|
|
|
Vier leere Stühle
Peter Nowak | Neues Deutschland | 10. Juni 2005
Von den Schwierigkeiten, über die linke Bewegungsgeschichte ohne
Distanzierung zu reden
Die Räume im Berliner Alternativzentrum Mehringhof waren am vergangenen
Wochenende so voll wie einst in den Hochzeiten der linken Bewegung. Und genau
die waren Thema eines dreitägigen Bewegungskongresses.
Mehr als 30 Jahre nach der Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter
Lorenz 1975 haben am vergangenen Wochenende ehemalige Aktivisten und Sympathisanten
der „Bewegung 2. Juni“ über die Aktion und das damalige gesellschaftliche
Umfeld diskutiert. Es wurde eine kurzweilige Einführung in linke Bewegungsgeschichte – zunächst.
Wer kennt heute noch den Begriff Treberbambule? Vor 30 Jahren war er vielen bekannt
als Revolte von Heimkindern gegen autoritäre Erziehungsmethoden und die
Gewalt von Pflegern. Genauso wenig bekannt ist heute noch das Sozialistische
Patientenkollektiv, das mit der Parole „Die Krankheit zur Waffe machen“ für
Aufsehen sorgte. Aber der Kongress war mehr als ein nostalgischer Rückblick.
Dafür sorge schon die recht junge Vorbereitungsgruppe. Sie stellte immer
wieder kritische Fragen an die Referenten. Auch das Publikum sparte nicht mit
Kritik an den alten Politikkonzepten. So gab es eine heftige Kontroverse um den
Nahostkonflikt. Schließlich passt die damalige Parteinahme der linken Bewegung
für die palästinensische Sache nicht zum aktuellen politischen Diskurs.
Deswegen hat eine Antifa-Gruppe schon vor Kongressbeginn ihr Urteil gefällt. „Antizionistisches
Veteranentreffen“ war ein Flugblatt überschrieben, dass nachts rund
um das Kongresszentrum geklebt worden war.
So einfach wollte man es sich beim Kongress dagegen nicht machen. Auch bei größten
Kontroversen waren sich Publikum und Referenten im Grundsatz einig, dass eine
linke Bewegung, die sich nicht in staatlich vorgeschriebenen Protestritualen
erschöpft, dringend nötig ist.
Auf Unverständnis stieß die Absage von vier Referenten aus dem wissenschaftlichen
Milieu. Sie vermissten die kritische Distanz zur „Bewegung 2. Juni“ in
den Kongressmaterialien. So befürchtete der Bremer Historiker Karl-Heinz
Roth – selbst in den 70er Jahren bei einem Schusswechsel zwischen
Polizei und Militanten schwer verletzt – eine Ikonisierung der Bewegung.
Da wäre er sicher bei Teilen des Publikums und bei einigen Organisatoren
auf offene Ohren gestoßen. Warum die Kritiker ihre Sichtweise allerdings
nicht auf dem Kongress vortrugen, sondern den Veranstaltern nur per E-Mail mitteilten,
fragten sich dann doch einige.
Ein Zuhörer brachte das Unverständnis auf dem Punkt: „Früher
konnte man über militanten Widerstand ohne vorherige Distanzierungsrituale
nicht reden. Das scheint sich in Deutschland bis heute nicht geändert zu
haben.“
www.bewegung.in
|
|
|
|
|
|