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Hallo, Enkel, danke schön
Malte Daniljuk | junge Welt | 7. Juni 2005
Ja, so warns, die alten Rittersleut: In Berlin fand ein Kongress anlässlich
der Peter-Lorenz-Entführung vor dreißig Jahren statt
Am Wochenende fand in Berlin der Kongress „In Bewegung bleiben“ statt.
150 Aktivistinnen und Aktivisten aus sozialen Bewegungen diskutierten die Geschichte
der BRD, der 68er und des bewaffneten Kampfes. Der Anlass war das Jubiläum
einer legendären Entführung: Am 27. Februar 1975 hatte ein Kommando
der Bewegung 2. Juni den Westberliner CDU-Chef und -Spitzenkandidaten Peter Lorenz
gekidnappt und ihn anschließend gegen vier politische Gefangene ausgetauscht,
die nach Aden in den Südjemen ausgeflogen wurden. Seitdem war militante
Politik hierzulande niemals mehr so erfolgreich gewesen.
Veranstaltet wurde der Kongress im Mehringhof, dem alternativen Kulturzentrum
in Kreuzberg. Das Clash, heute wieder eine Punkerkneipe, stellte die Veranstaltungsräume
für das Treffen einer Gegenwelt zum Thema der Gegengewalt. Zwischen den
Konzertplakaten von Punkbands fanden sich am Freitagabend viele Ältere und
einige deutlich Jüngere ein. „Wir müssen hier Leuten unsere Geschichte
vermitteln, die unsere Enkel sein könnten.“, fasste eine Referentin
die Lage zusammen.
Die Veranstalter gehörten eindeutig zur Enkel-Generation. Sie mussten zunächst
erklären, warum einige der angekündigten Prominenten auf dem Podium
fehlten: dem Hamburger Arzt und Theoretiker Karl-Heinz-Roth zum Beispiel hatte
der einladende Flyer nicht gefallen – die Gestaltung drücke eine
Ikonisierung, eine unkritische Bezugnahme auf den bewaffneten Kampf der 70er
Jahre aus und so sei eine Perspektivdiskussion von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Entgegen dieser Befürchtung geriet der dreitägige Geschichtsmarathon
zu einem teilweise ausufernden Seminar über die weltweiten Widerstandsgeschichten
der letzten 50 Jahre.
Am Freitag verfolgte ein großer Teil des Publikums die Beiträge im
Vorgarten, mittels einem beeindruckenden Technik-Aufgebot inklusive Standkameras
und Video-Beamer bekam die Veranstaltung den Charakter eines Live-Studios. Greifbarer
wurde die Stimmung dieser Zeit durch den Dokumentarfilm „2. Juni 1967“:
Rudi Dutschke sitzt auf dem Tisch und doziert eloquent über die Notwendigkeit
der Gegengewalt.
Der Samstag gehörte den vielfältigen Vorläufern und Vorbildern
der Bewegung 2. Juni. Aus den proletarischen Milieus heraus wurden die ersten
Aktionen durchgeführt, die Frauenbewegung erschütterte die Macho-Normalität
der Nachkriegsgesellschaft und aus den Heimen und Anstalten flüchteten die
Ausgegrenzten, Weggesperrten, Marginalisierten. Zu fortgeschrittener Stunde widmete
man sich den Vorbildern, den Guerilla-Bewegungen auf der ganzen Welt. Nach einem
einstündigen Vortrag durch die gesamte Geschichte der MLN-Tupamaros zeigte
das Publikum deutliche Ermüdungserscheinungen. „Die internationalen
Bezüge waren eher abstrakt“, meinte Inge Viett und gestaltete ihren
Vortrag zur Geschichte der Black Panther Bewegung analytisch, detailreich und
voller Analogien zur westdeutschen Geschichte. Das Publikum blieb dann doch konzentriert
sitzen. Gegen 23 Uhr erkannten die Veranstalter, dass weitere Vorträge kaum
noch Sinn machten.
Erst am Sonntag gelangte der Kongress zu seinem eigentlich Thema: die Bewegung
2. Juni und die Entführung von Peter Lorenz. Diese Geschichte begann mit
einem exemplarischen Unfall: eine von der neugegründeten Guerilla gelegte
Bombe im Britischen Yachtclub entpuppte sich als Blindgänger, riss aber
den sie findenden Hausmeister in den Tod. Es waren eher die schwierigen Kapitel
der Bewegungsgeschichte, die da vom Podium thematisiert wurden. Ob es der vorher
erhobene Vorwurf der Ikonisierung war oder der Abstand der einstigen Aktivisten
zur eigenen Geschichte: In angespannter Stimmung argumentierte man konzentriert
und genau. Um die Verantwortung im Umgang mit Waffen und die Gefahren der geheimdienstlichen
Angriffe. Erst als es um die Lorenz-Entführung ging, fühlte sich das
Podium sichtlich wohler.
Rituelles hatte an diesem Wochenende eher das Publikum zu bieten: Sobald es um
die Perspektiven ging, lieferten stadtbekannte Einzelgänger wenig zielführende
Kommtentare ab. Zwischendurch entzündete sich an Details die obligatorische
Antisemitismus-Debatte. Der eine oder andere Stammgast des Clash hatte bereits
einen über den Durst getrunken und strapazierte die Konzentration des Publikums
mit lauten Selbstgesprächen. Erwartungen an politische Vorgaben vom Podium
wurden enttäuscht. Am Ende blieb die Frage nach den Perspektiven und der
Bewertung: War die Lorenz-Entführung die Vorbedingung für den deutschen
Herbst, wie Regisseur Thomas Giefer meinte? Welche Bedeutung haben die bewaffneten
Konzepte heute? Zur aktuellen Starre gehöre auch, dass die Linke an Pazifisierung
leide. Die aktuelle Hilflosigkeit kommentierte Ralf Reinders: „Eine Linke,
die ernstgenommen werden will, muss die Option des bewaffneten Kampfes aufrecht
erhalten.“ Inge Viett formulierte es vorsichtiger. Die Massendemonstrationen
gegen den Irak-Krieg oder gegen „Hartz IV“ seien gegen Watte gelaufen.
Man könne aber aus der Geschichte lernen, dass die Linke „einen Schritt über
das Erlaubte hinausgehen“ müsse, wenn sie etwas anfangen möchte.
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