Reaktionen
Eine eigene Geschichte

Peter Nowak | Neues Deutschland | 3. Juni 2005

Aneignungsversuche: In Berlin widmet sich die radikale Linke mal wieder dem „bewaffneten Kampf“

Nach der RAF-Ausstellung schien zum „bewaffneten Kampf“ linker Gruppen in der BRD alles gesagt. Es handelt sich, so der Tenor, um das Werk irregeleiteter Desperados, die völlig losgelöst von politischen Bewegungen einen Privatkrieg mit dem Staat führten und dafür Menschenleben opferten. Ging es wirklich nicht um mehr?

Auf einem dreitägigen Bewegungskongress in Berlin soll ab heute einer Sichtweise widersprochen werden, die schon längst den Diskurs über militante linke Gruppen beherrscht. Der „Denunziation von sozialrevolutionären Bewegungen“, versprechen die Organisatoren, wolle man „etwas entgegensetzen“. Hoch gestecktes Ziel: Die Wiederaneignung einer Geschichte, die jenseits symbolischer Bezüge stets auch das Selbstverständnis einer radikalen Linken in Frage gestellt hat – der Geschichte linker Militanz.

Als am 2. Juni 1967 bei Protesten gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde, war das nicht nur der „Startschuss“ einer außerparlamentarischen Bewegung. Als Bezug diente das Datum fast acht Jahre später einer weiteren Episode linker Geschichte: Am 27. Februar 1975 entführte die „Bewegung 2. Juni“ den CDU-Politiker Peter Lorenz. Nachdem die Behörden auf die Forderungen der Entführer eingegangen waren und Verena Becker, Rolf Heißler, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Rolf Pohle und Ingrid Siepmann in den Südjemen ausfliegen ließen, wurde Lorenz am 5. März 1975 freigelassen.

Die Aktion war durchaus nicht so isoliert, wie heute vielfach dargestellt. Auf der Konferenz sollen deshalb gerade die weitgehend vergessenen Wurzeln und politischen Folgen eines Protestes im Mittelpunkt stehen, über dessen Militanz man streiten mag.

Mit dabei sein wird unter anderem Carlos Antoniazzi, einer der Protagonisten von damals. Er ist noch immer in der Linken politisch aktiv. Margrit Schiller wird über die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs berichten, in dem sich Psychiatriepatienten und medizinischen Personal unter dem Slogan „Aus der Krankheit eine Waffe machen“ organisierten.

Natürlich soll auf der Konferenz auch der internationale Aspekt eine wichtige Rolle spielen. So wird über die in den USA aktiven Black Panther und die von weißen Linken gegründete Weather Underground Organization ebenso berichtet, wie über Tupamaros aus Uruguay. Die existieren dort noch immer und sind inzwischen Teil der Regierungskoalition Frente Amplio.

Davon träumt vielleicht ein Teil der Linken hier zu Lande. Doch statt an der politischen Macht ist die Szene marginalisiert – und mit den Verzerrungen, Psychologisierungen und Mystifizierungen ihrer Geschichte durch andere konfrontiert. Über die eigenen „Schwächen und Fehler“ will man nun wieder selbst reden. Wenigstens an diesem Wochenende.

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