereinhalb Jahre verpasst. Allein für die Mitgliedschaft.
Alle anderen bekamen die für „Top-Terroristen“ mittlerweile
obligatorischen 15 Jahre. Hochsicherheitstrakt, versteht sich. Bei der Urteilsverkündung
war nur noch Klaus Viehmann anwesend, die anderen waren auf eigenen Wunsch ausgeschlossen
worden, beziehungsweise durch den Hungerstreik verhandlungsunfähig.
Ebenso unbemerkt wie der gesamte Prozessverlauf, blieb bisher auch das Schlusswort
von Klaus. Dieses bezieht sich nicht auf den Prozess und ist auch nicht an die
Schweine im schwarzen Umhang gerichtet, sondern versucht auf Grundlage seiner
Erfahrungen, mit Widerstandsbewegungen und Illegalität, sowie einer aktuellen
Analyse der ökonomischen und politischen Krise des Kapitals die Notwendigkeit
für die Entwicklung einer autonomen Gegenmacht aufzuzeigen.
Da sich der Text bruchlos in die seit längerer Zeit in der „radikal“ geführten
Diskussion einreiht, beziehungsweise die Auseinandersetzung in der Bewegung über
die Entwicklung eines strukturierten Widerstands vielleicht beschleunigen kann,
finden wir ihn wichtig. Wir wollen den Text, trotz seiner Länge, in vollem
Umfang abdrucken, weil er unseres Wissens nach bisher noch nicht veröffentlicht
worden ist, können das aber aus Platzgründen nur in zwei Teilen.
Der erste Teil in dieser Nummer versucht die Notwendigkeit für die Auseinandersetzung
mit der Illegalität aufzuzeigen und setzt sich danach folgerichtig mit dem
Knastsystem auseinander. Der zweite Teil in der nächsten „radikal“ analysiert
die gegenwärtige Krise des Kapitals und die daraus resultierende imperialistische
Kriegsgefahr, beschreibt Methoden der sozialen Kontrolle im Computerstaat und
kommt zum Schluss, dass ein erfolgreicher Kampf gegen dieses Schweinesystem nur
mit einer Vielfalt von Methoden geführt werden kann – und, dass diese
Vielfalt auch die organisierte Militanz beinhalten muss, wollen wir die Schweine
endlich in Weltall jagen.
Schlusswort von Klaus Viehmann
Ich will mich hier weder als juristischer Kaffeesatzleser betätigen,
noch will ich in die Mottenkiste vergangener glorreicher oder auch finsterer
Tage greifen. Schließlich ist es unser Bestreben immer nach vorne zu gehen
und nicht der Vergangenheit hinterher zuheulen.
Es steht ein Jahrzehnt vor der Tür, was sich gegen die relativ lahmen siebziger
Jahre wie ein Schnellzug ausmachen wird. Und wenn wir, die Linke, in diesen Jahren
etwas erreichen wollen, dann müssen die alten Sachen soweit sie heute noch
von Bedeutung sind, endlich aufgearbeitet und produktiv für die Zukunft
verwendet werden. Voraussetzung für jede Aufarbeitung ist Diskussion zwischen
den Linken, ist ein Bewusstsein über die Notwendigkeit von Zusammenarbeit,
wie sie in der BRD immer wichtiger wird.
Die grundsätzlichen Fragen sind dabei immer die Gleichen: Wo stehen wir
jetzt? Was wollen wir erreichen? Wer ist unser Feind? Wie – und mit wem
zusammen – kämpfen wir, um ans Ziel zu kommen?
Diese Fragen lassen sich nicht endgültig vom Schreibtisch aus beantworten
und schon gar nicht von einem aus, der, ziemlich isoliert vom Alltag draußen,
im Knast steht. Letztlich kann die Beantwortung ohnehin nur auf der Strasse stattfinden.
Wer aber diese Fragen ernsthaft stellt und sie beantworten will, muss sich über
eines klar sein: wer anfängt zu Kämpfen für die soziale Revolution,
der tut das um eines Tages zu siegen und nicht mit der Absicht irgendwann die
Trümmer seiner Niederlagen zu beweinen. Sicherlich werden wir auf unserem
Weg noch viele Verluste einstecken müssen, aber daraus kann man, muss man
sogar, lernen, damit nicht alle alten Fehler ständig wiederholt werden.
Die Zeiten sind ja auch nicht mehr so, dass einem der Feind viel Gelegenheit
geben würde, Fehler neu zu machen. Während das Wissen um die Bekämpfung
von Rebellion seit Jahrhunderten von den Herrschenden gespeichert und ausgewertet
wird, müssen die Linken die Methoden immer wieder neu erlernen, gerade in
der BRD, wo in den letzten hundert Jahren die Arbeiterbewegung brutal zerschlagen
und eingebunden wurde. Selbst die APO der Endsechziger, die Jugendrevolte, sind
in Gefahr viel zu wenig für die heutigen Bewegungen rüberzubringen
an Erfahrungen und Wissen, wenn sie diese Vermittlung den professionellen Geschichtsfälschern
und betulich gewordenen Altlinken überlassen.
Wenn die neuen Feuer unter den Sesseln der Herrschenden nicht nur ein Strohfeuer
sein sollen, müssen wir sowohl aus dem Vergangenen lernen, als auch einen
Blick in das Bevorstehende bekommen. Deshalb müssen alle versuchen über
ihre unmittelbare Umgebung hinauszusehen, ob das nun die diversen „Spezialitätentätigkeiten“ wie
Knastarbeit, Betriebsarbeit oder Ökologie oder gar der Rand der Müslischüssel
sei. Die bewaffneten Linken sind bei dieser Aufforderung nicht ausgenommen. Alle
müssen dahin kommen, sich selbst wieder als Teil des Ganzen zu sehen, der
gesamten Linken und ihrer Bündnispartner und nicht das Ganze nur als Teile.
Der alte Fehler nur in Ausschließlichkeiten und nicht in Verbindungen denken
zu können, nur schwarz oder weiß, nie aber beides als Ergänzungen
sehen zu können, hat schon zu lange zu politischen Verhältnissen geführt,
die eher durch Spaltungen als durch tragbare Kompromisse geprägt sind.
Es wird für alle Teile der Linken in den nächsten Jahren härter
werden angesichts der sich verschärfenden Probleme, die von der Instabilität
globaler Herrschaft bis hin zur Rebellion in den Metropolen selbst reichen. Es
werden auch nur graduelle Abstufungen in der Repression sein, denen die Linke
ausgesetzt sein wird, denn sie soll klein gehalten werden, ehe sie sich der neuen
Situation und der beginnenden Schwäche der Bonzen bewusst wird und sich
mit all denen, die nicht mehr viel zu leben haben werden, verbündet; ob
das der arbeitslose Jugendliche, der auf die Straße sanierte Rentner, der
strahlenverseuchte Niedersachse oder der Türke von nebenan sein wird. Ohne
die Verbindung von radikaler Linken und den aufkommenden sozialen Gruppen wird
es keine Massenbewegung geben, die eine reale Erfolgschance hat.
Die radikale Linke für sich alleine deshalb nicht, weil sie wie die Guerilla
vor dem Dilemma steht, entweder anzuwachsen oder bedeutungslos zu werden – die
neuen Deklassierten für sich alleine aus dem Grunde nicht, weil sie die
Erfahrungen der letzten Jahre, des direkten Kampfes gegen Unterdrückung
brauchen, wollen sie nicht durch falsche Strategien und Taktiken entsetzliche
Verluste hinnehmen.
Eine Frage, die bei den kommenden Kämpfen sicher eine Rolle spielen wird,
ist die nach der Anwendung von Gewalt von unserer Seite aus – die andere
Seite diskutiert ja nicht mal über Gewalt – Diskussion hat mich des öfteren
an einen Schwerhörigendialog erinnert, zumindest in der Art, wie sie meistens
geführt wurde. Die einen machen nämlich aus ihrer Gewaltfreiheit eine
Ideologie und unterstellen ihren Kontrahenten, sie würden aus Gewaltanwendung
auch eine machen. Das ist natürlich Blödsinn.
Für jeden Revolutionär ist klar, dass er Gewalt nur dann anwendet,
wenn sie notwendig ist, klar gegen den Feind gerichtet und einem selbst bessere
Positionen im Kampf verschafft. Wir sehen in der Gewalt eine Methode unter vielen
im Kampf von Unterdrückten gegen Herrschende und als solche ist sie auch
legitim. Der Gegensatz zur Gewalt um ihrer selbst willen sollte spätestens
noch mal beim faschistischen Attentat vom Münchener Oktoberfest klar geworden
sein; diese Art von Gewalt richtet sich immer gegen das Volk. München war
sicher nicht der letzte Anschlag dieser Art, schließlich ist die BRD ein
Land, in dem die Neofaschisten ungestört aufrüsten können, während
jeder Linke schon mit ’nem Katapult den „Untergang des christlichen
Abendlandes“ einläutet, glaubt man der Presse oder Justiz.
Einige Leute – ich weiß nicht, ob es echte Pazifisten sind, oder
nur die Art von Gewaltfreien, die uns unserer Waffen berauben wollen, um uns
zu schwächen und zu spalten – sperren sich sogar mit dem Argument
gegen Geldsammlungen für Waffen, für die Befreiungsbewegung in El Salvador,
dass mit diesem Geld Gewalt unterstützt würde und dies neue Gewalt
hervorrufen würde. Da steckt ein gewisser Zynismus drin, denn jeder, der
hier Steuern zahlt, oder auch nur eine Tasse Kaffee trinkt – der ja aus
El Salvador importiert wird – unterstützt damit den Krieg der Junta
gegen das El Salvadorianische Volk. Es ist beklemmend, das Widerstand gegen Gewalt
gerade dann laut wird, wenn es darum geht ein Volk zu bewaffnen gegen seine Mörder
und nicht schon dann, wenn diese Mörder das unbewaffnete Volk abschlachten.
Wenn es noch nicht Gewalt gegeben hätte, nicht alle historischen Verhältnisse
auch Gewaltverhältnisse gewesen wären, ja dann wären die Linken
sicher nicht die, die mit der Gewalt beginnen würden.
Ein etwas banaleres Beispiel als der Befreiungskrieg in El Salvador: wer hält
schon zweimal seinen Kopf hin bei einer Straßenschlacht, wenn einem schon
der erste Knüppelschlag eine Gehirnerschütterung verpasst? Müsste
man doch bescheuert sein. Und wem nützt es denn, wenn wir prinzipiell auf
militante Gegenwehr – die immer als „brutale Gewalt“ bezeichnet
werden wird von denen, die sie selber staatlich ausüben – verzichten?
Uns bestimmt nicht. Wenn man mal einen oder mehrere Staatsdiener auf der Flucht
sieht, zum Beispiel bei einer Demo, dann gibt das eben auch Mut und ein Gefühl
von dem, was man erreichen kann.
Wer aus der Gewaltfreiheit eine Lebenseinstellung macht, der wird sich bei den
härter werdenden Auseinandersetzungen der kommenden Jahre des Öfteren
verprügeln lassen müssen und eines Tages wird er gar nicht mehr auf
die Straße gehen. Immer nur einzustecken ohne auch mal auszuteilen das
verschafft furcht und Resignation, das verstärkt nur den Mythos der staatlichen
Allmacht. Wir benutzen die Gewalt, um die Gewalt eines Tages abzuschaffen, nicht
mehr und nicht weniger.
Schließlich wäre es auch grotesk, unsere Kampfformen von demselben
Staat diktieren zulassen, den wir bekämpfen und besiegen wollen. Der erlaubt
uns freiwillig nur genau soviel, wie für ihn nicht gefährlich ist.
Die Methoden unseres Kampfes müssen wir moralisch wie politisch selber festlegen,
niemand anders.
Die Frage nach der Gewalt war auch immer eine, die die Diskussion in der Linken über – leider
zu selten mit – der Stadtguerilla bestimmt hat. Ein weiteres Manko bei
dieser Diskussion war die mangelnde Differenzierung von Gewaltformen, die ja
von Sabotage am Fliessband bis hin zu Bombenanschlägen und Entführungen
reichen können. Selbst wenn man sich im Prinzip einig war, Gewalt als mitunter
notwendig zu akzeptieren, kam doch des Öfteren der Vorwurf gegen die Stadtguerilla, „Killer“ oder „Abenteurer“ zu
sein.
Am vehementesten wurden diese Vorwürfe gemacht von denen, die sich durch
die Existenz des bewaffneten Kampfes in ihrer Lebensart bedroht sahen. Sei es
direkt, dass sie ihren etwas etablierten und auf Anpassung ausgerichteten Status
gefährdet sahen, oder weil sie es für opportun hielten, sich lieber
in die lange Schlange der Distanzierer und Besserwisser einzureihen, die ihr
heil längst nicht mehr in der Konfrontation mit diesem Staat, sondern in
einem Überleben in den Nischen des Systems suchen. Das geht so weit, dass
viele ihren Frieden mit der Herrschaft damit rechtfertigen wollen, dass es ja
eigentlich nicht der Staat und seine Träger gewesen wären, die die
Gewalt und innere Aufrüstung gewollt hätten, sondern dass die „Kinderfressenden
Terroristen“ sie dazu gezwungen hätten.
So viel zu dieser fragwürdigen Argumentation: mobile Einsatzkommandos, Notstandsgesetze,
Bundeswehrübungen gegen streikende Arbeiter und Fahndungscomputer gab es
schon, als in der BRD und Westberlin von Stadtguerilla noch nix zu sehen war.
Auch der Vorwurf an die Adresse des bewaffneten Kampfes, dass er dem Staat die
Legitimation für szene-repressiven Maßnahmen geliefert
hätte, trifft daneben. Erstens wäre es reichlich naiv anzunehmen,
dass ein Staat sich nicht wehren würde, wenn er angegriffen wird und seine
Bonzen ihren Profit und ihre Macht bedroht sehen; zweitens haben die noch immer
was gefunden, um ihre jeweiligen Sauereien zu verkaufen. Früher waren es
die Juden, heute sind es die Asylanten, die radikalen Ausländer und „Chaoten“.
Die Kommunisten waren es eh schon immer, Grad in diesem Land, wo die führende
Elite ihre politische Sozialisation in der nazistischen Ära des „Antibolschewismus“ erfahren
hat.
Wer sich nur noch per Distanzierung politisch äußern kann, der versperrt
auch die Möglichkeit einer Kritik und Selbstkritik der Stadtguerilla. Dabei
wäre gerade die jetzt enorm wichtig, um die intensiven Erfahrungen, die
gerade sie in den letzten zwölf Jahren mit der Staatsmacht gemacht hat,
für die kommenden sozialen Bewegungen hier nutzbar zu machen. Es bringt
nicht weiter, wenn aus Angst heraus immer nur die sicherlich gemachten Fehler
thematisiert werden und darüber die Absichten und die mögliche Effektivität
der Methode Stadtguerilla verdrängt werden. Verdrängt werden das ist
ein wichtiger Punkt, denn vielfach wird nicht kühl und sachlich abgewogen,
sondern es wird über etwas geschwätzt, was es nicht gibt, höchstens
in der Vorstellungswelt einzelner existiert. Revolutionäre Zellen haben
das mal treffend den ‚Mythos vom bewaffneten Kampf‘ genannt.
Weder das Abziehbild vom irren, wild um sich schießenden Abenteurer, noch
das vom glorreichen ‚Fighter‘ als dem ‚neuen Menschen‘,
entsprechen der Wirklichkeit. Klar, wenn jemand meint, dass dieses Land das Freiheitlichste
der Erde ist, dann muss ihm jeder, der dagegen kämpft, als Irrer erscheinen;
und dem, dem das System als vollkommen unbesiegbar und unangreifbar erscheint,
müssen alle die, die dennoch dagegen kämpfen als pure Helden erscheinen.
In Wirklichkeit sind es immer Menschen, mit all ihren Stärken und Schwächen,
die da kämpfen. Es ist schlimm, wenn sie durch den einen oder anderen Mythos
ihrer Menschlichkeit beraubt werden. Zumal dadurch Widerstand wieder einmal als
etwas kaum Machbares, Fremdes erscheinen soll. Auf jeden Fall als nichts, was
es nach oder mitzumachen gelte.
Über die Machbarkeit von Widerstand hat ein ETA-Kommando in seinem Bericht über
die halbe Himmelfahrt von Francos Stellvertreter Carrero Blanco folgendes geschrieben: „Es
ist nicht nötig Bergbauingenieur zu sein, um einen Tunnel unter der Strasse
zu graben. Man muss kein Sprengstoffspezialist sein, um das Pflaster in die Luft
zu jagen, ebenso wenig ist es notwendig Spezialist für Optik zu sein, um
ein Auto so hinzustellen, dass man eine Stelle markiert und jemanden hinzustellen,
der ein Zeichen gibt. Anders gesagt, man muss die Mythen vernichten. Niemand
ist ein Gott und keiner braucht das zu sein: das ist das Werk ganz normaler Leute
...“ und was die ETA über eine relativ komplizierte Aktion sagt, das
gilt übertragen für alle Bereiche des Widerstandes: jede und jeder
kann alles lernen.
‚Legal – illegal – scheißegal!‘ ist eine Parole,
wie sie in letzter Zeit an Häuserwänden auftaucht, soweit ich da den
Bildern der Außenwelt trauen kann. Wenn es sich auf die Art von Aktionen
bezieht, ist das richtig, drückt sie doch nur aus, dass wir unser Handeln
nicht durch die Herrschenden bestimmen lassen. Nicht ganz so egal ist es allerdings
mit dem Illegalsein, also verdeckt oder per Konterfei an der Litfasssäule
von den Bullen gesucht zu werden.
Illegalität bringt natürlich ein paar Änderungen des Lebensstils
mit sich, was aber nicht bedeutet, dass das permanente Flucht und gehetzt sein
heißt; so was erzählen die Bullen bloß, um sich nicht zu blamieren
mit ihrem gigantischen Fahndungsapparat. Solche Probleme sind lösbar in
der Praxis. Wirklich problematisch wird es für eine Organisation und deren
Mitglieder in der Illegalität erst dann, wenn aus der aus rein technischen
Gründen notwendigen Abschottung der Logistik gegenüber der Umwelt eine
revolutionäre Tugend gemacht wird. Wenn die Illegalisierung der Genossinnen
und Genossen zum Organisationsprinzip erhoben wird und alles andere als relativ
unwichtig und ‚nicht richtig revolutionär‘ angesehen wird. Dabei
ist Illegalität als organisatorisches Prinzip ziemlich zeitraubend – ein
legaler Genosse braucht zumeist weniger Probleme lösen, ehe er Aktionen,
auch illegale, machen kann, als ein Illegaler, der vorher erstmal seine unmittelbaren
Lebensbedürfnisse und seine Sicherheit regeln muss.
Die politische Gefahr der Illegalität liegt darin, dass ein Entfremdungsprozess
zur restlichen Linken, zum Alltag überhaupt, eintreten kann. In solchen
Entfremdungsprozessen liegen auch die Wurzeln von Aktionen, die sich nur noch
um Probleme der Guerilla, weniger aber um Mobilisierung und Agitation gekümmert
haben. Zu vermeiden ist so etwas nur, wenn zwischen den Illegalen, der Stadtguerilla
und der legalen Linken eine permanente Auseinandersetzung geführt wird.
Dass das leicht ist, behauptet niemand und seit dem Agiturteil arbeitet die Schere
im Kopf der linken Medienmacher sehr gründlich. Es gibt auch keine Patentlösung
für die Art der Durchführung von Diskussionen und es wäre erst
recht keine, wenn sie öffentlich ausposaunt würde.
Diesen Knackpunkt, die Kommunikation zwischen Stadtguerilla und legalen Linken,
haben auch die Bullen erkannt und es ist ihr wesentliches Interesse, diese Diskussion
zu unterbinden. Die Bullen wissen vielleicht besser als viele Linke, was diesem
Staat bevorstehen würde, wenn sich das Wissen und die operationellen Möglichkeiten
der Stadtguerilla als Bestandteil der Linken mit den sozialen Massenkämpfen
der achtziger Jahre verbinden würden. Deshalb und nicht aus lauter Spaß hat
sich schließlich ein Polizeiminister mit einem ehemaligen Staatsfeind wie
Mahler an einen Tisch gesetzt. Die beiden wissen vermutlich sehr genau, dass
hier eine riesige Zeitbombe tickt, die sie bald entschärfen müssen,
ehe sie ihnen unter’m Arsch hoch geht.
Ihre so genannten ‚Dialoge‘, das Gewäsch von einer ‚weichen
Welle‘, sollen nur dazu dienen Leute aus der Linken abzuspalten und ähnlich
wie schon weite Teile der alten APO zu integrieren. Und all die anderen, die
sich nicht mit Brosamen vom Tisch der Herrschenden abspeisen lassen wollen, denen
die Sprüche von oben zu hohl sind, werden immer mehr kriminalisiert werden.
Zuckerbrot und Peitsche – Teile und Herrsche; die uralte Strategie der
Unterdrückung heute neu und werbewirksam verpackt.
Zu denen, die jetzt verstärkt kriminalisiert und eingemacht werden sollen
durch Gesetze und Bullenmanöver, gehören auch die massenmilitanten
autonomen Gruppen der AKW-Gegner. Kalkar 1977, wo binnen weniger Stunden zehntausende
Demonstranten kontrolliert und gefilzt wurden, noch ehe sie den Bauzaun des schnellen
Brüters auch nur von weitem gesehen hätten, hat bitter klargemacht,
dass Massenmilitanz gegen einen vorbereiteten, besser ausgerüsteten Gegner
keine große Chance hat. So gut man sich gegen Wasserwerfer und Tränengas
noch mit eigenen Mitteln zur Wehr setzen kann, vorausgesetzt die Bullen nehmen
nicht schon vorher alles ab es wäre Wahnsinn, in einer eskalierten Situation
gegen Maschinengewehre und Handgranaten offen anzurennen. Es war zwar in Frankreich,
wo bereits Handgranaten gegen AKW-Gegner eingesetzt wurden – Vital Michalon
starb am 13. Juli 1977 in Malville – aber dass auch in der BRD nicht von
der Anwendung von Todesschutzgesetzen zurückgeschreckt werden würde,
zeigen die Äußerungen von Albrecht, der bei der Grohnde-Demo kurz
davor stand, den Schiessbefehl zu geben.
Kriminalisierung schafft zwei Alternativen: entweder weniger zu machen und sich
aus politischen Kämpfen zurückziehen, oder sich auf die Möglichkeit
der Illegalität vorzubereiten. Wem diese Alternative heute zu überspitzt
erscheint, der läuft in die Gefahr leichtsinnig bis auf den Tag zu warten,
wo es den Regierenden mal beliebt, ihre Schubladenpläne zur Ausschaltung
der linken Opposition hervorzuholen. Und zu glauben dass es solche Pläne
nicht gäbe, wäre ein Zeichen für mangelnden Geschichtsbewusstsein
und Vorstellungskraft. Ohne jede illegale, subversive Struktur zu arbeiten bedeutet
zudem, dass man schon heute kontrollierbar ist durch den Überwachungsinstrumente
und bezahlten Schnüffler des Staates.
Aktuelles Beispiel für die Kriminalisierung von Militanten sind die eingeknasteten
Kreuzberger Häuserkämpfer. So lange es nur um relativ wenig Knast geht,
kann man sich überlegen den abzusitzen, auch wenn wir es prinzipiell nicht
den Bullen überlassen sollten, wer im Knast sitzt und wer nicht. Denn sonst
wären nur immer unsere Leute drin und die, die es vielmehr verdienen, niemals.
Das Beispiel der Kreuzberger zeigt auch, dass es wichtig ist, sich mit der Möglichkeit
der Illegalität auch mit der des Knastes zu beschäftigen. Und das am
besten in Form einer breiten Auseinandersetzung mit dem Knastsystem. Das geht
auch die an, die nicht direkt betroffen sein könnten, die aber gegen die
Einknastung der Gesellschaft und gegen totale Kontrolle kämpfen wollen.
Der Widerstand der Gefangenen und der Linken draußen gegen diese augenfälligste,
betongewordene Art der Staatsgewalt hat in der BRD keine so lange Geschichte
wie zum Beispiel in Frankreich oder in Spanien. Aber in den letzten Jahren ist
das Bewusstsein über den Knast erheblich größer geworden.
Eine ziemliche Rolle in der aktuellen Diskussion spielen die Sondergefängnisse.
Den Moabiter Hochsicherheitstrakt kenne ich aus eigener Anschauung.
Hochsicherheitstrakt
- das heißt fast alle Lebensäußerungen stoßen an Betonmauern,
Videokameras, Mikrophone, Neonröhren und Panzerglasfenster;
- das heißt jahrelange Isolation von kleinen und kleinsten Gruppen bei
minimalen Abwechslungsmöglichkeiten;
- das heißt physische und psychische Schädigungen bei den Gefangenen;
- das heißt Modell für neugebaute und geplante Knäste, wie
zum Beispiel der neue Frauenknast in Plötzensee nach dem Vorbild des Moabiter
Traktes errichtet wird;
- das heißt Spitze einer ausgetüftelten Pyramide von belohnen und
strafen, Spitze der technokratischen Gefängnisreform;
- das heißt Widerstandsbekämpfung, Versuch der Ausschaltung von
Opposition und nicht systemkonformen Verhalten;
- das heißt zwar leicht variierte Konzepte, je nach dem mehr oder weniger
hochsicher, aber immer unmenschlich.
Hochsicherheitstrakt heißt aber auch Widerstand dagegen. Das beweisen die
Hungerstreiks, die Schlägereien mit den Wärtern und das belegen auch
nicht zuletzt die relativ breiten Kampagnen und die Aktionen gegen die Trakte
im letzten Jahr und zuvor.
Mit der Errichtung der Hochsicherheitstrakte ist diesem Staat die liberale Maske
ein wenig weiter runtergerutscht und gibt ein neues Stück Faschismus frei.
Genau das, das drohend Faschistische, soll die wesentliche Funktion erfüllen
abzuschrecken und Angst zu erzeugen. Jedem soll vor Augen geführt werden,
was ihm blühen kann, wenn er sich mit diesem Staat anlegt. (nebenbei ist
es bemerkenswert, dass die herkömmlichen Knäste diese Abschreckungsfunktion
anscheinend nicht mehr hinlänglich erfüllen gegen die heutige Opposition.)
Hochsicherheitstrakt für alle die, die konsequent gegen alle Arten von Ausbeutung
und Unterdrückung Widerstand leisten und damit auch im Knast nicht aufhören,
mit dem Etikett „gefährlich“ oder „Vollzugsstörer“ beklebt
werden.
Therapievollzug für die, die von ihrem abweichenden Verhalten wieder an
die soziale Art des Fließbandarbeiters „resozialisiert“ werden
sollen – offener Vollzug für diejenigen, die zwar bestraft werden
sollen, aber tagsüber wenigstens nicht dem kapitalistischen Allgemeinwohl
als billige Arbeitskraft verloren gehen sollen.
Heute gibt es noch viele Mischformen oder auch den schlichten Verwahrvollzug,
in dem die Gefangenen weitgehend sich selbst überlassen werden. Je nach
finanzieller Situation der Länder und je nach Stand der sozialen Auseinandersetzungen
wird das aber aussterben und völlig durch Gefängnisse neuer Konzeption
ersetzt werden. Parallel zur Automatisierung in der Produktion die elektronische
Ausstattung der neuen Knäste; vom Arbeits- und Zuchthaus von gestern zur
totalen Überwachung a la Orwell’s „1984“, so soll die
Entwicklung nach dem Willen der Knastbaukommandanten laufen, wenn wir diese Schreibtischtäter
nicht daran hindern.
Es ist wahnsinnig schwer, unter allen Gefangenen im Knast eine Einheit herzustellen.
Schließlich sitzen Fixer, Ausländer, Safeknacker, säumige Alimentezahler,
Zuhälter, Dealer und andere Menschen mit den von Staatswegen aufgeklebten
Etikettierungen. Innerhalb der linken Gefangenen gibt es verschiedene Vorstellungen,
wie der Knastkampf zu führen sei und was für Bedingungen erreicht werden
sollten. Genau so wenig wie draußen herrscht zwischen den Gefangenen eitel
Friede, Freude, Sonnenschein, auch insofern wird der große Knast im Kleinen
gespielt. Allen gemeinsam bleibt aber das Ziel, raus aus’m Knast und weg
mit allen Internierungsanstalten. Wenn man das im Auge behält, ist dieses
Ziel eine Klammer für die Diskussion über davor liegende Aufgaben.
Wie draußen entwickelt sich auch im Knast der Widerstand in Eruptionen,
die nie genau vorauszuberechnen sind. Aber mit jeder neuen Welle wächst
das Bewusstsein darüber, dass der Feind nie neben einem steht, sondern immer
gegenüber.
Für den Knastkampf, die Solidarität mit den Gefangenen, hat die Unterscheidung
zwischen der Forderung nach Zusammenlegung von Gefangenen aus der Guerilla und
der Forderung nach Integration in den Normalvollzug für alle, seit Jahren
eine ziemliche Bedeutung und wird sie vermutlich auch noch einige Zeit behalten.
Jedenfalls agieren die Vertreter der einen oder der anderen Linie ziemlich getrennt
voneinander.
Der letzte große HS hatte dann auch nur die Gemeinsamkeit, dass Gefangene
gegen die Haftbedingungen gekämpft haben. Anfangs waren es bundesweit über
200 Gefangene, die mit unterschiedlichen Forderungen angetreten sind. Die reichten
von einzelnen konkreten Forderungen nach Verbesserungen in regionalen Knästen über
die Abschaffung der Trakte und Sondergefängnisse bis hin zur Forderung der
Gefangenen aus der RAF nach Zusammenlegung. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit
ist nach dem Abbruch des Hungerstreiks und nach dem Sigurd Debus zu Tode zwangsernährt
worden ist, fast nur diese Forderung kleben geblieben. Es war sogar in linken
Zeitungen zu lesen, dass die anderen Hungerstreikenden nur reine Solidaritätsaktionen
für den Kampf um Zusammenlegung gewesen wären.
Die Öffentlichkeit, einschließlich der Linken leider, funktioniert
immer noch nach dem zynischen Prinzip der Sensationen – ehe nicht Lebensgefahr
besteht, ehe es nicht Tote gibt, passiert viel zu wenig. Erst dann öffnen
sich die Zeitungsspalten für eine Diskussion und dann noch für eine
leider sehr miese.
Die Einen behaupten jetzt, nachdem er zu Ende ist, dass sie ihre Solidarität
mit dem Kampf der Gefangenen nur deshalb hätten nicht ausüben können,
weil sie die Forderung nach Zusammenlegung oder die RAF nicht hätten unterstützen
wollen. Eine ziemlich verlogene Position, denn diese Leute sind die gleichen,
die sich auch mit anderen Forderungen von Gefangenen noch nie solidarisiert haben,
es sei denn mit dem Mundwerk. Ihre Argumentation dient nur ihrem schlechten Gewissen
als sanftes Ruhekissen. Für eine andere Gruppe wiederum ist die Diskussion über
die richtige Linie im Knastkampf völlig tabuisiert. Weil die nur moralisch
an die Frage herangehen und sagen, dass wenn ein Genosse für diese Forderungen
stirbt, dann können das nur richtige Forderungen sein.
Dabei muss gerade jetzt die Diskussion über den Knastkampf endlich mal auf
nen Punkt kommen, sie muss geführt werden und zwar politisch und nicht moralisch.
In der Hoffung auf eine ausführliche Diskussion werde ich eine Position
auch hier nur kurz anreißen. Gegen die Forderung nach Zusammenlegung sprechen
im Wesentlichen folgende Sachen:
Zusammenlegung der Gefangenen aus der Guerilla beinhaltet in irgendeiner Form
die Einlassung auf Hochsicherheitstrakte und es ist ein Irrtum zu glauben, die
Trakte seien von innen zu knacken. Eine Forderung nach Zusammenlegung in Gruppen,
selbst wenn es sogar Fünfzehnergruppen wären und nicht die erheblich
wahrscheinlicheren Kleingruppen wie sie in der nächsten Zeit bestehen werden,
kommt grundsätzlich dem Abteilungsgefängnis entgegen, wie es von den
Knastkommandanten in der BRD eingeführt wird. Kleine Gruppen unter hohem
Sicherheitsaufwand, beziehungsweise unter permanenter Beobachtung sind das Credo
dieser Gefängnisreform, selbst Jugendknäste werden schon so gebaut
als Reaktion der Bonzen auf die unkontrollierte Subkultur in Knästen alten
Stils, wo praktisch alle Gefangenen noch irgendwie zusammenkommen konnten.
Der wichtigste Einwand gegen die Zusammenlegung von Gefangenen aus der Guerilla
in Sonderknästen oder Sicherheitsbereichen ist langfristig ein politischer.
Durch die Abschottung der Gruppe verliert man jeden Kontakt zu den bereits entstehenden
und immer weiter anwachsenden sozialrevolutionären und oppositionellen Bewegungen
im und um den Knast.
Die Brigate Rosse haben mit der Entführung des Richters D’Urso aus
der schon weiter eskalierten Situation in Italien die Konsequenz gezogen. Ihre
Strategie zielt auf eine Einheit aller Gefangenen, die kämpfen wollen, ab.
Gleichzeitig auf die Zerstörung der Hochsicherheitsgefängnisse und
letztlich des Knastes überhaupt. Das beruht auf der richtigen Einschätzung,
das der Knast immer wichtiger werden wird in der kommenden Zeit der Auseinandersetzungen.
Knast war und ist die letzte Weisheit der Herrschenden gegen Rebellion und offenen
Widerstand und deshalb ist es auch strategisch – nicht nur moralisch, wie
manche Caritas-Fans glauben – Sache, gemeinsam die Trakte und letztlich
den Knast zu zerschlagen.
In der BRD und Westberlin ist die Situation zwar noch nicht so wie in Italien
entwickelt, aber vergleichbar immerhin. Die Strategie der Brigate Rosse können
beim Knastkampf ein Modell für das Vorgehen hier sein.
Aber auch wer die Forderung nach Zusammenlegung draußen nicht teilt, kann
seine Solidarität nicht von Vorleistungen abhängig machen. Schließlich
sind es immer Bullen, die die Menschen einknasten und die Gefangenen sind nicht
die, die die Bedingungen im Knast diktieren.
Zu der Forderung nach ‚Integration in den Normalvollzug‘ ist einiges
klarzustellen, weil sie so ungenau bezeichnet ist. Die Strategie im Knastkampf,
die so umschrieben wird, geht von der Notwendigkeit einer politischen Einheit
hinter den Mauern aus, einer durchzusetzenden Gleichstellung aller Gefangenen
gegen das geplante Abteilungs- und Abschottungsgefängnis. Diese Strategie
entspricht der von draußen: Mobilisierung und Kampf an der Basis, mit den
Betroffenen und für sie, soweit möglich. Eine Strategie, die von vorneherein
potenzielle Genossen ausschließt, taugt nicht viel über lange Sicht.
Integration in den Normalvollzug ist eine missverständliche Forderung, denn
wie gesagt gibt es weniger denn je einen ‚normalen‘ Vollzug, falls
es den je gegeben hat. Knast ist nicht gleich Knast. Das Gefängnis ist in
zig Bereiche aufgeteilt und soll noch weiter abgetrennt werden. Je nach Delikt,
je nach Anpassungs- oder Widerstandsbereitschaft der Gefangenen und nicht zuletzt
nach Frauen und Männern. Es wäre falsch zu glauben, dass, wenn man
in einen ‚normaleren‘ Vollzug integriert wäre, dass dann das
Ziel erreicht wäre. Das würde höchstens eine Ausgangsposition
im Kampf um die Einheit aller Internierten verbessern, mehr nicht.
Einheit ist gerade gegen die permanenten Spaltungsabsichten der Knastkommandanten
dringend nötig. Ohne kollektive Organisation möglichst vieler Gefangener
wird es nie dazu kommen, dass wir die Verhältnisse im Knast zum Tanzen bringen.
Die Gefangenen lassen sich heute schon nicht mehr so einfach stillhalten, wir
haben gelernt, dass Rebellion nur einen gewissen Anstoß braucht, um immer
wieder und immer stärker zu entflammen. Kollektivität, die Einheit
der Gefangenen ist absolut vorrangige Sache und darauf müssen auch die Kampfformen
und die Forderungen ausgerichtet werden.
Der Kampf im Knast ist mit denen draußen verflochten. Es ist ja kein Zufall,
dass es immer auch dann im Knast rumort; wenn anderswo gezeigt wird, dass Widerstand
machbar ist. Die Knastarbeit draußen muss auf eine neue Ebene gehoben werden,
indem linke Gruppen generell Knastarbeit als integralen Bestandteil ihrer politischen
Praxis begreifen. Die Forderung nach Amnestie oder ‚eins, zwei, drei – lasst
die Leute frei!‘ reicht nicht aus, hat auch keine praktischen Auswirkung
in dem Maße wie sie notwendig wäre. Linke Gruppen müssen auch
dafür sorgen, dass ehemalige Gefangene draußen Strukturen vorfinden,
die weiter zum Kampf gegen das befähigen, von dem man im Knast nur eine
Spielart erfahren hat.
Auf diese Art sind die Kämpfe vor und hinter den Mauern auch zu verbinden,
um zu verhindern, dass es jemals zu einer Stille in den Zellen auch noch die
Stille auf den Straßen kommen kann. Denn damit würde auch ein Stück
Hoffnung sterben und Hoffnung ist nicht umsonst nach einer alten Knackiweisheit
die Schwester eines jeden Gefangenen. Die Kritik an den Trakten, am Knast, muss
mit der Kritik an der Einknastung der Städte verbunden werden. Nicht zufällig
schließlich spiegelt sich der Unterschied zwischen den alten Mietskasernen
von Kreuzberg und dem Beton des Märkischen Viertels auch zwischen den hundert
Jahre alten Löchern von Moabit und den viel zitierten ‚städtebaulichen
Aspekten‘ des Traktes hier wieder. Wie im Trakt hängen inzwischen
auch an Straßenkreuzungen und öffentlichen Gebäuden die Videokameras
der Bullen; Kommunikation, wie sie im Moabiter Altbauknast trotz der Einzelhaft
noch relativ unkontrolliert und zufällig stattfinden kann, entspricht praktisch
dem Schwatz im Treppenhaus oder der Eckkneipe im Kiez, wo noch jeder jeden kennt.
Im Trakt sind Gruppen so abgeschottet wie Mietsparteien in den Hochhäusern,
keiner kriegt mehr mit, wer neben ihm haust.
Manche Genossen glauben, dass Kampagnen gegen die Hochsicherheitstrakte nur einer
speziellen Gruppe von Gefangenen nützen würde. Das stimmt nicht, denn
erstens ist die Belegung der Trakte inzwischen sehr uneinheitlich, in der Mehrheit
zwar nach wie vor Gefangene aus der Stadtguerilla, aber wie in Hamburg inzwischen
auch Ausbrecher oder wie im Celler Trakt oder Stammheim sogar Neonazis.
Zweitens sind sich alle Gefangenen, egal wo sie jetzt sitzen, darüber im
Klaren, dass die Trakte auch sie bedrohen, wenn sie anfangen zu kämpfen.
Deshalb sind Kampagnen gegen die Trakte Kampagnen gegen den Knast von morgen,
gegen neue Modelle bürgerlichen Herrschaft überhaupt und auf dieser
Ebene sollten sie auch geführt und verstanden werden. Zum Knastkampf gehört
noch ein wesentlicher Punkt: das Verhältnis der Stadtguerilla zum Knast,
zu den Gefangenen. Es hat in den letzten elf Jahren viele Versuche gegeben, Leute
aus dem Knast zu holen. Lorenz und die Flitze aus der Lehrterstraße, waren
die Paradebeispiele für solche gelungenen Aktionen, Schleyer und Mogadischu
Beispiele für ein totales Scheitern solcher Befreiungsaktionen.
Befreiung von Gefangenen war immer ein Sinnbild für Befreiung überhaupt,
ein entkommener Gefangener ist immer eine Bresche in der Allmacht der Herrschenden,
immer ein Schlag gegen die Verfügungsgewalt des Staates über Menschen.
Jeder Ausbruch aus dem Knast ist gerechtfertigt, daran gibt es nichts zu deuteln.
Ein anderes Problem ist es aber, wenn sich der Kampf um Befreiung auf die Befreiung
der Gefangenen reduziert, wenn das zur Strategie der Stadtguerilla verklärt
wird. Der Knast ist ein Kampfgebiet, aber eben nicht das einzige und das muss
auch in der Praxis klar bleiben.
Spätestens nach 1977 war klar, dass Gefangenenbefreiung als politische Strategie
nicht mehr anstand, dass die Ausrichtung der Logistik und der Aktion auf das
Rausholen von Genossen nicht mehr der Notwendigkeit einer revolutionären
Politik in der damaligen Phase entsprach. In einer Phase, in der Stadtguerilla
nach dem ‚deutschen Herbst‘ neu hätte definiert werden müssen,
in der neue Strategien entwickelt hätten werden müssen, um verlorenes
Terrain und Vertrauen in der Linken Zurückzugewinnen, hatte die Befreiung
vom Till aus Moabit schon damals keine strategische Bedeutung. Es wäre damals
politisch sinnvoller und materiell erheblich weniger verlustreich gewesen, wenn
man sich in Hinsicht auf den Knastkampf mehr auf eine Kampagne und Aktionen gegen
die kommenden Spezialgefängnisse eingerichtet hätte, als noch einmal
eine Befreiungsaktion zu versuchen.
Was schon damals für die Stadtguerilla angestanden hätte und was für
die Knastkämpfe gilt, gilt auch für die Linke allgemein: unser Ziel
muss es immer sein, aus der relativen Isoliertheit raus zu kommen, hin zu einer
Massenbasis. Der Mangel an breiterer Basis war es auch, der bei der Stadtguerilla
aus jeder kleinen Niederlage und jedem Fehler gleich wieder einen Verlust der
politischen Handlungsfähigkeit machte.
Bildet Banden
Vorbemerkung der „radikal“ Nummer 99
(11/12/1981)
In der letzten „radikal“ haben wir mit dem Abdruck des Schlussworts
von Klaus Viehmann begonnen, weil wir den Text für eine gute Diskussionsgrundlage
innerhalb der (so genannten) „autonomen Szene“ halten. Der erste
Teil hat sich mit der Illegalität und dem Knastsystem auseinandergesetzt.
Der nun folgende zweite und letzte Teil, angereichert mit einer aktuellen Nachbemerkung,
analysiert die Krise des Systems und die daraus resultierende Kriegsgefahr, geht
auf die von uns zu unrecht vernachlässigten sozialen Kontrollmechanismen
im Modell Deutschland ein und kommt zu der keinesfalls neuen, aber trotzdem sehr
bemerkenswerten Schlussfolgerung:
Schlusswort Teil 2 von Klaus Viehmann
Alle Gruppen und Bewegungen der letzten Jahre, die es nicht gewollt oder nicht
geschafft haben, sich zu verbreitern, sind letztlich gescheitert oder bedeutungslos
geblieben. Manche haben gigantische Pläne für die halbe Weltrevolution
entwickelt ohne überhaupt einen Fuß auf dem Boden zu haben, umgekehrt
gab es Gruppen, die ihre Ziele und Ideale aus den Augen verloren und nur noch
in Tagesaufgaben herumstocherten ohne jeden strategischen Plan.
Vielen sich kommunistisch nennenden Sekten war schließlich gemeinsam, dass
sie ihre zahlenmäßige Schwäche durch besonders viel Avantgardedünkel,
ihren Mangel an praktischer Taktik durch zu viel abgehobene Strategie und ihre
zu geringe Verbundenheit mit den Kämpfen an der Basis durch triumphalistische
Programme auszugleichen versuchten.
Die andere Seite der Medaille, der einseitige Reformismus und Parlamentarismus,
vergisst dann wieder über die erhoffte friedliche und legale Umgestaltung
des Staates den militärischen und illegalen Aspekt einer jeden revolutionären Änderung.
Vergisst zudem noch die Erfahrungen, die viele alte APO-Genossen machen mussten,
als sie auf dem langen Marsch durch die Institutionen gefressen und total frustriert
oder auch als überzeugte Sozialdemokraten wieder ausgeschissen wurden. Institutionen
sind immer überlegen, so lange man ihnen einzeln gegenübertritt, das
sollte man nie vergessen.
Vor beiden Übeln, dem Sektenunwesen und dem puren Reformismus hilft nur,
dass man die Augen offen hält für die Wirklichkeit des kapitalistischen
Alltags, dass man nie den Kontakt zur Basis verliert und sich vor allen Dingen
nicht von den Staatsdienern einlullen lässt. Die Wirklichkeit ist so radikal,
dass man nur genauso radikal sein kann.
Nur ist diese Wirklichkeit in den Köpfen der Menschen total verschüttet,
was nach jahrelangem Propagandageriesel und nicht zuletzt nach zwölf Jahren
Faschismus und drei Jahrzehnten Antikommunismus auch kein Wunder ist. Zugeklebt
von Presse, Valium, Zahnpastareklame und Tagesschau sollen den Menschen Informationen über
das Land, in dem sie leben, vorenthalten werden. Staatliche Desinformation ist
Voraussetzung für das Funktionieren von Massenloyalität, Voraussetzung
für den un-sozialen Frieden und die a-soziale Marktwirtschaft des Kapitals.
Linke Politik machen, heißt gegen die Massenloyalität zu kämpfen,
und das falsche Bewusstsein in den Köpfen der Menschen zerstören, wonach ‚alle
in einem Boot‘ sitzen würden. Oder, wie die aktuelle Variante lautet, ‚alle
in einem Öltanker‘ sitzen würden. Das Bild einer Galeere, auf
der viele rudern müssen und einige wenige steuern, würde erheblich
besser auf die Wirklichkeit zutreffen. Und wie immer zu Zeiten, in denen dieses
Schiff den Herrschenden nicht mehr genug Profit einfährt, wenn es ins Schlingern
kommt, dann sollen die im Bauch des Schiffes arbeitenden das ausbaden.
Was da derzeit wieder einmal ins Schlingern kommt, sind im Wesentlichen zwei
Komplexe: der der ökonomischen Stabilität, also Vollbeschäftigung,
Wirtschaftswachstum und stabile Wechselkurse; sowie der Komplex aller Außenbeziehungen,
also internationaler Handel, strategische, politische und militärische Relationen.
Das Funktionieren dieser Komplexe ist absolute Voraussetzung für eine zentrale
Stütze kapitalistischer Herrschaft: das Vorhandensein der oben erwähnten
Massenloyalität. Bei einzelnen beginnt die bereits zu schwinden, ;Staatsverdrossenheit‘ nennt
sich das, so lange es noch nicht in offene, organisierte Ablehnung des Systems
umschlägt. Dann wird es im Sprachgebrauch der herrschenden ‚Aufruhr
und Terrorismus‘ genannt. Zurzeit haben sie allerdings mehr die alten Sprüche
vom ‚Gürtel enger schnallen‘, vom ‚mehr arbeiten und mehr
leisten‘ drauf und dass die angeblichen ‚fetten Jahre‘ nun
vorbei seien und ‚alle Opfer bringen‘ müssten. Nun, von den ‚fetten
Jahren‘ hat das Volk ohnehin nie viel gesehen und angesichts der Wirtschaftsentwicklung
wird es auch weiter ‚Opfer bringen‘ sollen, wenn es nach dem Willen
der Bonzen geht.
Schließlich steht die Welt mit einem Bein schon in einer Wirtschaftskrise,
wie es sie seit 1929 nicht mehr gegeben hat. Bereits jetzt gibt es in den Industriestaaten über
zwanzig Millionen Arbeitslose und die Inflation liegt durchschnittlich weit über
zehn Prozent. Die Leistungsbilanzen der meisten Staaten sind negativ und auf
den Finanzmärkten schwirren Milliarden Dollar Spekulationsgelder herum,
die alle festen Wechselkurse in schönster Regelmäßigkeit purzeln
lassen. In form von Anlagen bei Metropolenbanken sorgen weitere Milliarden Petrodollars
dafür, dass die kriselnde kapitalistische Wirtschaft nicht wie ein Kartenhaus
zusammenbricht. Aber auch die mächtigen USA können ihre Geldpressen
nicht ewig heißlaufen lassen, ohne dafür mal haften zu müssen.
Spätestens dann, wenn immer mehr Staaten davon abgehen, den Dollar als Welthandelswährung
zu akzeptieren, kämen für die Weltmacht Nummer eins schlechte Zeiten.
Dann könnte sie nämlich ihre Ölrechnungen nicht mehr mit billigen
selbstgedruckten grünen Zettelchen begleichen. Zudem auch die Konkurrenz
zwischen den Konzernen vermittels ‚ihrer‘ Nationalstaaten auf dem
Weltmarkt immer härter wird. Japan, die USA und die EG beginnen sich um
die letzten Stücke Kuchen auf dem Teller zu streiten.
Dass das in den einzelnen Ländern ohne erhebliche Verluste für die
jeweils unterlegenen Branchen abgeht, braucht niemand zu glauben.
Sei es, dass die Konzerne die Preise und damit die Inflationsrate erhöhen;
sei es, dass sie beim Staat um Steuergelder zur ‚Rettung von Arbeitsplätzen‘ – sprich:
ihrem Profit – nachsuchen, oder dass sie riesige Rationalisierungsinvestitionen
tätigen.
So müssen die Malocher dreifach zahlen, durch Reallohnsenkungen, ihre Steuern
und dann noch mehr arbeiten. Trotz steigender Unfallzahlen und Berufskrankheiten
wird heute pro Kopf erheblich mehr produziert als früher und längst
nicht im gleichen Maß sind die Löhne angestiegen. Die Ausbeutung des
einzelnen wird immer größer und die Arbeit durch alleine auf Gewinn
ausgerichtete Rationalisierungen immer stumpfsinniger. Die Menschen werden zu
Handlangern für Maschinen, das ist die Perspektive, die dieses System anzubieten
hat. No future!
Die Facharbeiter werden aussterben und dafür entsteht eine neue Schicht
von Gelegenheitsarbeitern und Jobbern, die je nach Belieben des Unternehmens
geheuert und gefeuert werden können. Und diejenigen, die angesichts dieser
Berufsaussichten lieber gleich ihre Kohle vom Arbeits- oder Sozialamt holen,
werden auch durch immer neue Schikanen und Geldkürzungen irgendwann gezwungen
sein, sich auf ‘nen totalen Scheißjob einzulassen, um überhaupt
noch genug Kohle zum Leben zu haben.
In früheren Krisen konnte der Staat aus seinen Ressourcen und mit Hilfe
einer immer stärkeren Staatsverschuldung die Konjunktur wieder neu ankurbeln,
Neuinvestitionen durch Zuschüsse und Steuervergünstigungen wieder profitabel
erscheinen lassen. Auch nahm er immer mehr Menschen in seine Dienste und konnte
dadurch die Arbeitslosenrate senken. Aber selbst Beamte müssen bezahlt werden,
Einstellungsstopps im öffentlichen Dienst und so genannte ‚Maßnahmen
zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen‘ sprechen eine deutliche Sprache. Übrigens
steigen seit diesen ‚Kostendämpfungen‘ die Todesraten in staatlichen
Krankenhäusern. Mit anderen Worten: es müssen mehr Menschen als früher
an unzureichender Versorgung sterben, weil sie die Bilanzen des Staates belasten.
In einer Zeit, wo die BRD stärker in internationale Pflichten imperialistischer
Herrschaftssicherung genommen wird, muss sie immer mehr aus der Rolle des Wirtschaftswunderknabens
in die des Zahlmeisters faschistischer Diktaturen treten, die die USA nicht mehr
alleine finanzieren können. Die Millionen und Milliarden, die die BRD an
türkische Militärs zur Unterstützung ihrer Folterherrschaft und
an Ägypten zur Sicherung des Camp-David-Abkomrnens zahlt, kommen fast ausschließlich
aus dem Topf, der früher für innerstaatliche Reformen benutzt wurde.
Irrsinnige Rüstungsanstrengungen der BRD und anderer Nato-Staaten tragen
noch dazu bei, dass der soziale Friede im Lande, wie er früher von einem
zahlungskräftigen Staat noch erkauft werden konnte, allmählich unbezahlbar
wird. Damit ist es letztlich wieder die Bevölkerung aller Länder, die
die Lasten imperialer Auseinandersetzungen zu tragen hat, ob sie nun ;den Gürtel
enger schnallen‘ soll für ein vorgebliches ‚Allgemeinwohl‘,
oder sei es, dass sie wieder einmal als Soldaten des Kapitals auf dessen Beutezügen
verbluten soll.
Die Energiekrise, die hauptsächlich eine Krise des Profits der Kapitalisten
ist, soll mit Gewalt gelöst werden, wie zum Beispiel die iranische Revolution
vom imperialistischen Hampelmann Saddam Hussein und seiner irakischen Armee zerschlagen
werden soll. US-Soldaten kämpfen weltweit für die Interessen von Exxon,
Standard Oil, US Steel und für die Ausbeutung des American way of life von
Coca Colas Gnaden ,der französische Imperialismus hat nach seiner Niederlage
in Algerien nicht aufgehört, einen Putsch nach dem anderen in Afrika aufführen
zu lassen und gemeinsam mit anderen Nato-Staaten interveniert er offen in den
Ländern, die seinem Einfluss zu entgleiten drohen. Alle westlichen Industrieländer
gemeinsam bereiten ihre Intervention im nahen Osten vor für den Fall, dass
die Ölquellen ihrem Einfluss entzogen werden. Hinter dem Afghanistan-Geschrei
verbirgt sich nur schlecht der Ruf nach mehr Profit und nach billiger, verfügbarer
Energie.
Aus historischen Gründen hat die BRD zwar bisher keine Soldaten in offenen
Konflikten eingesetzt, aber das deutsche Kapital kämpft wieder seit Jahrzehnten
an der internationalen Front um seinen Anteil an der Ausplünderung der dritten
Welt. Durch Waffenlieferungen beteiligt es sich zudem daran, faschistische Diktaturen
oder so genannte ‚befreundete Regierungen‘ an der Macht zu halten.
Deutsche transnationale Konzerne arbeiten heute in nahezu allen Ländern
der Erde. AEG, Basf, Bayer, Siemens, Daimler Benz und VW agieren in Lateinamerika,
als ob es ihr Betriebshof wäre. In enger Zusammenarbeit mit den Militärregimen
sichern sie sich ihre Extraprofite. So sorgt zum Beispiel alleine im VW-Werk
von Sao Paulo ein siebenhundert Mann starker paramilitärischer Werkschutz
für das Funktionieren der Ausbeutung. Der Berliner Scheringkonzern macht
die medizinischen Versuche, die früher von der deutschen Pharmaindustrie
in den Konzentrationslagern gemacht wurden, heute mit Indiofrauen in Ecuador
und Kolumbien. Was ihn übrigens nicht darin hindert, auch hier Menschen
für seine Versuche zu benutzen, so lange die nichts davon erfahren und sich
nicht dagegen zur Wehr setzen.
Investoren der Deutschen Bank, von Bosch, Henkel, Hoechst und BMW tragen dazu
bei, das südafrikanische Rassistenregime an der Macht zu halten. In ihren
Tochtergesellschaften profitieren BRD-Konzerne entgegen allen UNO-Resolutionen
von der Rassenunterdrückung in Südafrika. Daimler Benz baut Fabriken
für Panzermotoren und lieferte an die Burenpolizei Unimogs, die in leicht
veränderter Version gegen die Revolten von Soweto eingesetzt wurden. Heckler & Koch
Gewehre sorgen in den Händen der Militärs von Guatemala dafür,
dass (Toten)Ruhe und (kapitalistische) Ordnung herrschen. Fregatten und Lizenzverträge
für Panzerproduktionen tragen dazu bei, die argentinische Junta am Ruder
zu halten; Atomfabriken der KWU sichern der brasilianischen Diktatur die Option
für ihre atomaren Träume. Zum Teil über Drittländer liefern
BRD-Rüstungskonzerne Kriegsmaterial an Israel zur Unterdrückung der
arabischen Linken und des palästinensischen Befreiungskampfes. So genannte ‚anti-aufruhr-mittel‘ wie
Wasserwerfer, CN-Tränengas und selbst Handschellen und Gummiknüppel
gelangen aus deutschen Fabriken, wie zum Beispiel der staatlichen Diag, an Folterherrscher
wie Paraguays Stroesser oder seinerzeit an den Schah. EG Nahrungsmittelkonzerne
zwingen ‚Drittweltländer‘, anstelle dringend benötigter
Grundnahrungsmittel Luxusfressalien anzubauen. Hungerländer aus der Sahelzone
exportieren täglich per Luftfracht Tomaten und Auberginen direkt in die
Metropolenstädte; angesichts dessen ist es purer Zynismus, wenn hier bei
Almosensammlungen gegen den Welthunger immer von Naturkatastrophen geredet wird.
Die eigentliche ‚Naturkatastrophe‘ ist die aufgezwungene imperialistische
Weltmarktordnung und die von ihr eingesetzten korrupten Regierungen.
Auch davon, dass für die Schrankwände und Schreibtische der Reichen
die Teakholzwälder der Elfenbeinküste abgeholzt werden und dadurch
ein ganzer Landstrich versteppe und seine Bevölkerung verelendet, redet
hier niemand, wenn wir es nicht tun.
Obwohl die Reichtümer der dritten Welt seit Jahrhunderten in die Metropolen
geschafft werden, ist es doch nicht einfach so, dass das Proletariat der Industriestaaten
der Parasit der dritten Welt wäre. Schließlich besteht der Widerspruch
zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten auch in den Metropolen selbst. In einer
anderen Form, das Elend hier ist ein anderes als in den Slums der dritten Welt,
aber der gesellschaftliche Reichtum fließt auch hier nicht dem Volk zu,
sondern füllt die Taschen der Konzerne oder wird für Rüstung und
militärische Absicherung imperialer Herrschaft verbraucht. Eine linke ‚Argumentation‘,
wonach hier nur Metropolenchauvinisten und Ausbeuter der dritten Welt leben würden,
läuft Gefahr, darüber den Klassencharakter des Systems hier zu vernachlässigen.
Es gibt keine Einheit der Metropolenbewohner gegen die unterdrückten Völker
und wo es dennoch so erscheint, liegt dem eine rassistische staatliche Desinformationspolitik
zugrunde. Das ist ein Problem, was zu lösen ist, aber eben kein Beleg dafür,
dass hier alle von den geplünderten Reichtümern anderer Länder
profitieren würden.
Bewusstsein über internationale Zusammenhänge der Ausbeutung und Herrschaft
ist in den letzten ein, zwei Jahren wieder gewachsen, nachdem es jahrelang still
war in dieser Hinsicht auf den Straßen. Internationalismus bedeutet die
Kämpfe der Befreiungsbewegungen durch Aktionen zu unterstützen, wobei
aber immer klar sein muss, dass solche Aktionen unter den hier bestehenden Bedingungen
der sozialen Kämpfe durchgeführt werden müssen.
Aktuelles Beispiel für eine legale Unterstützungsaktion des Befreiungskampfes
ist die Spendensammlung ‚Waffen für El Salvador‘. Natürlich
ist es richtig, soviel Kohle wie möglich für diesen Zweck zusammenzukriegen,
aus den Metropolen in die dritte Welt zu schaffen. Allerdings ist es ja nicht
einzusehen, dass nur die Linken, die eh nicht soviel Kohle haben, spenden sollen
und die, die das System des Imperialismus tragen, somit direkt oder indirekt
verantwortlich sind, ungerupft bleiben. Dass die, die zu den Ausbeutern hier
zählen und unbehelligt in ihren Villen sitzen und zusehen, wie ihr Geld
immer mehr wird und nicht mal damit konfrontiert werden, dass andere Menschen
in Flüchtlingslagern sitzen und nicht mal genug fürs Fressen, geschweige
denn für Waffen haben, um endlich ihre Unterdrücker angreifen zu können.
In den Händen von Befreiungsbewegungen ist Geld erheblich sinnvoller als
auf den Konten der Kapitalisten hier. ‚Friede den Hütten und Krieg
den Palästen‘ heißt in der Praxis eben auch: Kohle für
den Kampf um nationale Befreiung und Selbstbestimmung und Krieg den Geldsäcken
in Europa.
Die Staatsanwaltschaft hat sich hier mal ausgelassen, dass die Entführung
des mehrfachen Millionärs Palmers ein ganz gewöhnlicher krimineller
Akt gewesen wäre. Die Villen im Tessin, die sich die angeblich kriminellen
Entführer von den viereinhalb Millionen gekauft haben, sucht sie allerdings
bis heute. Es geht ja auch nicht in den Kopf eines Bürgers, dass Geld nicht
nur zum eigenen Nutzen verdient und beschafft werden kann, dass es auch umverteilt
werden kann schon zu Zeiten eines erst beginnenden Kampfes um gerechtere Verteilung
des Reichtums zwischen Nord und Süd. Aber auch mit noch soviel Kohle aus
denn Kassen der Metropolenbanken können die Befreiungsbewegungen immer nur
einzelne Glieder des Imperialismus angreifen und zerstören, das eigentliche
Herz der Bestie können wir nur hier im Zentrum selbst vernichten.
Solange die imperialistische Herrschaft ihre Macht noch aus dem ungeheuren Reichtum,
den technologischen und militärischen Mitteln, die hiervon den arbeitenden
Menschen geschaffen werden, ziehen kann, wird der Imperialismus nicht aufhören
zu existieren.
Die Überwindung der Klassengesellschaft in den Metropolen ist der Schlüssel
zur Zerstörung imperialer Ausbeutung. Es ist eine Frage der Strategie, wie
wir diesen Schlüssel in die Hand bekommen können. Manche glauben, dass
die einzig Erfolg versprechende Möglichkeit in einem engen Aktionsbündnis
mit den Befreiungsbewegungen der dritten Welt liege. Bei aller notwendigen Solidarität – der
Versuch, darüber hinaus eine operationelle Einheit zu schaffen, musste scheitern.
So, wie alle, die bisher versucht haben, ihre Praxis ausschließlich nach
internationalen Prozessen auszurichten, in ihrem eigenen Land Niederlagen einstecken
mussten und ihre politische Autonomie verloren.
Revolutionäre Praxis ist immer konkret, das heißt, sie bestimmt sich
immer an den jeweiligen Gegebenheiten und Bedingungen des Kampfes. Internationalismus
ist ein Schnittpunkt vieler Widerstandslinien, aber es ist nicht möglich,
aus dieser abstrakten Kategorie die jeweils notwendige Strategie und Taktik abzuleiten.
Die Wege zur Revolution verlaufen je nach Geschichte, Kultur, politischer und ökonomischer
Entwicklung eines jeden Landes unterschiedlich. Praxis entsteht vom Konkreten
ausgehend hin zum allgemeinen, vom Nationalen hin zum Internationalen: Revolutionen
lassen sich zwar von außen unterstützen, aber niemals fernsteuern
oder schlicht vereinheitlichen. Ein Versuch in dieser Richtung würde den
historischen Prozess von den Füssen auf den Kopf stellen.
Ein Kampgefährte von Che Guevara hat mal gesagt, dass es zwar sehr wichtig
ist, die internationalen Zusammenhänge im Kopf zu haben, dass man aber die
Hände immer mit den konkreten, nationalen Problemen beschäftigen muss,
anderenfalls würde man sich auf die Schnauze legen. Mit anderen Worten heißt
das für uns, autonom an der Basis hier zu kämpfen, um eines Tages die
Befreiung der Menschen weltweit erreichen zu können.
In diesem Kampf um Befreiung spielt der Faktor Zeit eine immer größer
werdende Rolle. Was die alten Revolutionsstrategen von Marx bis Bakunin noch
nicht wissen konnten, liegt heute im Bereich des Möglichen: Dass die Erde
nach dem Abgang der Ausbeuter von der weltgeschichtlichen Bühne nicht mehr
bewohnbar sein wird, verwandelt in eine strahlende Wüste.
Mit den heute verfügbaren Waffensystemen wäre die Erde mehrfach total
zu zerstören. Alleine in der BRD lagern etwa siebentausend Atomgranaten
und Sprengköpfe, die angeblich den Frieden sichern sollen. Bald werden es
etwa zehntausend sein, die den Frieden dann noch ‚sicherer‘ machen
sollen. Mit derartig perversen Zahlenspielereien, wie auch dem wieder anschwellenden
Propagandageschrei von der ‚Gefahr aus dem Osten‘, soll die Möglichkeit
eines neuen Krieges in den Köpfen der Menschen als nicht mehr völlig
unwahrscheinlich erscheinen; gleichzeitig soll von den inneren Widersprüchen
auf einen angeblichen äußeren Feind abgelenkt werden.
Die BRD ist Aufmarschgebiet der Bundeswehr und der hier stationierten ausländischen
Nato-Truppen gegen die RGW-Staaten; im Falle eines Krieges würde sie völlig
zerstört, was selbst die Militärs und die Regierungen in ihrem Zynismus
nicht leugnen. Bei einer derartig düsteren Perspektive ist es nur logisch
und wichtig, dass sich wieder eine breite Antikriegsbewegung entwickelt, die
sowohl gegen die Möglichkeit eines atomaren Holocaust, wie gegen die Nato-Hochrüstung,
als auch nicht zuletzt gegen ein Widererstarken des deutschen Militarismus kämpft.
Was am 6. Mai in Bremen und später in Bonn, Hannover und anderswo passiert
ist, war ein Ausdruck dieses Kampfes. Neben alten Antifaschisten, Pazifisten
und anderen Kriegsgegnern steht hier die Linke nicht zuletzt deshalb, weil sie
einen Widerwillen gegen die Roboterisierung von Menschen zu Kampfmaschinen und
gegen jeden Kadavergehorsam ist. Krieg gegen den Krieg ist immer ein Kampf gegen
die, die im eigenen Land die Kriegspläne ausarbeiten und vorbereiten: die
Nato-Strategen, die Rüstungskonzerne, die Revanchisten und all ihre Handlanger.
Kurz gesagt: Klassenkampf. Denn diese Interessengruppen und ihre militaristische
Geisteshaltung sind auch dafür verantwortlich, dass Aufrüstung nach
außen immer mit der nach innen zusammenläuft, die Repression im Lande
verschärft wird.
Hinter der Möglichkeit absoluter Zerstörung durch einen Krieg steht
aber auch die der allmählichen Vernichtung des Lebens auf der Erde. Großtechnologien,
die nicht zu kontrollieren sind, Strahlungsruinen und vergiftete Landstriche
a la Seveso, zubetonierte Städte, die Menschen verrecken an unbekannten
Seuchen, weil einem irren Gen-Biologen einige seiner neuen Bakterien aus dem
Labor entwischt sind, eine totale, computerisierte Kontrollmaschine a la Orwells
1984, die Rebellionen bereits im Vorfeld aufspürt und durch hochgerüstete
Polizei- und Militäreinheiten vernichtet ...
Das alles sind keine erfreulichen, aber leider auch keine unmöglichen Aussichten
gegen eine lebenswerte Zukunft. Ob so etwas Wirklichkeit wird, hängt von
jedem Einzelnen ab; davon, ob er dagegen ankämpft, oder ob er nichts macht
und seine letzten Tage noch in Ruhe zu genießen gedenkt. Aber wer seine
Hoffnung und seinen Widerstandswillen verliert der wird auch seine Freiheit und
seine Zukunft verlieren
Der Zeitdruck, etwas erreichen zu müssen gegen die allmähliche Zerstörung
der Erde, ist im Bereich Ökologie spätestens seit Harrisburg und Seveso
allgemein bekannt und die Anti-AKW-Bewegung verläuft mit ihren unzähligen
Gruppen und Vertretern quer über den alten Klassenwiderspruch hinweg in
einer breiten Front gegen die Atomstaatsperspektive.
Der Zeitdruck aber, die Möglichkeit einer totalen Kontrolle durch die Computerisierung,
der Repressionsfunktionen noch rechtzeitig zu verhindern, ehe der staatliche
Informationsvorsprung derart ist, dass jede Rebellion bereits im Vorfeld ausgerechnet
und zerschlagen werden kann, ist noch viel zu wenig im Bewusstsein. Obwohl gerade
die radikale Linke von diesen Rechenmaschinen gesteuerten Strategien am meisten
betroffen und bedroht ist, hat sie die Diskussion bisher weitgehend den Reformisten überlassen,
denen außer Datenschutzgesetzen entsprechend wenig eingefallen ist.
AKWs stehen ja sehr augenfällig in der Landschaft und ihre Auswirkungen
sind exakt messbar, während Computer großteils unsichtbar in klimatisierten
Bunkern untergebracht sind und deren Gefährlichkeit in winzigen elektrischen
Schaltkreisen ruht. Gerade diese schwer zu erfassende, subtile Bedrohung macht
die Gefährlichkeit aus. Massenhafte Sammlung von Daten und ihre maschinelle
Auswertung sind technische Grundlage, für das funktionieren bürgerlicher
Herrschaft und sozialer Kontrolle; ohne Computer funktioniert das ‚Modell
Deutschland‘ nicht.
Wissen ist Macht. Eine Binsenweisheit, die aber in Gestalt von präventiv
gespeicherten Fingerabdrücken, Schrift-, Blut- und Haarproben, Stimmaufzeichnungen
und digital auswertbarer Fotos sehr real wird, bei Rasterfahndungen werden handschriftliche
Meldezettel ganzer Regionen überprüft, Computer überwachen internationale
Telefonleitungen nach bestimmten Stimmen oder Reizwörtern. Wer heute zum
Beispiel in einem Gespräch mit London das Wort ‚IRA‘ benutzt,
kann sicher sein, dass dann irgendein Geheimdienst in der Leitung hängt.
Die Bundespost schafft derzeit zwecks Rationalisierung Geräte an, die handschriftliche
Adressierungen entziffern können, die aber auch in Verbindung mit BKA-Computern
bestimmte Handschriften aussortieren könnten.
Datensammlung ist die eine Seite dieser dreckigen Medaille, Datenverfügbarkeit
die andere. Kleine, transportable Terminals sollen bald jeden Streifenwagen und
jeden Kop direkt mit Großcomputern verbinden. Auf Knopfdruck erfahren die
dann von der Schuhgröße bis hin zu Vorstrafen oder Ermittlungsverfahren
praktisch alles von jemandem. Über die so genannte ‚Hauskartei‘ der
Kobs sogar noch, was in der jeweiligen Mülltonnen so zu finden ist. Ein
VS-Spitzel bekäme von geheimen Nachrichtensammlungen vermutlich auch noch
eine Liste aller Bekannten seit der Grundschule mitgeliefert.
Wenn praktisch alle Informationen über jemanden zentral verfügbar sind,
dann ist der oder diejenige ausrechenbar, ob und wann er beginnen könnte
Widerstand zu leisten. Bereits im Vorgriff könnten dann Schnüffler,
Sozialarbeiter oder sonst wer auf ihn angesetzt werden. All das ist ohne einen
breiten Datenverbund zwischen sämtlichen Behörden – von der AOK
bis zum BND – nicht möglich, ohne die Zuträger – vom Kob
bis zum Sozial- oder Arbeitsamt – auch nicht. Der, der Daten verfügbar
hat, wird immer mehr Macht haben als der, der nur gespeichert ist, egal, in welcher
Gesellschaftsordnung. Klar, es geht nicht um Maschinenstürmerei oder um
den kleinen Bürocomputer, aber man sollte sich ernsthaft überlegen,
gegen Großrechneranlagen und alle Arten von Datenverbundsystemen anzugehen.
In Frankreich hat die ‚Action Directe‘ bereits mehrere Anlagen angegriffen
und dabei sogar militärische Programme zur Steuerung von Atomraketen zerstört.
Auch in der BRD wäre es höchste Zeit, die weitere Computerisierung
massiv zu stören. Sowohl die Zuträger der Datensammlungen zu behindern
als auch die IBM-, Honeywell- oder Siemens-Computer direkt zu knacken.
Zu Beginn des Schlusswortes steht, dass es darum geht, die radikale Linke mit
den sozialen Massenbewegungen der achtziger Jahre zusammenzubringen. Der Kampf
im Stadtteil, der Häuserkampf ist ein Beispiel dafür, wo es ansatzweise
schon so läuft. Zu der Kampfbereitschaft der Linken kommt die Notwendigkeit
sozialer Veränderungen, wie sie der Staat aber nicht mehr zulassen kann,
will er sich nicht selbst in Frage stellen. Das ist auch die Ausgangsposition,
wie sie sich noch in anderen Bereichen einstellen wird in den nächsten Jahren.
Der wachsende Widerspruch zwischen sozialen Unausweichlichkeiten und Staatsinteressen
ist unsere Chance, etwas zu erreichen.
Seitdem die klassischen Disziplinierungsinstanzen wie Fabrik, Schule oder Familie
immer weniger diese Rolle übernehmen und sich auch der Widerstand mehr in
den unmittelbaren Lebenszusammenhang des Stadtteils verlagert hat, versucht der
Staat diesen Bereich einzukreisen und unter Kontrolle zu bekommen. Die Bullenpräsenz
wird erhöht, immer mehr Zivile lungern auf den Strassen herum, die kleinen
Reviere werden durch festungsartige Einsatzzentralen ersetzt und staatliche Sozialarbeiter überschwemmen
Jugendheime und Freizeitzentren. Auch die mobilen Einsatzkommandos haben inzwischen
von Hippietarnung auf ‘ne Kostümierung als Punks umgeschaltet und
hängen auf Veranstaltungen rum, wo sie regelmäßig Schlägereien
anzetteln und Leute verhaften lassen. Die staatliche Präsenz im Stadtteil
soll außer den erwähnten Datensammlungen im Prinzip eines bewirken:
Unruhe und Misstrauen zu säen, um Solidarität zwischen den Rebellierenden
im Stadtteil zu verhindern.
Es gibt auch genug Fälle hier, wo große Heroindealer gedeckt werden,
während die kleinen Fixer rigoros abgegriffen werden. Vor bald zehn Jahren
haben die Black Panthers am Beispiel Harlem nachgewiesen, wie Heroin als besonders
schweinisches Mittel eingesetzt wird, um die revoltierende Jugend still zu machen,
in individuelle Probleme zu drücken, damit kein organisierter und solidarischer
Widerstand entsteht. Und was das amerikanische FBI aus diesem Grund lange geduldet
hat, wird auch den deutschen Bullen nicht ganz fremd sein. Schließlich
weiß inzwischen jeder, dass vergleichbar zur Mafia in Harlem in der BRD
türkische Faschisten am Heroinhandel ihre Kohle machen und dabei selbst
nur selten drangekriegt werden. Selbst aus Zürich ist zu hören, dass
dort seit dem Beginn der Bewegung immer mehr Heroin auf den Markt geworfen wird,
von wem auch immer. Jedenfalls kann die Linke nicht tatenlos zusehen oder sich
mit reformistischen Therapieprogrammen begnügen, wen Großdealer dazu
beitragen, da Widerstand im Stadtteil behindert wird.
Sowenig wie gegen faschistische graue Wölfe gemacht wird, so häufig
gehen Ausländerpolizei und Arbeitsämter gemeinsam gegen linke Arbeitsemigranten
vor, wenn es darum geht, sie abzuschieben und ihre hiesige politische Arbeit
zu verhindern. Auch die ausländischen Genossen versuchen im Stadtteil zu
arbeiten und es wäre ein Stück praktischer Internationalismus mit ihnen
dort wo immer möglich zusammen zu handeln, zudem würden dadurch auch
viele Erfahrungen für die deutsche Linke verfügbar werden, die die
ausländischen Linken schon früher gemacht haben.
Zu den staatlichen Methoden der Widerstandsbekämpfung gehört auch,
dass alte Stadtviertel abgerissen werden und die Bevölkerung in neue, unter
Beteiligung des BKA geplante, Vorstädte abzuschieben. Alle neuen Hochhausgebilde
sind so angelegt, dass sie relativ leicht zu überwachen sind und ihre Struktur
erwarten lässt, dass sich keine großen Gruppen von Bewohnern zusammentun,
sondern vielmehr alle mehr oder weniger vereinzelt ihren Frust vor der Glotze
ersäufen. Zusammen mit dem Profithunger der Baugesellschaften, der sich
nur bei großflächiger Kahlschlagsanierung befriedigen lässt,
ist dieses Kontroll- und Entsolidarisierungsinteresse verantwortlich dafür,
dass manche Städte wieder so aussehen wie nach dem zweiten Weltkrieg und
Beton alles beherrscht.
Aber auch die immer höher werdenden Mieten, die Einführung des weißen
Kreises und die Zerstörung großer Wohnungen werden auch immer mehr
Leute gezwungen, sich gegen diese Angriffe auf ihre Lebensbedürfnisse zu
wehren. Staatliches Wohngeld wird immer dünner tröpfeln und die kommunalen
Verwaltungen sind in ihrer Korruptheit nur dazu in der Lage, die Wohnungsbaugesellschaften
entweder weiter durch Abschreibungsgelder vor Pleiten zu schützen, oder
sich immer neue Bauskandale einzuhandeln. In Westberlin funktioniert selbst diese
Alternative nicht mehr: Die Skandale fallen mit den Pleiten auf einen Tag.
Und zu dieser Situation kommen dann noch die, denen es eh nicht passt, dass Wohnen
nur eine Ware zum Nutzen einiger Besitzer ist und die deshalb anfangen sich zu
nehmen, was sie brauchen. Das ist sowohl ein Modell für andere, die kurz
davor stehen, auf die Strasse zu fliegen, als auch ein Ausdruck von selbstverwalteter
Gegenmacht, die die staatlichen Verwaltungs- und Kontrollansprüche durchbricht,
die gegen das staatliche Gewaltmonopol verstößt, ist auch das, was
die Bonzen vielmehr stört als das Wohnen in ein paar ohnehin leerstehenden
Häusern. Das könnten sie zur Not noch verkraften, so lange nicht die
Profite der Sanierungsgesellschaften gefährdet sind und so lange sie wissen,
wer in welchem Haus wohnt und was darin vorgeht. Wenn die Häuser aber zu
befreiten Gebieten werden, dann überschreitet das den Rahmen, in dem der
Staat noch mit sich handeln lässt.
Bis vor ein paar Wochen hat ja noch die breite und militante Unterstützung
der Linken für die besetzten Häuser den Senat davon abgehalten, zu
räumen oder auch nur zu durchsuchen. Inzwischen ist das leider anders, seitdem
die Bewegung nicht mehr so einig scheint, wie noch zu Beginn des Jahres, und
auch Massenfestnahmen und selbst Räumungen mitten in Kreuzberg nicht mehr
tagelange Krawalle und Sachschäden in Millionenhöhe hervorrufen, wird
die taktische so genannte ‚Berliner Linie‘ aus Zuckerbrot und Peitsche
immer mehr zur harten Linie. Das letzte krumme Zuckerbrot, das noch hingehalten
wird – das Angebot des Senats, sich eventuell auf Duldungsverträge
einzulassen – soll denn auch dazu dienen, den Anspruch staatlicher Kontrolle
irgendwie doch noch durchzusetzen und durch eine Integration einzelner Strömungen
Ruhe zu schaffen.
Für den gleichen Zweck sind hier auch in den letzten Monaten ein paar hundert
Leute festgenommen und ED-Behandelt worden, sofern sie nicht eh zu Abschreckungszwecken
eingeknastet wurden. Ich habe vorhin ziemlich lange über Computerisierung
und Erfassung der Linken geredet, deshalb, weil ich mir nicht sicher bin, dass
allen draußen die Zielbewusstheit und Langfristigkeit, die dahinter steht,
klar ist.
Nach 1968 waren die meisten Leute, die später illegal wurden, für die
Staatsschutzstellen kaum erkennbar und überwachbar, das staatlich verfügbare
Material über die ersten Akteure des bewaffneten Kampfes war jedenfalls
reichlich mager. Damit sich eben das nicht wiederholt, werden heute noch schnell
möglichst viele Linke präventiv gespeichert, um sie dann leichter überwachen
und gegebenenfalls später ausschalten zu können. Und genau wie nach
1968 versucht auch heute der VS wieder Spitzel in die Bewegung einzuschleusen.
Es ist jedenfalls höchste Zeit, notwendige militante Aktionen so zu machen,
das man selber dabei nicht mehr erkennbar auf der Platte steht.
Die letzten nächtlichen ‚Putzaktionen‘ sind ja auch schon mit
ziemlich hohen ‚Verlusten‘ und Festnahmen ausgegangen. In dieser
Situation muss man sich andere Kampfmethoden überlegen, um sich gegen die
kommenden Räumungen und Schläge gegen die Bewegung, wie auch konkret
gegen die neuen Bullenwaffen bei Demos zu wehren.
Man muss die Taktik im Kampf ändern und nicht den Kopf in den Sand, beziehungsweise
in die Müslischüssel, stecken und sich alleine auf Verhandlungen verlassen
das ist nur für die eine (scheinbare) Lösung, die nicht über ‚ihr‘ haus
hinaussehen können und politisch auch nicht mehr wollen. Für all die,
die den Häuserkampf als nur ein Terrain unter vielen im Kampf um Autonomie
gegen den Staat begreifen, stellt sich mal wieder die uralte Frage nach dem ‚was
tun?‘
Auch insofern ist die Situation heute mit der Ende der sechziger Jahre vergleichbar,
als die APO an inneren Widersprüchen und unter der staatlich Repression
zerfiel und dann unter anderen auch die ersten Stadtguerillagruppen entstanden
sind.
Kalle Marx hat mal geschrieben, dass die Geschichte sich wiederholt, das erste
Mal als Tragödie und dann als Farce. Ich meine zwar nicht, dass es nach
1968 nur eine Tragödie war, aber es muss auch sicher sein, dass eine neue
militante Bewegung nicht zu einer Farce wird. Um das zu verhindern, muss eben
auch aus der bisherigen Geschichte der Stadtguerilla gelernt werden. Zu der Spontaneität
und Kampfbereitschaft der Bewegung muss noch der lange Atem des Organisierens
und der Verbindlichkeit kommen, sonst bleiben alle unsere Kämpfe Eintagsfliegen.
In dem Maße, wie der Konsens des Volkes mit Staat verfällt und damit
auch das staatliche Gewaltmonopol ins Wanken gerät, kann und muss sich Gegenmacht
entwickeln. Denn sonst würde, die relative Schwäche der Herrschenden
niemals zu einer Stärke der Linken werden.
Langfristig können die Auseinandersetzungen der kommenden Jahre, in die
immer größere Teile des Volkes einbezogen werden, nur mit der notwendigen
Beharrlichkeit und Intensität geführt werden, wenn man die Kämpfe
zu seinen eigenen macht. Autonome Gruppen müssen sich zukünftig in
allen Bereichen der sozialen Bewegungen verankern, ob das nun die Frauenbewegung,
die Häuserkämpfe oder die Anti-AKW-Bewegung ist. Über die autonome
Selbstorganisation in den einzelnen Bereichen hinaus wird auch die Zusammenarbeit
der einzelnen Gruppen durch Notwendigkeiten Bündnisse einzugehen bestimmt
sein und nicht durch eine aufgezwungene Unterordnung.
So eine Organisationsform, das Miteinander verschiedener linker Ansätze
und Gruppen, macht die stärke einer Bewegung aus. Ihre inneren Widersprüche
widerspiegeln, die im Volk allgemein vorhandenen und das verhindert Einseitigkeit
und Verknöcherung. Nicht eine steril reine politische Linie bringt stärke,
sondern das Bewusstsein über eine Einheit in der Vielfalt. Nur jemand, der
wenig von Dialektik versteht, kann auf Einförmigkeit bauen. Denn ohne Auseinandersetzung,
Kritik und Selbstkritik gibt es keine Entwicklung und keinen Fortschritt.
Was für die Autonomie der einzelnen Gruppen gilt, ihre Selbstbestimmung
innerhalb der Bewegung, gilt auch für die Auswahl der Methoden im Kampf.
Die sind selbstverantwortlich alleine danach festzulegen, ob sie vertretbar sind
und die Bewegung voranbringen, beziehungsweise den Gegner schwächen, autonom
zu sein, bedeutet auch seine Kampfform selbst zu wählen und sich nicht vorschreiben
zu lassen, was man zu tun habe oder was man zu unterlassen habe. Dabei darf man
sich weder durch Gesetze einengen lassen, noch umgekehrt einem Denken gemäß kapitalistischer
Leistungsschemata verfallen, wonach es wertvollere und weniger wichtige Formen
im Kampf gäbe. Die Form einer Aktion sagt nichts über die politische
Qualität einer Aktion aus, der Inhalt und das Angriffsziel sind entscheidend
und durch sie bedingt sich die Form. Es kann nicht oft genug wiederholt werden:
Die Politik und die aktuelle Situation bestimmen die Art und Weise einer Aktion.
Die Politik befiehlt dem Gewehr und nicht umgekehrt!
So kann eine Druckmaschine in bestimmten Situationen wichtiger sein als ne Knarre;
die Gestapo zum Beispiel hat seinerzeit mehr nach illegalen Druckereien gesucht
als nach Waffenverstecken. Und es gibt auch genug Anlässe, wo mit legalen
oder gewaltfreien Methoden nichts mehr auszurichten ist. Ob da nun ein legal
nicht zu verhindern gewesenes AKW seiner Hochspannungsmasten beraubt werden soll,
oder der Abriss eines für die Bewegung wichtigen Hauses nur noch militant
verhindert werden kann, oder ob es sich nicht zuletzt um die banale Notwendigkeit
handelt, sich genügend Kohle für den weiteren politischen Kampf zu
besorgen. Linke kommen ja leider nicht so leicht in den Genuss großzügiger
Kredite wie stadtbekannte Pleitekapitalisten; heutzutage müssen selbst Bankräuber
für die paar tausend Märker härter arbeiten als zum Beispiel der
Garski für seine 125 Millionen. Wer von beiden da ‚krimineller‘ handelt,
ist wohl keine Frage. Verbrechen in riesigen gesellschaftlichen Dimensionen war
im Kapitalismus schon immer straffrei.
Welche Methoden auch immer im Kampf angewendet werden, es gibt keine, die für
sich alleine genommen letztlich erfolgreich sein könnte. Erst die Vielfältigkeit
der Methoden und die Beweglichkeit in der Strategie verschaffen einer politischen
Bewegung Stärke und Widerstandkraft. Es kann uns nur nützen, wenn möglichst
viele die verschiedenen Methoden im Kampf erlernen und damit die legalen Handlungsmöglichkeiten
der Linken um subversive erweitern (oder umgekehrt – siehe Ätzer).
In der organisatorischen Konsequenz bedeutet das, innerhalb der Bewegungen bewaffnete
autonome Gruppen zu bilden, die dann in der Lage sind, in aktuelle Konflikte
militant einzugreifen, um den Zersetzungsprozess gegen die herrschende Macht
voranzutreiben. Durch organisierte Militanz zerfällt die Angst und Ohnmacht
des einzelnen gegenüber dem Staat und damit auch ein Grundelement seiner
Herrschaft. Die Kämpfe der letzten Zeit sind schon jetzt durch eine Vermischung
von Massenmilitanz und subversiven Aktionen geprägt, wie es sie in der Geschichte
Westberlins und der BRD noch nie gegeben hat. Es liegt an uns, diese Kämpfe
weiter zu entwickeln und voranzutreiben, um die Möglichkeiten der kommenden
Jahre für die Linke zu nutzen.
Am Anfang vom Schlusswort standen ein paar Fragen. Danach, wo wir stehen, was
wir erreichen wollen, gegen wen – und mit wem zusammen, wir kämpfen
müssen. Wir sind keine Oberschlauen, die vorgeben, auf alle diese Fragen
Antworten zu wissen. Aber wir wollen, dass es eine Praxis gibt, die diese Fragen
zu beantworten versucht. Wir wissen nicht einmal sicher, ob wir siegen werden
eines Tages, aber wir wissen, dass wir mit Sicherheit verlieren werden, wenn
wir gar nicht erst anfangen zu kämpfen.
Wir wollen uns nicht den Vorwurf gefallen lassen müssen, wir hätten
etwas unversucht gelassen, um eine lebenswertere Zukunft zu erreichen. Eine Zukunft,
in der wir wieder alle gemeinsam auf der Strasse sind, um die Reste dieses Systems
zusammenzufegen und etwas Neues aufbauen.
Bis dann.
Nachbemerkung im Oktober 1981
Der jetzt in der radikal abgedruckte Text, den ich als Schlusswort zum Prozess
schon im Januar geschrieben hatte, enthält ein paar Unzulänglichkeiten,
da er die letzten Ereignisse nicht mehr einbezieht, und daraus logo auch keine
Schlussfolgerungen mehr ziehen konnte. Gerade die „Friedensbewegung“ mit
ihrer zahlenmäßigen Stärke und ihren radikalen, reformistischen
und neonationalistischen Strömungen kommt viel zu kurz weg. Wichtig wäre
es an ihrem Beispiel die Verbindung von Massenaktion, Militanz und Stadtguerillaaktionen
aufzuzeigen und darauf aufbauend weiterzuentwickeln. Denn hier wird klar, wie
einzelne – für sich alleine genommen nur spektakuläre – Aktionen
in Zusammenhang mit einer Massenbewegung exemplarischen und mobilisierenden Charakter
bekommen können. (Von den Aktionen ist hier die Rede, zu einzelnen Erklärungen
wäre allerdings noch mehr zu sagen).
Die Hintergründe der neuen US-Außenpolitik und Militärstrategie
sind im letzten Jahr deutlicher geworden; die US-Hegemonie gegenüber den
Nato-Partnern und ökonomischen Konkurrenten mit Mittelmachtambitionen wie
Europa oder Japan soll wieder verstärkt werden. Den offenen und ökonomischen
Krieg, den Reagan der Dritten Welt und dem eigenen Volk erklärt hat, soll
durch neue Waffensysteme an den Flanken des Imperialismus gesichert werden.
Im Inneren bröckelt das Modell Deutschland an seinen sozialen Rändern
immer mehr ab; abgesehen von einem festen Stamm ideologisch eingebundener und
wirtschaftlich halbwegs befriedigter Angestellter und Arbeiter entstehen immer
stärkere Randgruppen, für die es weniger ‚Alu‘ oder ‚Sozi‘,
aber reichlich mehr Bullen gibt. Eine gewisse soziale Unruhe in diesem Bereich
wird offen einkalkuliert und soll auf dem Niveau des alltäglichen Widerstands
gehalten werden, mit dem die Herrschenden schon immer fertig geworden sind, solange
er sich nicht organisierte und zur Gegenmacht wurde.
In der Autonomiediskussion der letzten Zeit (auch in der radikal) ist Autonomie
als Begriff teilweise zu einer schlaffen Blase verkommen, alles Mögliche
nennt sich heutzutage schon so. Wenn das der Bewegung nicht eine Grundlage ihrer
Existenz entziehen soll (siehe Zürich aktuell), muss ein Minimum an Theoriearbeit
ausgehend von der ja inzwischen reichlich vorhandenen Praxis gemacht werden.
Autonomie wird zu oft nur als ein Lebensgefühl und nicht auch darüber
hinaus als eine offensive Strategie im Kampf gesehen. Wir kämpfen autonom
(selbstbestimmt, mit unseren Methoden von der Basis ausgehend) um immer mehr
Gruppen/Bereiche mit einzubeziehen und eines Tages die Autonomie der einzelnen
aufzuheben in einer organisierten Gegenmacht. (‚aufzuheben‘ bedeutet
dabei sowohl die Selbstorganisationsstrukturen aufzubewahren als auch aufzuheben
im Sinne von auf eine höhere Stufe von Bewusstsein und Organisation zu stellen).
Eine Gegenmacht, die nicht die Kraft und den Willen hat später dann ihre
Rolle als Gegenmacht wiederum ‚aufzuheben‘ wird ewig ohnmächtig
bleiben. Wer unter dem Etikett ‚autonom‘ zu sein gegen jede Form
von Macht wettert, verurteilt sich letztlich zur Wirkungslosigkeit, aber die
Herrschenden werden es ihm trotzdem nicht danken ...
Es wird Jahre dauern hier eine breit gefächerte Gegenmacht zusammenzubekommen
und deshalb ist Autonomie auch eine Strategie von heute, morgen und übermorgen
und nicht nur für den späten Nachmittag. Schnelle Entscheidungen im
Kampf suchen die Bullen gegen uns – ein Grund mehr sich nicht darauf einzulassen
und vielmehr über einen langen Zeitraum versuchen vorauszuschauen und schon
heute nicht nachzulassen im Kampf.
Dazu gehört auch, dass die Überlegung nach den letzten Angriffen des
Senats noch dringender ansteht, über die pure Spontaneität hinauszukommen.
Denn die wird auf Grund ihrer logistischen und theoretischen Schwäche auf
die offensichtlichsten/oberflächlichen Angriffsziele beschränkt bleiben
und kaum bis zu den Wurzeln und Schaltstellen der bürgerlichen Macht vordringen.
Natürlich muss es zum Beispiel immer (Putz)Demos geben, schon allein deshalb,
weil es für viele Leute der erste Einstieg in eine politische Praxis ist,
aber es wäre auch an der Zeit sich anderen Methoden zuzuwenden und anderen
Zielen, die sich auf den ersten Blick noch nicht ergeben und auch nach dem Motto „schmeißen – klirren – rennen“ nicht
zu knacken sind.
(Nebenbei: es ist offensichtlich, dass die Bullen den Kampf auf den Straßen
im Kiez auszutragen gedenken (da stören sie Schutt und Scherben weniger
und die Bevölkerung dort kann gleich noch mit eingeschüchtert werden),
aber wieso sollten wir uns darauf unbedingt immer einlassen und uns auf ein von
den Bullen aufgezwungenes Terrain beschränken?).
Die Häuser waren und sind ein wichtiger Ausgangspunkt für autonome
Organisation und Kampf, wenn es aber bei dieser ‚Monokultur‘ der
Häuser bleibt, kann das zu einer Achillesferse werden. Eine weitere Verbreiterung
in andere Bereiche hinein, vielfältigere Methoden sich zu verteidigen gegen
den nächsten Schlag; das muss bald laufen, sonst gibt es mehr Verluste und
Rückschläge als nötig. Selbst für den Fall, dass es keine
besetzten Häuser mehr wie bisher gibt, sollte nachgedacht werden. Das wäre
kein Defätismus, sondern pure Vorsicht, außerdem würden ein paar
eh anstehende praktische Konsequenzen noch deutlicher werden.
Das muss sich aber jeder selbst erarbeiten, deshalb hab ich mich auch bemüht
im Schlusswort schematische Rezepte zu vermeiden, denn die würden eh nur
wieder neben all den anderen ‚heißen Broschüren‘ im linken
Bücherschrank verschwinden. Und das wäre so ziemlich das letzte, was
ich wollte.
Klaus Viehmann
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