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Die Rächer der Enterbten
Christoph Villinger | Jungle World | 8. Juni 2005
Kongress zur Bewegung 2. Juni
Die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz am 27. Februar 1975 ist und
bleibt eine sozialromantische Räubergeschichte. Die „guten“ Sozialbanditen
aus dem Kreuzberger Wald klauen den „bösen“ Sachwalter der Reichen
aus einem Westberliner Villenviertel. Nach einigen Tagen im „Volksgefängnis“ der
Bewegung 2. Juni tauschen sie ihn gegen fünf inhaftierte GenossInnen aus,
die danach zum Baden in den damals revolutionären Südjemen fliegen.
So weit, so schön.
„30 Jahre nach der Lorenz-Entführung“ fand am Wochenende ein
Kongress zur Geschichte der Bewegung 2. Juni statt. Unter dem Motto „in
Bewegung bleiben“ trafen sich rund 200 Interessierte im Kreuzberger Mehringhof,
um den inzwischen meist weit über fünfzig Jahre alten ehemaligen GenossInnen
aus der Bewegung 2. Juni und der RAF sowie den kaum über zwanzigjährigen
OrganisatorInnen des Treffens zu lauschen.
Froh, dabei gewesen zu sein, erzählte Gabriele Rollnik von der Entführung,
und Inge Vieth, Ralf Reinders, Margrit Schiller und Stefan Wisniewski plauderten
aus dem Nähkästchen. Doch der entscheidenden Frage, ob der bewaffnete
Kampf überhaupt eine gute Idee war, näherte man sich erst auf der Abschlussveranstaltung.
Zuvor spielte es eine viel größere Rolle, dass sich die InitiatorInnen
zurzeit mit einem „umfassenden Geschichtsrevisionismus“ konfrontiert
sehen, der „es auch auf linksradikale Bewegungsgeschichte abgesehen hat“.
Gemeint ist wohl der Medienrummel um die RAF-Ausstellung und die Stilisierung
von Andreas Baader und Gudrun Ensslin zu Popikonen.
Angesichts der „bürgerlichen Aufarbeitung“ der Geschichte,
die jedes ernsthafte Bemühen der Beteiligten um Befreiung leugnet und sie
zum Teil nur noch psychologisiert, ist die Betonung des „historischen Kontexts
der sozialen und antiautoritären Bewegungen“ sicher richtig. Aber
auch die ehemaligen Guerilleros und Guerilleras lassen viele unbequeme Fragen
weg. Deshalb sagten der Historiker Karl-Heinz Roth und der Rechtsanwalt Heinrich
Hannover ihre Teilnahme ab. Zu platt war ihnen die Feier der Lorenz-Entführung
schon im schick gestalteten Flyer. „Mit Bürgerkriegsmethoden kann
die soziale Befreiung nicht erkämpft werden“, schreibt Roth, dies
sei die wichtigste Erkenntnis aus den Jahren des bewaffneten Kampfes.
Die ReferentInnen versuchten vielmehr, mit endlosem Schwadronieren über
die „Bösen“ der Welt den unbequemen Fragen zu entkommen. Was
war am bewaffneten Kampf „Befreiung von unten“, was nur konkurrierende
Herrschaft? Was ist mit dem latenten Antisemitismus, der auch im Umfeld der Bewegung
2. Juni zu finden war? Wie weit ging Ende der siebziger Jahre die Zusammenarbeit
mit der Staatssicherheit der DDR? Was ist mit der Kritik an der „Selbstermächtigung
der Stadtguerilla“ und damit, dass ein Genickschuss eben ein Genickschuss
ist? Allein auf den Mord an dem Polizeispitzel Ulrich Schmücker ging das
Podium kurz ein.
Nur wenn diese Fragen beantwortet werden, gerät politisch etwas in Bewegung.
Ansonsten bleibt es bei den beliebten Räubergeschichten. „Robin Hood“ ist
nicht ohne Grund eines der beliebtesten Jugendbücher.
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