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Die Entführung aus unserer Sicht ...
März 1975 – Die Zeitung der Bewegung 2. Juni die 20 Tage nach der Entführung 30 000 mal in Berlin verteilt wurde



Die gefundenen Briefe von Frau Busch und Antwort der Bewegung


1. Brief der Frau

Lieber Herr Peter Lorenz!

Ich bin seit 25 Jahren Mitglied der CDU. Ich habe ein mongoloides Mädchen, welches am 24. Dezember 1960 geboren wurde. Seitdem habe ich viel Schweres durchgemacht mit meinem Kinde in der Öffentlichkeit. So hässlich können nur Menschen ohne innere Werte sein. Aber weh tat es, dass auch Senat und Kirche uns fallen ließ, wie eine heiße Pellkartoffel und uns fühlen ließ, dass wir Menschen zweiter Klasse sind.

Frau Ilse Reichelt sagte mir mündlich dass die SPD dafür nicht zuständig ist und auch kein Bundeskanzler mir helfen kann. Herr Sozialstadtrat Karl Dickfeld von Tempelhof hat mir gesagt, dass das geistig behinderte Kind nicht von der SPD betreut wird, sondern Angelegenheit der CDU ist.

Am 24. März schrieb ich an Frau Wolf und erhielt nie eine Antwort oder Hilfe. und im November 1974 bekam ich alles zurück mit den Worten, dass während des Wahlkampfes sie keine Zeit hat mit mir ein helfendes Gespräch zu führen.

Auch Frau Greiff versprach mir mündlich bei einer Zusammenkunft im Rathaus Tempelhof, mir zu helfen. Aber meine telefonischen Anfragen wurden dann immer mit einer Absage beantwortet.

Nun können sie sich vielleicht vorstellen welchen Hohn und Spott ich ertragen muss, wenn meine Partei mich genauso im Stich lässt, wie die SPD. Ich kenne viele Familien mit behinderten Kindern, denen es genauso geht wie mir und die laufend umziehen müssen deshalb.

Lieber Herr Lorenz, machen sie es bitte nicht wie der regierende Bürgermeister Klaus Schütz, der drei Monate braucht für eine Antwort ohne Inhalt.

Mit freundlichen Grüßen und guten Wünschen zum Wahlerfolg

Ihre Frau Busch



2. Brief vom 19. Februar 1975

Lieber Herr Peter Lorenz und Gattin!

Heute erhielt ich eine Antwort auf meinen Brief an Sie, von Herrn Dietrich von Thadden unterschrieben, welcher nicht auf Wahrheit beruht. Sollten sie Herr Lorenz Herrn von Thadden gebeten haben mir in diesem Sinne eine Antwort zu geben, dann muss ich sie bitten, mir den Beweis zu geben, wieso ich alle Hilfe abgelehnt haben soll, die mir die Berliner Behörden angeboten haben. Auf alle meine Hilferufe seit 1971 habe ich nur Absagen erhalten.

Hält Herr von Thadden es für eine Hilfe, wenn ich bei einer Mutter-Kind-Verschickung von der inneren Mission für drei Wochen nach Silbertal 500 Mark bezahlen soll? Weil der Senat den Zuschuss abgelehnt hat? Vom Müttergenesungswerk forderte Frau Hahnemann auch von mir eine Zuzahlung in ähnlicher Höhe. Diese Angebote muss ich leider ablehnen, da es mir an Geld mangelt, um so hohe Summen, zu bezahlen. Denn da kann ich privat verreisen dies käme mir billiger. Denn zu diesen Reisen kommt im ersten Fall eine Hilfe für meinen Mann, die ich auch noch bezahlen müsste. Im zweiten Fall kämen noch die Heimkosten für mein Kind, weiches ich ja nicht mit ins Muttergenesungswerk nehmen kann.

Auch habe ich es abgelehnt mein mongoloides Kind in ein Heim zu geben, als mir dieser Vorschlag gemacht wurde. So blöde ist meine Tochter noch lange nicht, dass ich dies tun würde um des lieben Friedens willen des lieben Nächsten.

Lieber Herr Lorenz, ich bitte sie um eine persönliche Antwort auf alles was ich gerne wissen wollte.

Mit freundlichen Grüßen Ihre Frau Busch



3. Brief vom 19. Februar 1975

Sehr geehrter Herr von Thadden! Ich danke ihnen für ihr Schreiben, worüber ich sehr enttäuscht bin, da ich diese Antwort nicht erwartet hatte. Bitte teilen sie ganz genau mit, weshalb sie nicht in der Lage sind mir zu helfen. Vor allen will ich von ihnen bewiesen haben, welche Hilfsangebote ich abgelehnt habe. Mir ist alle Hilfe verweigert worden von allen Berliner Senatsbehörden und Kirchen.

Ich verlange von ihnen konkrete Beweise, denn diese Unwahrheit lasse ich nicht auf mir sitzen.

In ihrem Schreiben haben sie mir schriftlich bewiesen, dass auch für die CDU die geistig behinderten Menschen in die Gruppe unter ferner liefen, gehören.

Mein Schreiben war an Herrn Lorenz gerichtet. Ist dies die Meinung von Herrn Lorenz?

Ich erwarte bis zum 28. Februar 1975 die Beweise. Ansonsten übergebe ich es meinen Anwalt, denn als Lügnerin lasse ich mich nicht hinstellen.

Hochachtungsvoll Frau Busch



4. Brief vom 14. Januar 1975

Sehr Geehrter Herr Bürgermeister Klaus Schütz.

Zweimal ist es mir schriftlich versprochen worden und einmal mündlich in die Hand von ihnen, dass sie mir helfen wollen. Schriftlich am 6. März und 16. Oktober und mündlich am 9. März 1974 auf dem Wochenmarkt in Tempelhof unter Zeugen des Volkes und ihres Gefolges gehalten haben sie, Herr Schütz keines ihrer Versprechen. Leider muss ich sagen, verstehen kann ich sie nicht in ihrer Handlungsweise, wo doch gerade sie es wissen müssten, wie schwer es ist mit einem behinderten Kind aus eigener Erfahrung. Es soll sich ja in ihrem Haushalt auch ein behindertes Kind befinden, dass in der Öffentlichkeit allerdings nie erwähnt wird, und das auch nie mit ihnen gesehen wird. Aber vielleicht ist es nicht ihr eigenes, sondern das Kind ihrer Frau aus erster Ehe und dies würde viel erklären.

Frau Senatorin Ilse Reichelt hat mir ausrichten lassen dass mir der Bundeskanzler Brandt nicht helfen könnte. Herr Sozialstadtrat Karl Dickfeld von Tempelhof hat mir gesagt, dass die SPD nicht zuständig ist für das geistig behinderte Kind, sondern die CDU. Aber vielleicht denkt der Bundeskanzler Helmut Schmidt etwas menschlicher, wenn er erfährt, wie sehr seiner Partei damit geschadet wird, wenn die SPD in Berlin ihn in dieser Form in den Rücken fällt, und auch Sie als regierender Bürgermeister von Berlin nur leere Versprechungen machen.

Wo soll dann das Vertrauen herkommen zu ihnen und der SPD-Partei. Mir ist durch dies unmenschliche Verhalten im Juni 1973 großer Schaden zugefügt worden, als mein Kind von Katholiken angespuckt worden ist und ich dazu. Hausbesitzer drohte mit Kündigung. Aber dies ist ihnen ja alles bekannt. Alle Stellen des Senats und der Kirche, die ich um Hilfe bat, lehnten dies ab. Ja, es kam sogar soweit, dass ich einmal 500 Mark und einmal 300 Mark bezahlen sollte, weil ich am Ende war, in jeder Beziehung. Zwei Ärzte gaben mir ein Attest, dass ich dringend einige Zeit eine Haushaltshilfe brauche. Auch dies lehnte der Senat ab. Jetzt weigert der Senat sich wieder die logopädischen Unterrichtstunden zu bezahlen, die meine Tochter dringend braucht, da der Sprachkomplex sich verschlimmert hat durch die vielen Schocks der lieben Mitmenschen von denen wir umgeben sind.

Unser Einkommen ist zum Verhungern zuviel, aber zum Sattwerden zu wenig, denn bei diesen Preisen die zurzeit sind. Ist es vielleicht in ihrem Sinn, dass der Arbeiter nur noch arbeiten, essen und trinken darf und seine Miete bezahlt? Nach Meinung irgendwelcher Paragraphen teilt mir das Jugendamt mit, dass 268 Mark wir zuviel an Einkommen haben ... sie und so manch anderer von der Prominenz sind ja fast überall Ehrengast und brauchen kein Eintrittsgeld zu bezahlen. Wir, die Kleinen müssen überall teures Eintrittsgeld bezahlen für einen Tapetenwechsel. Aber wenn man so liest wie uns auf Heller und Pfennig berechnet wird, was wir verbrauchen dürfen, muss man ja zu der Überzeugung kommen, dass wir nur zum arbeiten für die Steuer da sind. Denn von des Arbeiters Steuer werden sie und die oberen 10 000 ja bezahlt.

Bekomme ich jetzt keine Hilfe in angemessener Form, leite ich weitere Schritte ein.

Hochachtungsvoll Frau Busch



Unsere Antwort

Liebe Frau Busch!

Wir sind die Entführer von Herrn Lorenz. Nun erschrecken sie nicht gleich, wir wollen ihnen nur mitteilen, dass wir zwischen den Akten von Herrn Lorenz ihren Brief gefunden haben. Wir waren erbost über die Gleichgültigkeit der Parteien ihrer Nöten und Schwierigkeiten gegenüber. Aber uns ist das nichts Neues. Schließlich greifen wir nicht umsonst zu solch harten Mitteln.

Wir haben Peter Lorenz zu seinem Verhalten, warum er diese Nöte so übergeht, befragt. Er meinte dass er für solche Einzelfälle keine Zeit hätte. Die ganz große Politik und der Wahlkampf seien wichtiger und nehmen ihn ganz in Anspruch. Wir meinen aber, dass alle Politik zum Teufel gehen soll, wenn sie nicht in der Lage ist, auf die Probleme der Bevölkerung einzugehen und in einem so dringenden Fall, wie dem ihrigen, Hilfe zu geben. Und sie können wohl glauben, dass es Zigtausenden so geht.

Als wir Herrn Lorenz gefangen genommen haben, hatte er 700 Mark Privatgeld bei sich. Wie Sie wissen, sind Politiker nicht gerade die Ärmsten im Lande. Von daher interessieren sie sich auch nicht besonders für die Probleme derer, die kaum genug haben. Wir haben daher beschlossen, Ihnen die 700 Mark zu schicken. Das löst natürlich nicht ihre Schwierigkeiten, ist aber vielleicht eine kleine Hilfe.

Wir haben Herrn Lorenz gesagt, was wir mit seinem Geld machen, und sicherlich ist er schon bei Ihnen gewesen, um noch schnell sein Gesicht zu retten, oder sie zum Ablehnen zu bewegen. Aber das ist uns auch egal.

Wir möchten Ihnen noch sagen, dass es richtig ist, wenn sie für ihre Rechte kämpfen, und dass sie nicht aufhören sollen, es weiterhin zu tun; auch wenn es manchmal so aussieht, als wäre es aussichtslos.

Bewegung 2. Juni