Materialien
Schlusswortmarathon im Lorenz-Prozess
August 1980 – Fritz Teufel über den Tag der Schlusswörter und Ralf Reinders mit seinem Schlusswort


Tag der Schlusswörter aus Sicht von Fritz Teufel

Trotz mehrfacher Abmahnung durch Angeklagte und Verteidiger ist der 1. Strafspinat des Jammergerichts auch bei den Schlussworten der Angeklagten im Lorenz-Drenkmann-Prozess seiner Linie treu geblieben: Die Angeklagten nicht ausreden zu lassen, Wort entziehen, bei Beifall ausm Publikum sofort unterbrechen, Saal räumen lassen, Notstandsübungen gegens Publikum anordnen, Ausschluss von Zuschauern und Angeklagten für ein oder mehrere Tage oder Ordnungsstrafen unbefristet und von ein bis sieben Tagen Knast.

Nachdem der Vorsitzende Geus schon beim Schlusswort von Fritz Toifl mehrfach durch Dazwischenreden unangenehm aufgefallen war – Ausführungen über die Türkei gehörten nach seiner Ansicht ebenso wenig zur Sache wie der Text von Postkarten, die der Angeklagte im Knast erhalten hat – konnte auch der Angeklagte Till Meyer sein Schlusswort nicht in Ruhe vortragen, ohne Geus wegen seines vorlauten Dazwischenkwasselns rügen zu müssen, was er allerdings in außergewöhnlich milder Form tat. Nach zweieinhalb Jahren Prozess und fünf Jahren U-Haft zeigten sich die Angeklagten in guter Verfassung und gut vorbereitet.

Die Genossen hinter der Balustrade, Saaldiener, bürgerliche Pressemenschen und der schlafmützige Taz-Reporter Wodo, Anwälte, Zwangsluis, Protokollführerinnen – eben das gesamte Publikum lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit.

Eine Zuschauerin in einer kleinen Gruppe revolutionärer Hitzköpfe fragte allerdings, was denn der Quatsch solle, als Toifl zwei sächsische Witze erzählte, um den Humor des Vorsitzenden Sachsen zu testen. Toifls Frage, was sie denn hören wolle blieb zunächst unbeantwortet. Meyer und Toifl, die dreieinhalb beziehungsweise sechs Stunden sprachen, wobei sie beide teils vom Blatt lasen, teils in freier Rede sprachen und einen von Saaldienern herbeigeschafften Pappkarton als Rednerpult benutzten, mögen schon durch die Länge ihrer Ausführungen die Geduld des Gerichts auf die Probe gestellt haben. Da klafft ja noch ne Lücke im Gesetz: nirgends steht geschrieben, wie kurz sich die Angeklagten fassen sollen.

Aber so richtig durchgeknallt sind die Herren Richter erst bei Ronnies Schlusswort, dem der Vorsitzende nach 15 Minuten das Wort entzog, was mit folgendem Gerichtsbeschluss noch mal abgesegnet wurde:

„Nach Beratung b.u.v. (soll heißen: beschlossen und verkündet). Die Anordnung des Vorsitzenden wird bestätigt. Der Angeklagte Fritzsch hat das Recht zum letzten Wort missbraucht. Er hat trotz mehrfacher Abmahnung durch den Vorsitzenden die in den Sitzungsprotokollen festgehaltenen schwerwiegenden Beleidigungen von Prozessbeteiligten durch die Angeklagten vorgelesen. Dieses diente offensichtlich allein dem verfahrensfremden Zweck, die Beleidigungen zu wiederholen und Teile des Publikums damit zu belustigen. Er hätte nämlich sein Verhalten nach den Abmahnungen ändern können und müssen, wenn er mit seinen Zitaten einen vertretbaren Sinn verfolgt hätte“.

Ronnie (Ronald Fritzsch) war dabei, in seinem Schlusswort die beGEUSternde Verhandlungsführung durch eine Art Statistik nach dem offiziellen Sitzungsprotokoll zu illustrieren. Nach 193 Verhandlungstagen hatten die Angeklagten insgesamt 282 Mal „gestört“ und waren 164 Mal „verwarnt“ worden, sowie über weite Strecken der Hauptverhandlung von derselben ausgeschlossen, als obs ein Privileg sei, der eigenen Verknackung beizuwohnen. Dem Gericht wars offensichtlich unangenehm, daran erinnert zu werden, wegen welcher Lappalien Angeklagte und Zuschauer verwarnt und zu Ordnungsstrafen verknackt wurden und nicht „Teile des Publikums“, sondern alle Anwesenden hatten ihr Vergnügen an den protokollierten Äußerungen, die selten „beleidigend“ (was ist das eigentlich?), aber immer aufschlussreich und heiterkeitserregend waren. Heiterkeit des Publikums – offenbar besonders unerträglich für einen Vorsitzenden, der oft schon wegen eines Lächelns neurotisch reagierte.

Es dürfte wohl einmalig und wenn schon kein absoluter Revisions- so doch ein relativer Revolutionsgrund sein, dass Ronnie sein Schlusswort nur deshalb nicht halten durfte, weil er es geschafft hat, aus dem in der Regel stinklangweiligen offiziellen Prozessprotokoll die interessantesten Stellen rauszupicken.

Ronnies Arbeit darf nicht umsonst gewesen sein, deshalb im folgenden zunächst das ronnische Prozessprotokollpotpurri.

Nachdem Ronnies Recht auf ein Schlusswort vom Gericht liquidiert war, wollten auch Gerald Klöpper und Ralf Reinders nicht mehr reden und demonstrierten damit noch mal eindrucksvoll die Solidarität aller Angeklagten gegenüber diesem Gericht.

Trotzdem isses besonders schade um das nicht gehaltene sehr inhaltsreiche Schlusswort von Professor Bärmann, alias Ralf Reinders, das ein krönender Abschluss des Prozesses aus der Sicht der Angeklagten geworden wäre.

Glücklicherweise liegt dieses Schlusswort als Manuskript vor und soll in der taz ohne Zensur, Satz- und Druckfehler – das wäre schön – den interessierten Leuten zur Kenntnis gebracht werden. Gründliche Lektüre und Verbreitung dieses nicht gehaltenen Schlussworts (wie alle Schlussworte und schriftliche Äußerungen aller Gefangenen) – das wünschen sich die Gefangenen und soll nach ihrer Auffassung auch keine Strafe, sondern ein Vergnügen sein. Nach Ansicht der Gefangenen, die nach Absicht ihrer Geiselnehmer für viele lange Jahre in der Versenkung verschwinden sollen. Die Gefangenen sind außerordentlich interessiert an Kritik und Diskussion ihrer Äußerungen und freuen sich über entsprechende Post und über jede Art revolutionärer Resonanz. (Selbstverbrennung von Gerichten, Demos, Streiks, Besetzungen)



Schusswort von Ralf Reinders


Als dieses Verfahren anfing, gab es bei uns Diskussionen, ob wir überhaupt in diesem Saal erscheinen und ob wir überhaupt am Prozess teilnehmen.

Es gab gute Argumente diesen Prozess zu boykottieren. Die Gefahr, dass wir hier im Saal 700 lediglich zu Statisten degradiert werden die mit ihrer Anwesenheit einem so genannten demokratischen rechtsstaatlichem Alibi-Theater Vorschub leisten, diese Gefahr bestand.

Der Versuch uns zu leblosen Objekten zu machen, durchzog diesen Prozess wie der berühmte rote Faden. Rausschmisse waren immer die letzten Maßnahmen, wenn wir uns gegen diese Versuche gewehrt haben. Die ersten waren das Verbot, Anträge so zu formulieren und zu begründen wie wir es wollten. Uns zu Objekten machen und gleichzeitig der Versuch, über kriminalistische „Beweisführung“ die politischen Inhalte dieses Verfahrens rauszudrücken. Das waren die Hauptstoßrichtungen des Gerichts und der Bundesanwaltschaft. Warum hat das Gericht und die Bundesanwaltschaft versucht, uns nachzuweisen, dass wir gewöhnliche Kriminelle sind, die sich persönlich bereichern würden und auf Kosten anderer leben?

Wozu denn dieses Abgestrampel, wo doch jedes Kind schon weiß, dass revolutionäre Politik notwendigerweise illegal sein muss. Man kann kein Herrschaftssystem durch dessen eigene Gesetze beseitigen. Ein Regime, das den gegen sich gerichteten revolutionären Kampf anerkennt und nicht als kriminell betrachtet, gibt sich selbst auf. Welches Regime könnte es sich leisten, die Revolution zur eigenen Beseitigung als Notwendigkeit anzuerkennen?

Zu der Frage, was denn ein ganz gewöhnlicher Krimineller in einem kapitalistischen Staat ist, hat Brecht wohl treffend formuliert: Was ist denn ein Bankraub gegen das Gründen einer Bank?

Die Herren Oweh, Weltfremd, Weisnix und Spekulier von der BAW sagen ständig, dass wir und unsere Politik völlig unbedeutend seien, wir für niemanden sprechen und niemanden ansprechen würden.

Wenn das stimmen würde, dann wäre dieser Prozess hier anders abgelaufen. Dann wären Gericht und Bundesanwaltschaft hier in aller Ruhe aufgetreten, hätten die Taktik der väterlich-verständnisvollen Tour angewendet und uns unter Berücksichtigung aller politischen Motive ein Volles aufgebraten. Die ganzen Dreckkanonaden gegen unsere Verteidiger und uns wären doch vollkommene Spiegelgefechte, wenn sie nicht einen Zweck erfüllen sollen. Und weil wir diesen Zweck erkannt hatten, haben wir uns entschieden, am Prozess teilzunehmen.

Wir wussten, dass man uns zu Statisten des Verfahrens machen wollte und dass über dieses Verfahren versucht wird, die Ziele, die Politik und unseren Kampf als etwas Kaputtes hinzustellen und der Öffentlichkeit so zu verkaufen.

Unsere Möglichkeiten im Gerichtssaal sind ziemlich gering, die Macht liegt in den Händen des Staates. Aber, trotz alledem, auch dieses Feld räumen wir nicht kampflos. Denn noch immer bieten uns die Prozesse die Möglichkeit, die Gerichte zu Tribünen unseres Kampfes zu machen. Viele interessieren sich in ziemlich starkem Maße für die Prozesse und es galt und gilt, soweit wie möglich, die Prozesse agitatorisch und propagandistisch für uns zu nutzen und unsere Politik denen zu vermitteln, die wir für uns gewinnen wollen.

Beide Seiten – Gericht und BAW auf der einen, wir auf der anderen – hatten von Anfang an vor, diesen Prozess zur Tribüne der eigenen Politik zu machen. Unsere Position war einwandfrei die Schwächere, wir hatten sozusagen ein Auswärtsspiel, dessen Resultat auch schon vorher feststand. Aber Verlierer in diesem Feld des Klassenkampfes sind wir nicht. Trotz Beleidigung, Misshandlungen, Rausschmisse, Redeverbot, Antragsverbot, Zwangsverteidiger, haben wir einen politischen Punktsieg davongetragen.

Gut, wir hatten schwache Augenblicke, waren manchmal trotz unserer langen Erfahrung erstaunt, mit was für einer verlogenen und dummen Dreistigkeit hier zu Werke gegangen worden ist. Trotzdem haben wir hier unsere Politik rüberbringen können. Und es wird letztlich die Kraft und Stärke unserer politischen Überzeugung sein, nach der wir verurteilt werden. Prozesse und besonders Schauprozesse, wie es dieser war, sind in der bürgerlichen Klassengesellschaft immer ein Schwert gegen die, die sich befreien wollen, gegen die, die sich bewusst und unbewusst gegen dieses System der Zerstörung von Mensch und Natur wehren. Zum Plädoyer der BAW, das sowohl juristisch als auch politisch jeder Niete auf dem Rummelplatz die Hand schütteln könnte, sagen wir nichts.

Aber wir sollten erstmal bei dieser Justiz bleiben. Sehen wir genauer hin, blättern ein paar Jahre zurück, dann kann auch dem Gesündesten nur noch schlecht werden. Das Auge des Gesetzes sitzt im Gesicht der herrschenden Klasse, hat mal Bloch treffend formuliert. Niemals ist die Justiz die neutrale Instanz, die frei schwebend die Interessen aller vertritt. Sie ist vielmehr ein gewalttätiger Vollstrecker der Interessen der bürgerlichen Klassengesellschaft.

1945, als der Faschismus zerschmettert am Boden lag, sollte es Ziel des Potsdamer Abkommens sein, in Deutschland alle Voraussetzungen zu zerstören, die jemals wieder das Aufkommen des deutschen Imperialismus ermöglicht hätten. Dazu gehörte es, die Monopole zu entflechten und ein gründliches Entnazifizierungsprogramm durchzuziehen. Ein Entnazifizierungsprogramm, das die deutsche Justiz wohl schwer getroffen hätte. Aber die westlichen, die kapitalistischen Siegermächte brauchten eine Justiz und sie brauchten sehr bald eine antikommunistische, eine, die ein klares Feindbild und Erfahrung mit Kommunistenverfolgungen hatte.

Die Stimmung in der deutschen Bevölkerung war nach der Zerschlagung des Faschismus antikapitalistisch. Denn so langsam dämmerte, dass nicht Hitler, sondern der deutsche Kapitalismus der Hauptschuldige am 2. Weltkrieg war. Selbst die CDU trug dieser Stimmung verbal Rechnung und sah in ihrem „Ahlener Programm“ die Enteignung der Großindustrie und der Banken vor. Das ging soweit, dass die Bevölkerung Hessens in einer Volksabstimmung 1946 die Abschaffung des Kapitalismus forderte. Diese Volksabstimmung wurde von einem Besatzungsgeneral mit Namen Clay für ungültig erklärt. Uns wird dieser saubere General als Held der Luftbrücke verkauft, aber niemand redet darüber, dass er den Willen des Volkes unterdrückt hat.

Den westlichen Siegermächten passte die Stimmung in der Bevölkerung überhaupt nicht und noch weniger passte es ihnen, dass die Sowjetunion aufgrund ihrer enormen Leistungen und enormen Verluste bei der Zerschlagung des Faschismus, ein gesteigertes Ansehen bei den Völkern der Welt besaß. Das Kräfteverhältnis Kapitalismus gegen Sozialismus, hatte sich als Folge des 2. Weltkrieges und aufgrund des Befreiungskampfes, in China, zugunsten des Sozialismus verschoben.

Die Antwort der Westmächte war die Spaltung Deutschlands, um den verbliebenen Rest, der sich heute BRD nennt, als kapitalistisches Bollwerk gegen die Sowjetunion aufzubauen. Eine der Folgen dieser Entwicklung war das Aufgeben der Aufgaben der Entnazifizierung in den Westzonen Deutschlands.

Das ist nur ein winziger historischer Abriss, der nur verdeutlichen soll, wessen Interesse es war, bereits 1951, also 6 Jahre nach Schließung der Konzentrationslager, wieder Menschen wegen ihrer Gesinnung in Deutschland zu inhaftieren und politisch zu verfolgen. Um die Kommunistenverfolgungen einleiten zu können, musste sich 1951 eine Strafrechtskommission hinsetzen und das erste Strafrechtsänderungsgesetz ausarbeiten. Überflüssig darauf hinzuweisen, dass von den 25 Juristen die dieser Kommission angehörten, 16 eine Nazivergangenheit hatten.

Darunter befand sich auch ein K. H. Scharpenseel, der noch bis vor kurzem im 3. Strafsenat des BGH saß und viele unserer Beschwerden verworfen hat. Ehemals Amtsgerichtsrat bei der Reichsjustizverwaltung.

Der Präsident des 3. Strafsenat von 1958/59, Kanter, war da schon eine Nummer größer, hatte er doch an einigen Todesurteilen während der Nazibesetzung in Dänemark mitgewirkt. Jagusch, der Nachfolger Kanters beim 3. Strafsenat, war Mitglied der NSDAP. Es wäre wohl etwas einseitig hier nur Richter zu benennen. Nehmen wir doch den Generalbundesanwalt Wolfgang Immerwahr Fränkel, er hatte als Mitarbeiter der Reichsanwaltschaft etwa 50 Todesurteile gegen politische Täter mit beantragt. Wundert sich da noch einer, wenn man feststellt, dass die fast wörtlich aus der Strafrechtsnovelle von 1934 übernommenen Landesverratsdelikte in ihrer Struktur genau in das Konzept des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes passten?

Diese Richter und Staatsanwälte sind das Fundament, auf dem die westdeutsche Justiz aufgebaut wurde. Und nur ein Demagoge, ein gelehriger Schüler Goebbels, auch wenn er sich hier mit einer markanten Breitscheitelfrisur tarnt, kann ein solches Fundament leugnen und von einer demokratischen Justiz sprechen.

Während Menschen wie Emil Bechtle, Fritz Rische, Oskar Weyrich – um nur einige der tausenden zu nennen – wieder von den selben Nazirichtern wie vor 1945 verurteilt wurden und ihre Gesundheit in den Knästen ließen, saßen die Richter wohlbehütet und ohne Sorge, mal für die Verbrechen bezahlen zu müssen, auf ihren Posten.

Sie, die selbst einer der größten Verbrecherorganisationen angehörten, saßen über Antifaschisten zu Gericht und verurteilten diese nach Paragraph 129 daher wegen Bildung beziehungsweise Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung. Es ist die historische Kette, die uns mit denen, die sich im KZ Buchenwald selbst befreit haben, verbindet. Mit denen, die in den Zuchthäusern Hitlers und Adenauers gesessen haben, verbindet uns was und nicht mit den Offizieren, die am 20. Juli Hitler stürzen wollten, weil sie in ihm die Verkörperung der militärischen Niederlage Deutschlands sahen und nicht weil sie Antifaschisten waren.

Aber nicht nur in der Justiz, sondern in der gesamten Gesellschaft tauchten die ehemaligen Kriegsverbrecher wieder auf. Globke, Oberländer, Kiesinger, Lübke, Filbinger in der Politik! ABS, Schneidewind, Krupp, Thyssen und Schleyer in der Wirtschaft! Heusinger für die Nato. Die Bundeswehr bekam all die großdeutschen Offiziere.

Auch das sind nur ein paar, die bekanntesten Namen. Sie sind nur der personifizierte Ausdruck dessen, was in der BRD als Restauration des Kapitalismus verstanden wurde. Ein Kapitalismus, der von Anfang an durch seine neue/alte Aggressivität, sowohl nach außen gegen die sozialistischen Staaten, als auch nach innen gegen die linke Opposition auffiel. Nach außen forderte Adenauer sehr schnell die so genannte „Befreiung“ der ehemaligen Ostgebiete. Damit heizte er die Spannungen an.

Nach innen gab es einen Justizterror der durch 600 000 eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen politische Gegner zwischen 1951 und 1964 belegt wird. In den Betrieben gab es schwarze Listen, Streikverbote und Löhne die anfangs die niedrigsten in ganz Europa waren. Auch im Produktionssektor blieb die Justiz nicht untätig. So hielt der BGH am 4. Juni 1955 in einem Urteil fest, dass Massen- und Generalstreiks, sowie Massendemonstrationen, Gewalt im Sinne der Hochverratstatbestände sein können. Massen- und Generalstreik gleich Hochverrat! Auch diese Auffassung des BGHs hat ihren Vorläufer, nämlich den Paragraph 6 der „Verordnung gegen Verrat am deutschen Volk und hochverräterischer Umtriebe“ vom 28. Februar 1933.

Noch heute sind politische Streiks und Streiks, die nicht von den Gewerkschaften organisiert werden, illegal und verboten. Der deutsche Kapitalismus war aufgrund seiner niedrigen Löhne und der Unterdrückung im eigenen Land wieder konkurrenzfähig. Damit hatte er seine alte ökonomische Basis wieder und konnte als Imperialismus auftreten. Ab 1950 trat er wieder in die Arena des imperialistischen Konkurrenzkampfes zurück. Der Auslandsumsatz von deutschen Industriewaren stieg von 1950 bis 1957 doppelt so schnell wie der Inlandsumsatz.

Die BRD eroberte immer mehr Marktanteile im Kampf gegen die USA und die alten Kolonialmächte Europas. Die BRD trat zwar 1950 zum Beispiel erst in Lateinamerika ins Geschäft, hatte aber bereits drei Jahre später das englische Kapital aus der 2. Position der dortigen Marktanteile verdrängt. Nummer eins blieben die USA. Mit dem Anwachsen der wirtschaftlichen Kraft des deutschen Imperialismus und besonders wegen seines gesteigerten Kapitalexports, stieg auch sein politischer Einfluss auf der Bühne der Weltpolitik.

Die Dynamik für seine Expansion hat sich der deutsche Imperialismus durch das Auspressen der eigenen Bevölkerung geholt. Eine Bevölkerung, für die jede sozialistische oder radikaldemokratische Betätigung die Gefahr der Verfolgung und Arbeitslosigkeit mit sich brachte.

Auch die Rolle der vom Kapital gekauften, an der Ausbeutung beteiligten oder von der CIA nach Kriegsende eingesetzten Gewerkschaftsführer – wie Sickert zum Beispiel – war nicht unbedeutend, wenn es darum ging, Klassenkämpfe abzuwenden. Solch ein Land mit Imperialismus und kaltem Krieg nach außen und Terror gegen Andersdenkende und Neokapitalismus durch gekaufte Gewerkschaftsführer nach innen, präsentierte sich als der „freieste Staat“, der je auf deutschem Boden existierte.

In dieser Zeit sind wir groß geworden. Deswegen kann auch kein hier vom Gericht vorgelesener Lebenslauf als eine abweichende Entwicklung einzelner vorgeführt werden. Die Lebensläufe können – wenn überhaupt – hier nur politisch vorgetragen werden und zwar nicht als persönliche Entwicklung des Einzelnen, sondern als das Leben in einem Land, das seit seiner Gründung in treudeutscher Tradition Terror ausübt, um die Macht der herrschenden Klasse zu sichern.

Der Angeklagte Teufel fragte den Zeugen (Kriminalbeamten): „Sind Sie Mitglied einer gut bezahlten, bewaffneten, hierarchischen, terroristischen Organisation?“

Die Interessen des Kapitals gingen in diesem Land schon immer vor den Interessen der gesamten Gesellschaft. Und der kurze historische Abriss der politischen und ökonomischen Entwicklung der BRD und unser Leben darin, soll den jungen Genossen die heute draußen kämpfen, nur zeigen, wie viel unsere damalige Entwicklung mit der ihrigen heute gemeinsam hat. Wir sind in einem Land groß geworden, wo die alten Nazis ihre Posten zurückbekommen haben, wo die Nazis Pensionen und Renten beziehen, während die Opfer der Nazidiktatur leer ausgehen. In den Schulen haben uns die Lehrer zwar was über Hitlers Autobahnbau, nichts aber über die Gräueltaten in den KZs erzählt.

Sie haben uns zwar was über die sechs Millionen Arbeitslosen, die von Hitler wieder Arbeit bekommen hätten, erzählt, aber nichts davon, dass genau diese Zahl, nämlich sechs Millionen, die Menge der im Krieg umgekommenen Deutschen entsprach. Und so mancher Lehrer riss auch noch mal so nebenbei den rechten Arm hoch, wenn er von seinen Heldentaten im Krieg schwärmte. Wir sind in einem Land groß geworden, wo die Mörder Ernst Thälmanns noch frei und unbehelligt rumlaufen, während Kommunisten wegen ihres Widerstands in den KZs wegen Tötung von SS-Schergen während der Selbstbefreiung des KZs Buchenwald verfolgt werden.

In einem Land, das Kindern einen Ferienaufenthalt in DDR-Ferienlagern verbot. Das die Grenze sperrte um die Teilnahme westdeutscher Jugendlicher an Festspielen und Kongressen in der DDR zu verhindern. Beim Versuch, die Elbe illegal von West nach Ost zu durchschwimmen, um an den Weltfestspielen in Ostberlin teilzunehmen, ertrank am 5. August 51 ein Jugendlicher.

In einem Land, wo die Redaktionsräume von Zeitschriften durchsucht und geschlossen wurden, Redakteure verhaftet, Dichter beschimpft und boykottiert wurden. Wo Bücher beschlagnahmt wurden, weil sie Namen von Nazi- und Kriegsverbrechern nannten, so das Braunbuch im Oktober 1967. Wo Demonstranten zusammengeschlagen und ab und zu auch einer erschossen wurde, so der 21-jährige Philip Müller am 11. Mai 1952 in Essen, als die Polizei die von der FDJ (West) organisierte „Jugendkarawane“ gegen die Wiederbewaffnung auseinanderschoss beziehungsweise auflöste.

Wo Emil Bechtle am 2. August 1954 drei Jahre Zuchthaus bekam, weil er eine Volksbefragung gegen die Remilitarisierung der BRD mitorganisiert hatte. Und das, obwohl trotz Befragungsverbot durch die Regierung fast zehn Millionen Menschen ihre Unterschrift gegen eine Remilitarisierung gegeben hatten. Wir haben ein Wirtschaftswunder erlebt, das auf die Knochen der arbeitenden Bevölkerung ging. Ein System, das die Menschen auf einen Konsumterror abrichtete, was immer Verschuldung mit sich brachte und dafür sorgte, dass nicht nur die Väter, sondern auch die Mütter arbeiten gehen mussten.

Suff, Krankheiten und Gewalttätigkeiten bestimmten das Zusammenleben vieler Familien. Aber was sollten die Menschen schon machen. Das System bedrohte sie bei Widerstand nicht nur durch Arbeitsentzug und Verfolgung, es führte auch noch einen regelrechten Krieg gegen die Köpfe. Radio, Fernsehen, und besonders die Presse hämmerten die Menschen täglich voll: Wie gut sie es doch hätten, wie wichtig Konsum sei, wie sinnlos Widerstand wäre und dass alles, was nicht der kaputten kapitalistischen Norm entspricht, eine Gefahr für die Monatsraten darstellt.

Die Pogromstimmung in der Bevölkerung wurde soweit angeheizt, dass Langhaarige keine Arbeit bekamen, dass sie in den Straßen gejagt und oft zusammengeschlagen wurden. Der Krieg gegen die Köpfe sollte dafür sorgen, dass auch wir, nicht nur in den Schulen, Unis und Lehrwerkstätten, sondern auch von den Eltern, zu gut funktionierenden Schräubchen der kapitalistischen Maschinerie erzogen werden.

Die Formen des Krieges gegen die Köpfe haben sich heute etwas verändert, sind oft noch subtiler, undurchschaubarer, geworden, aber die Inhalte, die dieses System darüber vermitteln will, decken sich noch immer mit dem hier aufgezählten. Auch heute wird noch versucht, die Jugend zu Robotern des Kapitals zu erziehen. Wird dieser Roboter gebraucht, dreht man ihn auf Hochtouren, wird er nicht gebraucht, stellt man ihn in die Ecke, wie die große Zahl der arbeitslosen Jugendlichen beweist. Doch so einfach läuft dieses Spielchen nicht mit jedem.

Teile der Jugend heute, haben wie wir, nach einer langen Phase der Orientierungslosigkeit begriffen, dass sie handeln müssen, wenn sie ihre Lage verändern wollen. Sie sind zur Rebellion bereit. Das, was sich heute in ganz Europa abspielt, in Zürich, Amsterdam, Bristol, Oslo, Paris, Frankfurt und Bremen, sind nur die Sendboten einer neuen Rebellion.

Unsere Revolte hatte damals einen wesentlichen politischen Ausgangspunkt. Das war die Ostermarschbewegung. Auch wenn die Ostermärsche lahmarschige Spaziergänge waren und nichts verhindern konnten, so haben sie doch ihren bedeutenden Teil zu unseren Lernprozessen beigetragen. Die Ostermarschbewegung war ein Ausgangspunkt der APO. APO, drei Buchstaben, die damals für eine Generation Hoffnung bedeutet haben. Heute tauchen zwar Geschichtsfälscher von rechts und links auf und geben vor zu wissen, was die APO war und wollte.

Doch sie war weder eine reine Studentenrevolte, noch war sie die antiimperialistische Fundamentalopposition. Sie war das, was die drei Buchstaben aussagen, eine außerparlamentarische Opposition, in der alle Schichten der jungen Generation vertreten waren. Und der allgemeine politische Ausdruck der Rebellion war der Wunsch und Wille, kollektiv und selbst über das eigene Schicksal bestimmen zu können. Es war der Versuch, unser Leben selbst und frei gestalten zu können und uns nicht länger von irgendwelchen schwachsinnigen Autoritäten und Interessenvertretern des Kapitals bestimmen zu lassen.

Wir sind gegen unsere Unterdrückung aufgestanden und haben innerhalb dieses Kampfes immer mehr und klarere Vorstellungen bekommen von dem, was wir wollen. Die Erkenntnis, dass nur der Sozialismus in der Lage ist, die Probleme der Zeit zu lösen und dass der Kapitalismus Ausbeutung, Zerstörung, Krieg und Tod bedeutet, reifte heran. Der kapitalistische Staat muss weg, das war eine wichtige Feststellung. So, wie er uns gegenübertrat, mit einer Polizei, die sich fast alles herausnehmen konnte, einer Justiz, die in ihrem blinden Systemgehorsam Demonstranten verfolgte und verurteilte, einem Verbündeten, der in Vietnam Völkermord im Nazistil vollzog, gab es nur eine Möglichkeit, diesem System der Gewalt und Unterdrückung, die Gewalt der Unterdrückten entgegenzustellen.

Was uns damals so euphorisch stimmte, war die Tatsache, dass wir nicht alleine kämpften. In der ganzen Welt tobte der Kampf gegen Kapitalismus, Imperialismus und verkrusteter Herrschaftsstruktur. In Vietnam stand ein kleines tapferes Volk und führte einen Giganten vor. Die fast unglaublichen Opfer und der Wille zum Sieg des vietnamesischen Volkes gaben uns Mut, auch an dem Niedergang des Giganten im eigenen Land zu glauben. In Amerika selbst standen einige Städte in Flammen, die farbige Bevölkerung kämpfte gegen ihre Unterdrückung und die Vietnamgegner protestierten gegen den Krieg.

In Frankreich stand die sozialistische Revolution vor der Haustür und es hätte nicht viel gefehlt, sie wäre eingetreten, allerdings hätte es dafür eine andere kommunistische Organisation geben müssen als die KPF. In China lief die Kulturrevolution, unsere ganze Hoffnung, hatte sie doch die inhaltlichen Ziele, die wir selbst erträumten: Selbstbestimmung, Kollektivität, direkte Demokratie, gleiche Bildungs- und Arbeitsbedingungen für alle, Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit. Die Kulturrevolution in China war der erste Versuch, vom Sozialismus in den Kommunismus überzuwechseln.

Seitdem haben wir eine Menge gelernt und lernen müssen, besonders die Erkenntnis, dass die antiimperialistische Solidarität, die gegen Ende immer mehr unser politisches Leben bestimmte; eben nicht der alles verändernde Kampf war. Die Erfahrung, dass unser Antiimperialismus keine materielle Basis hatte, die den Imperialismus ein für alle mal hätte zerschmettern können, war ziemlich bitter. Unser Antiimperialismus war etwas Ideelles, blieb lediglich moralische Unterstützung für die Befreiungsbewegungen in der 3. Welt.

Zwar war die Unterstützung für die Befreiungsbewegungen im Kampf gegen den Imperialismus – und besonders den US-Imperialismus – wichtig und bleibt auch wichtig; Doch der antiimperialistische Kampf für die Unterstützung der 3. Welt kann nicht die tragende Säule unseres Kampfes gegen die kapitalistische Maschinerie werden. Er darf nicht zum Strohhalm werden, den wir freudig ergreifen, um nicht im Gewässer der eigenen Unfähigkeit zu ersaufen, der Unfähigkeit, den Kampf gegen die ökonomische und politische Basis des Imperialismus hier und heute zu führen.

Der Kampf für die Befreiung der 3. Welt konnte für uns keine revolutionäre Perspektive sein, konnte er doch nicht unsere eigene Unterdrückung beseitigen. Umso länger wir uns mit dem beschäftigten, was wir eigentlich wollten und umso länger wir die Kolonialrevolutionen untersuchten, mussten wir feststellen, dass der Imperialismus nicht auf seinem äußeren Feld letztlich geschlagen werden kann. Und E. Mandel sagt in seinem Buch: „Einführung in die marxistische Wirtschaftstheorie“ dazu: „Die Bilanz der Kolonialrevolutionen weist – so paradox dies auch klingen mag – noch keinen Substanzverlust für die kapitalistische Welt auf. Im Gegenteil. Einer jener Faktoren, die das von uns bereits festgestellte Ausmaß der wirtschaftlichen Expansion der imperialistischen Länder erklären, ist die Tatsache, dass die Kolonialrevolution – sofern sie im Rahmen des kapitalistischen Weltmarktes bleibt (daher wenn sie nicht zur Entstehung anderer, so genannter sozialistischer Staaten führt) in den imperialistischen Ländern zu einer Belebung der Produktion und des Exports von Anlagegütern, Gütern der Schwerindustrie führt!“

Da sich die wenigsten Länder nach der nationalen Unabhängigkeit dem sozialistischen Lager angeschlossen, beziehungsweise vom kapitalistischen Weltmarkt abgekoppelt haben, waren sie für den Imperialismus auch nicht verloren. Auf langfristig kriegt der Imperialismus durch die Revolutionen in der 3. Welt Schranken gesetzt. Aber diese „Schranken“ sind teilweise von ihm selbst gewünscht.

Die Ausbeutung eines „souveränen“ jungen Nationalstaates ist größer als die einfache Plünderung von Rohstoffen aus einer Kolonie. Die UNO hat festgestellt, dass die Ausbeutung der Staaten der 3. Welt heute 200 Mal höher ist, als zur Zeit der Kolonien. Die Abhängigkeit hat nur ein neues Gewicht bekommen. Da dieses Gesicht die Fassade eines „souveränen“ Staates trägt und weil diese Staaten in der UNO manchmal gegen den Imperialismus stimmen, wird die Theorie, dass der antiimperialistische Kampf in der 3. Welt den Imperialismus beseitigt, arg strapaziert.

Das Beispiel, dass die Rohstoffe nach den Revolutionen teurer werden, ein Absatzmarkt verschwindet und das dadurch die Kapitalisten gezwungen sind, das eigene Proletariat stärker auszubeuten, ist zwar nur eine Teilwahrheit, aber selbst wenn wir es jetzt mal annehmen, kann man damit nur aufzeigen, welche Auswirkungen die Revolutionen in der 3. Welt auf den Hauptwiderspruch des Imperialismus -Proletariat gegen Bourgeoisie – in seiner Basis haben.

Nun darf aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden; weil die antiimperialistischen Revolutionen in der Mehrheit sich nicht vom Imperialismus lösen können und sogar zu dessen wirtschaftlicher Expansion beitragen, müssen wir sie ablehnen oder ihnen die Solidarität verweigern. Darum kann und darf es nicht gehen. Es muss in erster Linie darum gehen, den richtigen Stellenwert der antiimperialistischen Revolutionen zu analysieren und zu erfassen. Jeder Kampf, der gegen imperialistische Herrschaft in der 3. Welt gerichtet ist, ist zu unterstützen, denn Imperialismus bedeutet immer Ausbeutung, Hunger, Armut und muss beseitigt werden.

Gut, aber spätestens an dieser Stelle sollten wir uns nicht mehr von unseren sinnlichen Wahrnehmungen prägen lassen. Anstatt nur auf die äußere Erscheinung des Imperialismus zu achten, müssen wir uns Gedanken über die Ursache dieser Erscheinung machen. Genau da lag 1968 ein Fehler, wir waren nicht in der Lage von der sinnlichen Wahrnehmung, dem härteren und revolutionäreren Kampf, dem größeren Elend in der 3. Welt und die Befreiung vom Imperialismus wegzukommen.

Die sinnliche Wahrnehmung, Imperialismus, Hauptübel, Hauptwiderspruch, verleitete dazu, diese Wahrnehmung von der 3. Welt auf die Industrienationen zu übertragen. Kurz und hart gesagt, wir sind von der sinnlichen Erfahrung nicht weggekommen und haben nur die erste Sprosse der menschlichen Erkenntnisleiter erklommen. Die nächste Sprosse nämlich, das rationale Durchdenken der sinnlichen Wahrnehmung, haben wir erst ziemlich spät erreicht.

Wenn wir ausschließlich den antiimperialistischen Kampf hier, für die Unterstützung des Befreiungskampfes in der 3. Welt führen, sozusagen als verlängerter Arm der 3. Welt, so wird es uns nie gelingen, bis zum Herz des Imperialismus vorzudringen. Weil der äußere Anstoß, den der Imperialismus durch den Befreiungskampf bekommt, zwar unter Umständen die inneren Widersprüche des Imperialismus vergrößern, nicht aber beseitigen kann. Beseitigen kann man den Imperialismus nur durch das Lösen seiner inneren Widersprüche. Wir dürfen nie in den Fehler verfallen, den Alltag des Imperialismus – und dazu gehört auch die Gegenwehr in der 3. Welt – bereits als seinen Todeskampf aufzufassen. Ökonomisch der Ausbeutung auch anderer Nationen fähig, militärisch zu jeder Erpressung imstande, bleiben die imperialistischen Nationen durch den Reichtum, den ihnen „ihr“ Proletariat schafft. Die Ausbeutung des Proletariats hier, die funktionierende Klassenherrschaft hier ist es, die den imperialistischen Staaten ihre ökonomische und militärische Macht erhält.

Diese Macht zerbrechen, heißt die Klassenherrschaft hier zu beseitigen, heißt, den Klassenkampf hier voranzutreiben. Sprüche, von wegen, ,was gehen uns die Revolutionen in der 3. Welt an‘, oder umgekehrt, ,hier in der BRD ist nichts mehr möglich, wir kämpfen für die Interessen der 3. Welt‘, sind nicht nur unsolidarisch, sondern politischer Blödsinn. Wir haben aufgezeigt, warum das Lösen der Widersprüche im Herzen der Bestie für uns Vorrang haben muss, dass hier die Hauptschlacht stattfinden wird. Hier, wo der Imperialismus seine ökonomische Basis hat, wo er den Reichtum absahnt, der es ihm ermöglicht, im internationalen Rahmen zu wirken.

Aber deshalb werden wir die Anstöße, die der Kapitalismus durch den Befreiungskampf der 3. Welt bestimmt, nicht leugnen. Ganz im Gegenteil, wir werden den Befreiungskampf der Völker in der 3. Welt unterstützen. Solidarität darf keine hohle Phrase sein. Es müssen sich alle, die gegen Kapitalismus und Imperialismus kämpfen, gegenseitig unterstützen. Das sowohl durch Geld/Sachspenden, als auch durch Demonstrationen und Aktionen. Und man kann Aktionen, wie die Besetzung des Amerikahauses in Berlin kritisieren, weil die Analyse in den Flugblättern falsch oder die Art und Weise des Vorgehens falsch war. Man kann also die Form kritisieren, aber man kann den objektiven Inhalt der Aktion nicht leugnen.

Die Aktion war deshalb richtig und wichtig, weil sie in einer Zeit, wo die persische Revolution von den imperialistischen Staaten in den Dreck gezogen wird, praktische Solidarität mit dem Volk des Iran vermittelt hat. Sie hat auch dem Volk des Iran etwas vermittelt, nämlich, dass es in der BRD noch Menschen gibt, die nicht bereit sind, die offiziell vorgeschriebene Meinung der Herrschaftskaste über die islamische Revolution zu übernehmen. In Deutschland selbst tragen solche Aktionen dazu bei, dass der Verblödungsstrategie und den Verleumdungskampagnen etwas entgegengesetzt wird.

Militante Solidarität mit den Befreiungskämpfen in der 3. Welt muss zum ständigen Bestandteil unserer Politik, unseres eigenen Befreiungskampfes gemacht werden.

Erst in der Praxis des eigenen Kampfes und der Solidarität gegenüber anderen Kämpfen, werden wir die richtigen Stellenwerte der Kämpfe erkennen und handeln können.

Als sich 1969/70 die APO so langsam auflöste und unsere stürmisch begonnene Rebellion nur noch einem lauen Lüftchen ähnelte, stand die Frage des: ,wie gehts weiter?‘, permanent auf der Tagesordnung. Und aus dem miteinander diskutieren, wurde immer mehr ein gegeneinander. Die einen glaubten, sie müssen in die Betriebe und dort mobilisieren, die anderen in die Stadtteile, Schulen, Unis oder Frauenbewegung. Einige gründeten Parteien, einige versuchten, die Subkultur für den Widerstand zu gewinnen, andere wieder gründeten eine Stadtguerilla nach dem Vorbild der Tupamaros in Uruguay. Zwar hatten all diese Ansätze und Versuche, den Trend, unsere Rebellion vom ideellen Charakter zum materiellen Widerstand zu bringen, an den sozialen Brennpunkten anzusetzen. Doch anstatt sich zusammenzuraufen, raufte man sich auseinander.

Alle einzelnen Gruppen glaubten nur noch an die „Heilslehre“ des eigenen Kampfes und der absoluten Wichtigkeit des Bereiches, indem man gerade kämpfte. Die Stadtguerilla meinte, sie sei die einzige Fundamentalopposition und überhaupt das Revolutionärste schlechthin. Die Betriebsarbeiter erklärten die Fabriken dazu, die Stadtteilgruppen die Stadtteile, die Knastgruppen die Knäste und das ging munter so weiter. Auch heute noch wird so ein Quatsch teilweise verbraten, glücklicherweise nur noch teilweise. Anstatt zu begreifen, dass es unseren Widerstand zwar durch seine Einzelbereiche gibt, diese Einzelbereiche aber nur durch den gesamten Widerstand existieren und überleben können, kapselten sich die einzelnen Gruppen ab und verkamen immer mehr zu Sekten.

Sie, die eigentlich die Triebfeder der Bewegung als ganzes hätten sein müssen, isolierten sich selbst und isolierten damit die Bewegung als Ganzes. Und erst heute, zehn Jahre danach fängt es wieder an, dass nicht mehr die Wichtigkeit des einzelnen Bereiches oder der Sekte die Hauptsache ist, um die sich alles drehen muss, sondern man ist dabei, neue Gemeinsamkeiten zu suchen. Bei der Suche nach Gemeinsamkeiten ist es Aufgabe all der 68er Rebellen, ihre Erfahrung in die Diskussionen einzubringen, damit die gleichen Fehler nicht unbedingt noch einmal wiederholt werden.

Lorenz

Und wenn wir uns schon zu einem Schlusswort in diesem Prozess entschließen, dann gehört es zur Vermittlung von Erfahrung an junge Genossen auch, etwas über den Lorenz-Klau zu sagen. Da sich die Aktion noch heute großer Beliebtheit innerhalb der Linken erfreut, muss einfach der ganze gesellschaftliche Hintergrund solcher Aktionen aufgezeigt werden. Dieser Prozessabschnitt ist von beiden Seiten im wahrsten Sinne des Wortes beschränkt geführt worden. Deshalb jetzt was zur Lorenz-Aktion.

Diesen Abschnitt beginnen wir mit einem modifizierten Zitat Rosa Luxemburgs:

„Wenn ein so genannter ,freier‘ Bürger von einem anderen gegen seinen Willen, zwangsweise in ein enges, unwohnliches Gelass gesteckt und dort eine Zeitlang gehalten wird, so versteht jeder, dass dies ein Gewaltakt ist. Sobald jedoch die Operation aufgrund eines gedruckten Buches, genannt Strafprozessordnung, geschieht und das Gelass „UHAA-Moabit“ heißt, dann verwandelt sie sich in einen Akt der friedlichen Gesetzmäßigkeit. Wenn ein Mensch von einem anderen gegen seinen Willen zur systematischen Tötung von Nebenmenschen gezwungen wird, so ist das ein Gewaltakt. Sobald aber dasselbe „Militärdienst“ oder „Polizeidienst“ heißt, bildet sich der gute Bürger ein, in vollem Frieden der Gesetzlichkeit zu atmen. Mit einem Worte: was sich uns als bürgerliche Gesetzmäßigkeit präsentiert, ist nichts anderes als die von vornherein zur verpflichtenden Norm erhobene Gewalt der herrschenden Klasse“ (Ende des Zitats)

Peter Lorenz hatte nun den Vorzug, einmal die Gegengewalt der beherrschten Klasse kennen zu lernen. Eine Gewalt, die nur die verstehen können, die unter der Gewalt der bürgerlichen Klassengesellschaft zu leiden haben. Und über diese Gewalt kann kein ausgetrocknetes bürgerliches Juristenhirn urteilen.

Die legale staatliche Gewalt ist aufgebaut, um der herrschenden Klasse die Macht, die Ausbeutung und Unterdrückung zu sichern und wird nur von einem Gedanken getragen, alles auszurotten, zu zerstören, was sich ihr in den Weg stellt. Die Gewalt der Unterdrückten dagegen ist eine gerechte Gewalt, sie richtet sich gegen Unterdrückung, gegen Ausbeutung, für eine klassenlose Gesellschaft. Sie ist notwendig, weil der Kapitalismus nicht bereit ist, ohne Widerstand von der geschichtlichen Bühne abzutreten.

Nun zu Peter Lorenz. Sein Auftritt hier im Gerichtssaal war Spitze, er war das was man unter einem guten Zeugen versteht. Natürlich nicht im juristischen Sinne, igitt, politisch waren seine Aussagen gut. Er ist noch immer – obwohl er es selbst gar nicht weiß – der beste Propagandist der Bewegung 2. Juni. Nach den Äußerungen P. Lorenz über seine Zeit bei der Bewegung 2. Juni wird es doch wohl erlaubt sein, auch mal die Frage zu stellen, ob es einen der 60 000 Gefangenen in den Staatsknästen der BRD gibt, der ähnlich gut von seiner Haftzeit berichten kann. Gibt es einen Gefangenen in den Staatsknästen, der auch sagen kann, nein, beleidigt, oder geschlagen wurde ich nicht?!?

Wer losgeht und sucht, wird dabei feststellen, dass es in der BRD leichter ist, einen erschlagenen Gefangenen zu finden, als einen, der noch nie beleidigt oder geschlagen wurde. P. Lorenz macht auch heute noch keine schlechten Aussagen über die Bewegung 2. Juni, wie es einige Herren ganz gerne hätten. Er macht sie deshalb nicht, weil sein persönliches Erlebnis, so wie er behandelt wurde, sich nicht mit dem Bild deckte, das er durch die Scheißhauspropaganda des BKAs, der Bundesanwaltschaft und der Staatsschutzmedien hatte.

P. Lorenz wurde als das behandelt, was er auch als Feind noch bleibt, als Mensch und dieses Erlebnis muss wohl für ihn umwerfend gewesen sein. Der Bundesanwalt Völz hat P. Lorenz zwar die Frage nach den Haftbedingungen gestellt, sie aber sofort wieder zurückgezogen. Wir haben den demagogischen Sinn – dieses in den Raum stellen der Frage und nicht beantworten lassen – begriffen. Es sollte auf angebliche schlechte Haftbedingungen des Herrn Lorenz hinweisen. Mit der Demagogie ist es oft wie mit Stinkbomben, wehe sie gehen im eigenen Raum hoch. Diese Stinkbombe war noch besser, sie ist dem Bundesanwalt in der eigenen Hosentasche hochgegangen.

Und damit es noch eine Weile weiter stinkt, wollen wir nicht einmal unsere Haftbedingungen denen des Herrn Lorenz gegenüberstellen. Wir wollen nur den ganz normalen Haftgang eines sozialen Gefangenen dagegenstellen. Die hängen nämlich – nach der Festnahme – oft tagelang in der Gothaer Straße in Zellen, die 1,50 Meter breit und drei Meter lang sind, kein Radio haben, keine Zeitung, kein Gespräch, kein Hofgang. Wer zur Toilette will, muss klingeln und warten.

Wenn sie dann nach Moabit verfrachtet werden, in Kabinen, die kaum weniger eng sind, als es die Kiste oder der Schrank des P. Lorenz war, dann haben sie zwar Freistunde und Anstaltslautsprecher, davon, dass sie Bier oder Wein bekommen, oder gar Essen, wann sie wollen, haben nicht nur wir noch nichts gehört. In Moabit gibt es kurz nach 15 Uhr Abendbrot und dann ist der Tag zu Ende. Wer es dann noch wagt, am Fenster mit anderen Gefangenen zu sprechen, riskiert Prügel und Hausstrafen. Hausstrafen, die zum Teil in einer Art und Weise durchgezogen werden, die die UNO schon 1948 als Folter definiert hat. Von Schachspielen oder Fernsehen können sie dann erstmal eine Weile träumen.

Was hätte das für ein Geschrei gegeben, hätte die Bewegung 2. Juni ihren Gefangenen so behandelt, wie es in BRD-Gefängnissen üblich ist. Dann hätte die Bundesanwaltschaft Wörter wie Folter und Misshandlungen hier wohl auf die Tagesordnung gesetzt. So was konnte aber gar nicht vorkommen, weil ein sozialistischer Revolutionär, der gegen Folter und Unmenschlichkeit kämpft, sich selbst verraten und aufgeben würde, wenn er foltert oder misshandelt.

Wir haben nicht jahrelang gegen die Folter gekämpft, um sie selbst anzuwenden! Das hat Fidel Castro einer amerikanischen Reporterin geantwortet, als sie den Kubanern Folterungen an Gefangenen vorwarf. Genauso denken und handeln wir, unabhängig ob wir nun mit Peter Lorenz was zu tun hatten.

Das Verhältnis zwischen P. Lorenz und seinen Bewachern war so locker und flockig, dass sie ihm sogar zur Wahl gratuliert haben. Von der Gratulation wurde der Vorwurf gegen die Bewegung 2. Juni abgeleitet, dass sie durch die Entführung der CDU zum Wahlsieg verhelfen wollte und sich auch über deren Wahlsieg gefreut hat. Wer solch eine Theorie aufstellt, unterstellt nicht nur ziemlich leichtfertig der Bewegung 2. Juni, dass sie es am liebsten ganz schlimm, also faschistisch, haben möchte, sondern diejenigen unterstellen ganz einfach, dass es zwischen SPD und CDU einen riesigen Unterschied gibt.

So groß ist der Unterschied nicht. Es wäre jetzt allerdings zu einfach, diesen Unterschied zu leugnen, bloß weil die SPD, genauso wie die CDU, die Interessen und die Herrschaft des Kapitals sichert. Der Unterschied liegt nicht im Inhalt, kann er gar nicht, denn in diesem Land herrscht das Monopolkapital und bestimmt die politische Richtung, niemals aber eine Partei. Parteien dürfen nur die vom Kapital eingeschlagene Richtung absegnen oder Streitigkeiten des Monopolkapitals untereinander, als Stellvertreter der jeweiligen Richtung, austragen.

In der Form liegt der Unterschied. Während die CDU allzu oft mit der Holzhammermethode noch allem schlägt, was nur nach Widerstand riecht, ist die SPD nicht nur in der Lage, die Unterschiede im linken Spektrum zu erkennen, sie ist auch auf Grund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung – in Falschheit und Verrat – in der Lage, aufkeimende Unruhe in der Bevölkerung zu kanalisieren.

Und immer dann, wenn sich eine außerparlamentarische Opposition regt und stärker wird, taucht die SPD auf und bietet Reformen an, die beim näheren Betrachten keine sind oder sowieso nicht verwirklicht werden. Hat sie 1968 noch auf dem Höhepunkt der Studenten- und Jugendrevolte sich durch riesige Reformversprechungen ins Gespräch gebracht und hat sie einen großen Teil der Rebellen für sich gewonnen, so muss sie sich heute fragen lassen, wo denn die Reformen sind. Für die Demokratie, die es mehr geben sollte, die sie wagen wollten, hat die SPD die Berufsverbote eingeführt. Für die größere Mitsprache der Bevölkerung in Stadtteilen und Betrieben, hat sie uns die fast perfekte und totale Bespitzelung beschert. Für die Jugend hat sie Arbeitslosigkeit besorgt. Sie hat einen Polizeiapparat aufgebaut, um den sie jeder Polizeistaat beneidet. Und solche Beispiele können weiter aufgezählt werden. Die SPD hat nichts von ihren Reformversprechungen gehalten, sie konnte es auch gar nicht. Nicht, weil dann die CDU wegen der Reformen an die Regierung gekommen wäre, sondern weil die Reformen der Verwertung des Kapitals widersprachen. Den Ausbau des Repressionsapparates hat sie in weiser Voraussicht auf den zu erwartenden Widerstand gegen die Erscheinungen der kapitalistischen Krise aufgebaut.

Heute verspricht die SPD keine Reformen mehr, heute bieten uns die Berufsverbieter von gestern eine abgemilderte Form der Berufsverbote an, um sich als das kleinere Übel gegenüber der CDU anzubieten. Sie droht mit dem großen Übel Strauß und bietet dafür einen faulen Kompromiss an. Das Angebot lautet übertragen, verbrennt euch die Finger mit der SPD, Strauß hackt sie euch ganz ab. Nur sollte niemand vergessen, wer ewig mit verbrannten Fingern rumrennt, kann sie auch nicht benutzen.

Gerade weil uns die deutsche Geschichte lehrt, dass es das Kapital ist, das die politische Strategie bestimmt, müssen wir unsere Finger benutzen können. Wir müssen sie benutzen können, um Widerstand zu leisten. Denn die Parteien machen wieder einmal alles, was für die Verwertung des Kapitals notwendig ist. Das Kapital braucht Arbeitslose, die Parteien stimmen zu. Das Kapital braucht Schutz vor ausländischer Konkurrenz, die Parteien errichten Zollschranken. Das Kapital braucht den Markt des Ostblocks, die Parteien machen auf Entspannung. Das Kapital braucht Rüstung, die Parteien sorgen für die Gelder. Und wenn das Kapital wieder einen Krieg benötigt, dann bereiten die Parteien ihn mit öffentlichen Rekrutenvereidigungen vor.

Und dieses Interesse wird von allen parlamentarischen Parteien geteilt. Eine Partei, die sich im Rahmen des kapitalistischen Systems bewegt, wird sich auch ganz logisch der kapitalistischen Strategie unterordnen und sie zum Tragen bringen. Dass dabei das Volk getäuscht, belogen und manipuliert wird, ist nur zu logisch. Da CDU, SPD und FDP sich der kapitalistischen Strategie verschrieben haben, kann es keine Auswahl zwischen ihnen geben, es kann nur heißen gegen sie kämpfen.

Dabei ist die Strategie des Kapitals kein blindes Schema, sondern eine bunte Palette der Sicherung der Macht. Es reicht von einer bürgerlichen Demokratie mit abgestuften Repressionswellen bis hin zum offenen Faschismus. Je nachdem, wie günstig oder ungünstig die Verwertungsbedingungen für das Kapital sind.

Den Unterschied zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus nicht sehen, hieße auch, keine richtige Strategie und Taktik gegen die jeweiligen Formen der kapitalistischen Herrschaft zu finden. Dass es bereits innerhalb der bürgerlichen Demokratie Ansätze und Tendenzen für eine faschistische Gesellschaft gibt, darf uns nicht so blind machen, dass wir das Differenzieren verlernen und bürgerliche Demokratie mit Faschismus gleichsetzen. Die bürgerliche Demokratie und der Faschismus haben aber ein und dasselbe Ziel, das kapitalistische System am Leben zu erhalten.

Eine Herrschaftsform, die man nicht unter den alten Begriffshüten wie Faschismus oder bürgerliche Demokratie bekommt, die aber immer mehr das Leben in der BRD bestimmt und sich durchsetzt, ist der institutionelle Faschismus. Eine Herrschaftsform, die nicht nur eine neue Qualität hat, sondern sich auch innerhalb des Widerspruches bürgerliche Demokratie und Faschismus bewegt und von beiden viel hat. Hatte der alte Faschismus noch Massencharakter, konnte noch Massen mobilisieren, so baut der institutionelle Faschismus auf Überwachung und Kontrolle.

Er hat keine Kraft mehr, Massen zu mobilisieren, was er bei Drenkmanns und Bubacks Beerdigungen auch schmerzlich feststellen musste. Seine Legitimationsbasis ist das, was die Regierenden immer gern als „schweigende Mehrheit“ bezeichnen. Diese „schweigende Mehrheit“ gibt es; sie zu leugnen, wäre gefährlicher Blödsinn. Es ist aber genauso blödsinnig, diese schweigende Mehrheit für eine unveränderliche Legitimation des Regimes zu halten. Selbstverständlich versuchen die Herrschenden immer die Widersprüche innerhalb der Klassen einer Gesellschaft für sich auszunutzen. Und es sind die Widersprüche innerhalb der Klassen, die eine Einheit gegen das System verhindern und damit dazu beitragen, dass es diese passive – „schweigende Mehrheit“ gibt.

Wie sehr sie diese zur Legitimation neuer Gesetze und dessen Anwendung braucht, zeigt die Manipulation dieser Menschen deutlich auf. Die Menschen werden über die Medien zu gut funktionierendem Stimmvieh verarbeitet. Und damit dieses „Stimmvieh“ nicht aus dem allgemeinen Trott ausbrechen kann, wird es in der Gesellschaft am Arbeitsplatz, im Stadtteil so isoliert, dass es verlernen soll, sich gegen diese unsichtbare Umklammerung und Manipulation zu wehren, sie zu durchbrechen. Es ist nur zu klar, wenn einer keine aktive Massenbasis hat, sondern nur eine „schweigende Mehrheit“, dann verliert er sofort jede Legitimationsberechtigung, wenn die Menschen gegen die Umklammerung und totale Kontrolle kämpfen. Eine schweigende Mehrheit, die zu einer sich artikulierenden Mehrheit wird, ist eine direkte Gefahr für das kapitalistische System und der Herrschaftsform, die die kapitalistische Strategie tragen soll, dem institutionellen Faschismus.

Das Gefährliche ist, dass er technokratisch abläuft und sinnlich schwerer als der alte Faschismus wahrzunehmen ist. Es ist schon schwieriger, die Bedrohung sinnlicher nachzuvollziehen, wenn alle Daten von einem Computer gespeichert werden, oder ob bei jeder Kleinigkeit ein Schnüffler vorbeikommt und ständig direkt nachfragen muss. Den Computer sieht man nicht, den Schnüffler hasst man. Die technokratische Repression hat für das Regime auch einen Nachteil. Ist sie erst mal wahrgenommen, dann entsteht eine Entfremdung zwischen „schweigender Mehrheit“ und denen, die vorgeben, für diese zu sprechen.

Ein deutlicher Ausdruck für diese Entfremdung ist in der BRD die so genannte Staatsverdrossenheit der Bürger. Die ist aber im Grunde nichts anderes als die Legitimationskrise der Regierenden. Je größer die technische Repression sich vor uns aufbaut, je größer das Ungeheuer, das sich Atomstaat nennt, abzeichnet, umso größer wird auch die Entfremdung, umso geringer wird die Identifikation des Volkes mit dem Staat. Und unsere Aufgabe ist es, in diese Kerbe zu schlagen und die Unzufriedenheit, die Staatsverdrossenheit voranzutreiben.

Da heißt es dann, alle Vereinzelungen der Menschen zu durchbrechen und die einzelnen Rebellionen in der Gesellschaft zu vereinen. Wenn die Rebellionen in der Gesellschaft zu einem Block werden, an dem sich die technokratische Repression die Zähne ausbeißt, dann werden wir alle sehr schnell erleben, das es institutioneller und alter Faschismus gemeinsam haben, nämlich die Brutalität. Aber im Gegensatz zum alten Faschismus, der keinerlei Opposition duldete, hat der institutionelle Faschismus noch gewisse Freiräume zu bieten, die er von der bürgerlichen Demokratie geerbt hat. Es wäre gefährlich und politischer Leichtsinn, den institutionellen Faschismus getrennt von der bürgerlichen Demokratie sehen zu wollen oder ihm gar mit der bürgerlichen Demokratie ein Ziel entgegensetzen zu wollen.

Der Atomstaat, das ist die aufsteigende Tendenz der Herrschaft, die bürgerliche Demokratie ist bereits ihre absteigende Linie. Der Abbau der Demokratie in der BRD (ganz Europa) zeigt, dass sie der Bourgeoisie angesichts der Verschärfung der ökonomischen und sozialen Krise hinderlich wird. Hinderlich bei der Unterdrückung und der Ausübung der Macht. Mit dem Abbau will sie den erwarteten Widerstand im Keim ersticken.

Wenn sie bestimmte demokratische Rechte abbauen, dann ist es für uns notwendig, für den Erhalt und vor allen Dingen den Ausbau dieser Rechte zu kämpfen. Böswillige erkennen an dieser Stellen immer einen unlösbaren Widerspruch; auf der einen Seite die bürgerliche Demokratie als Herrschaftsform des Kapitals zu bekämpfen, auf der anderen Seite aber für die Erhaltung demokratischer Rechte zu kämpfen. Dieser Widerspruch ist zu lösen.

Wir ketten uns nicht an die bürgerliche Demokratie, wenn es darum geht, dem Atomstaat etwas entgegen zu setzen. Wir setzen uns doch nicht auf einen morschen Ast. Es kann in diesem Kampf nicht darum gehen, lediglich ein bisschen mehr Freiheit zu erhalten oder zu bekommen, dies wäre Reformismus. Dieser Kampf muss so begriffen werden, dass sich in ihm, im Kampf um Demokratie, Stück für Stück ein Bewusstseins- und Emanzipations-Prozess entwickelt, nämlich der, dass sich die Menschen politische Formen schaffen – wie Selbstverwaltung und Selbstorganisation – die es ihnen ermöglichen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und es selbst zu gestalten.

Sich solche Formen zu schaffen, haben die Wendländer in Gorleben versucht und versuchen die Häuserbesetzer noch immer. Der Häuserkampf ist nicht nur ein Kampf gegen Spekulanten und falsche Sanierungs- beziehungsweise Baupolitik. Er drückt auch aus, dass Demokratie nicht erst im gelobten Land beginnt, sondern schon heute im alltäglichen Kampf erlernt werden muss und auch wird. Selbstverwaltung und Selbstorganisation im Kampf zu erlernen, sind Basen die eine sozialistische Revolution eines Tages möglich machen.

In diesem zähen und langfristigen Kampf, werden die Menschen heranreifen und sich soweit emanzipieren, dass sie nicht nur der Bourgeoisie den letzten Tritt geben, der notwendig ist, um deren Herrschaft zu beenden, sie werden dann auch so gefestigt sein, dass sie jeden faschistischen – aber auch stalinistischen – Machtanspruch abschmettern. Es ist allerdings ein Wahnwitz, jetzt zu glauben, man könnte den Kapitalismus über den Kampf um Demokratie oder gar über den Parlamentarismus auf friedliche Weise beseitigen. Es ist ein Traum, zu glauben, dass man friedlich Stück für Stück vom Kapitalismus in den Sozialismus wandern kann.

Ein Traum, der für die chilenischen Genossen zum Alptraum geworden ist. Als ob es jemals eine herrschende Klasse gab, die ruhig zusah, wie man ihr den Besitz, den Profit und das Recht auf Ausbeutung wegnahm. Alle herrschenden Klassen verteidigen diese, ihre Privilegien, bis zum Schluss mit äußerster Brutalität. Dafür haben sie ganze Völker ausgerottet und ausgeplündert. Kein Mittel und keine Methode ist den Herrschenden fremd, wenn es darum geht, ihre Macht zu erhalten. Deshalb macht der Kampf um Demokratie die Revolution nicht überflüssig, denn letztlich kann es ohne die Beseitigung des Kapitalismus keine sozialistische Demokratie geben.

Da Parteien und Namen innerhalb der kapitalistischen Strategie keine Rolle spielen, könnte der Name Lorenz auch ersetzt werden. Namen spielen nur insofern eine Rolle, wie diese Politiker auch persönlich Verantwortung tragen und wie sie persönlich an der Korruption teilhaben. Wer zum Beispiel ist Peter Lorenz, warum wurde er gerade mitgenommen? Was für eine Bedeutung hatte er?

Lorenz als Vorsitzender der Berliner CDU und damaliger Parlamentsvizepräsident war – im großen politischen Rahmen gesehen – von geringer Bedeutung. Seine Bedeutung lag zur damaligen Zeit einfach darin, dass laut bürgerlicher Wahlanalyse die CDU stärkste Partei in Westberlin werden sollte. Also konnte es sich eine Regierungspartei überhaupt nicht leisten, einen Vorsitzenden der Opposition – die auch noch den stärksten Zuwachs bei bürgerlichen Wahlen bekommt – zu opfern. Die Bevölkerung hätte sich dann nämlich gefragt, ob da nicht ein lästiger Konkurrent geopfert wird, und zwar nicht, um die Autorität eines Staates zu retten, sondern um auf langfristig die eigene Partei zu stärken.

Mit dieser Konstellation begann die Zwickmühle für die Regierung, und sie sollte sich noch weiter zuziehen. Sie setzte sich fort, in dem durch die Wegnahme eines Oppositionspolitikers von Anfang an ein Keil zwischen Regierung und Opposition getrieben wurde. Die CDU wollte ihren Mann mit Sicherheit nicht opfern, also war eine Einheitsfront der staatstragenden Parteien – gegen einen Austausch – solange unmöglich, solange die Bewegung 2. Juni die gestellten Bedingungen nicht ins Unrealistische steigerte. Das war, wie wir ja wissen, nicht der Fall. Im Gegenteil, eher kann man die Forderungen der Bewegung 2. Juni als zu bescheiden ansehen.

Nun, das waren aber nicht die einzigen Gründe, warum der gegenseitige Austausch von Gefangenen geklappt hat. Es können auch nicht die einzigen Gründe gewesen sein, warum P. Lorenz die Ehre hatte, der erste politische Gefangene zu sein, der nicht von staatstragenden Kräften eingesperrt wurde. Das P. Lorenz besonders fotogen ist – mag zwar stimmen – darf aber kein Haftgrund sein.

Wie wir seinen Aussagen entnommen haben, hat die Bewegung 2. Juni ihm während der Gespräche oder Verhöre vorgeworfen, eine Reise ins besetzte Palästina unternommen zu haben. Er hat dort Verhandlungen mit Mitgliedern der zionistischen Regierung über wirtschaftliche und politische Unterstützung für das kolonialistische Gebilde, das sich selbst Israel nennt, geführt.

Diese gegen das Völkerrecht verstoßene Politik hat P. Lorenz hier im Gerichtssaal mit der Bemerkung – das jüdische Volk müsse doch irgendwo im Frieden leben können – zugegeben. Das ist die allgemein gängige Version, die uns ständig von den Propagandamühlen der staatstragenden Medien unter die Nase gerieben wird. Da stehen P. Lorenz und die CDU wahrlich nicht allein. Auch wir gönnen den jüdischen Menschen Frieden, Wohlstand und eine Heimat. Aber nicht auf Kosten des arabischen Volkes von Palästina. Nicht auf Kosten zerbombter Flüchtlingslager, ermordeter Kinder, die oft durch mit Sprengstoff gefülltem und über den Lagern abgeworfenem Spielzeug zerrissen werden. Nicht auf Kosten eines besetzten Gebietes, wo das heimische Volk nur mit Passierscheinen leben kann und aller Menschenrechte beraubt ist.

Nicht das Volk Palästinas hat den jüdischen Menschen etwas getan. Es waren die Deutschen, die die jüdischen Menschen ausrotten wollten, und es ist das palästinensische Volk, das die Auswirkungen der deutschen Verbrechen zu spüren bekommt. Ein schlechtes Gewissen gegenüber den jüdischen Menschen darf noch lange kein Grund sein, die Verbrechen Israels zu decken und zu finanzieren. Schlechtes Gewissen wird auch nur von der Propaganda vorgeschoben. Die wahren Gründe der Finanzierung Israels hat die Bundestagsfraktion der KPD in der zweiten Lesung über das Luxemburger Abkommen 1953 unter anderen so dargelegt:

'Unter dem Namen der Wiedergutmachung erhalten also die Industriellen Israels aus Westdeutschland alles, was sie zum Ausbau ihrer Grundindustrie benötigen. Die Tatsachen beweisen, dass dieses Abkommen mit einer Wiedergutmachung, auch nicht das geringste zu tun hat .., dass die einzelnen Verfolgten in Israel von den drei Milliarden Mark auch nicht einen einzigen Pfennig erhalten, die Industriellen dagegen ein glänzendes Geschäft machen. Aber nicht nur die sind die Nutznießer aus diesem Abkommen, sondern vor allem die Herren aus der amerikanischen Rüstungsindustrie und Hochfinanz ... nicht aus Gründen der Humanität und Menschenfreundlichkeit. Es sind sehr reale Gründe für diese Politik maßgebend. Es sind die amerikanischen Imperialisten, die sich im vorderen Orient einen starken strategischen und militärischen Stützpunkt verschaffen ..., mit Hilfe der Industrieausrüstungen aus Westdeutschland wollen die Amerikaner also den in ihren Händen befindlichen Staat Israel zur rüstungsmäßigen und operativen Basis ausbauen ...‘ (Ende des Zitats)

Das war 1953 und hat noch heute seine Gültigkeit. Weil Israel von unseren Medien als imperialistischer Kettenhund geschätzt und geschützt wird, erfahren wir nichts über die Massaker Israels an Frauen und Kindern, heute in den Flüchtlingslagern, damals 1948 in Deir Yassim und Katamon.

Die Massaker von Deir Yassin und Katamon sind nur zwei von unzähligen, begangen an der arabischen Bevölkerung, sie sind nur deshalb so von Bedeutung, weil sie die Vertreibung der Araber Palästinas eingeleitet haben, und weil sie vom heutigen Ministerpräsidenten Israels, Menachem Begin, befohlen wurden. Man muss sich die Massaker und zerbombten Flüchtlingslager vor Augen halten, um zu begreifen, mit was für Leuten P. Lorenz in Israel zusammengetroffen ist.

Da die PLO – die einzige rechtmäßge Vertreterin des palästinensischen Volkes – das besetzte Palästina unter Kriegsrecht gestellt hat, macht sich jeder der das zionistische Gebilde moralisch oder materiell unterstützt, zumindest der Unterstützung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig. Wer über Aktionen des palästinensischen Widerstands urteilt, sollte sich mal mit der Stellungsnahme der Matzpen – einer sozialistischen Organisation in Israel – vom 22. März 1968 beschäftigen. Allerdings, und das muss an dieser Stelle betont werden, meinen wir Aktionen, die vom palästinensischen Widerstand und nicht von irgendwelchen Palästinensern in irgendwelchem Geheimdienstauftrag, getragen werden.

Hier teilweise zitiert: „Es ist das Recht und die Pflicht eines jeden unterdrückten Volkes, die Okkupation zu bekämpfen und für seine Freiheit einzustehen. Mittel und Wege dieses Kampfes werden vom Volk selbst bestimmt, und es ist heuchlerisch von Außenstehenden, besonders wenn sie der unterdrückenden Nation angehören, den Unterdrückten diktieren zu wollen, was sie zu tun oder zu lassen hätten. Ausgehend von der bedingungslosen Solidarität mit der Gesamtheit der unterdrückten und okkupierten Bevölkerung in ihrem Befreiungskampf, unterstützt Matzpen im Besonderen nur solche Organisationen, die ebenfalls das Selbstbestimmungsrecht der Juden Israels für die nachzionistische Zeit anerkennen. Auf dieser Grundlage kann sich ein gemeinsam jüdisch-arabischer Kampf für eine bessere Zukunft miteinander entwickeln“ (Ende des Zitats)

Das Programm der PLO, von Arafat in seiner Rede vor der UNO erläutert, sieht ein demokratisches Palästina vor, in dem Juden, Moslems und Christen in Frieden und Gleichheit mit- und nebeneinander leben werden und es deckt sich in einigen Punkten mit den Programmen der antiimperialistischen und antizionistischen Juden in Israel.

Dadurch, dass die Bewegung 2. Juni die moralische und materielle Unterstützung für Israel durch P. Lorenz und die CDU noch einmal deutlich gemacht hat, hat sie dafür gesorgt, dass zumindest ein wenig mehr über die palästinensische Revolution nachgedacht wird. Ein weiterer Punkt, den die Bewegung 2. Juni P. Lorenz vorgeworfen hat, ist die Unterstützung des Folterregimes von Pinochet in Chile. P. Lorenz hat das von sich gewiesen, weil ja auch Christdemokraten in Chile verfolgt werden. Nun ja, sie werden die Geister, die sie riefen, nicht mehr los. Noch Wochen nach Allendes Ermordung haben führende chilenische (und nicht nur chilenische) Christdemokraten den Putsch begrüßt und gehofft, die Militärs würden den Christdemokraten die verlorene Macht wieder zurückgeben.

Jetzt, wo sich abzeichnet, dass die Militärs auch keine Christdemokraten mitregieren lassen, da regt sich auch von dieser Seite Widerstand und nun sind auch sie Verfolgungen ausgesetzt. Nach allem, was P. Lorenz von sich gegeben hat, kann man ihm persönlich abnehmen, dass er das Regime in Chile ablehnt. Aber er gehört einer Partei an und dieser kann das niemand abnehmen. Es gibt einen Bruno Heck, und es gibt einen Vorsitzenden einer Schwesterpartei – einen Strauß –, die in Chile waren und das Folterregime als durchaus legitim ansahen. Heck, der die Fußballstadien besichtigte und sie luftig und voller Sonnenschein antraf und die in diesen Stadien bestialisch Ermordeten verhöhnte. Und es gibt einen Spruch, den Strauß in Chile abgelassen hat und den wir hier unkommentiert wiedergeben: „Wenn behauptet wird, Allende sei ermordet worden, dann muss man das auch von den Gefangenen in Stammheim sagen!“

Wir können uns nicht daran erinnern, je einen öffentlichen Aufruf von P. Lorenz gegen das Regime in Chile gelesen zu haben, wir können uns auch nicht daran erinnern, dass P. Lorenz je eine Petition unterschrieben hat. Das kann er auch gar nicht, weil die imperialistischen Industriekreise, die die CDU unterstützen, sofort für die Beendigung seiner politischen Laufbahn gesorgt hätten.

Gegen den nächsten Vorwurf der Bewegung 2. Juni hat P. Lorenz den ganzen Charme der Scheinheiligkeit von Berufspolitikern aufgefahren. Wieso sollte auch gerade er Mitschuld an der Aufrechterhaltung des diskriminierenden Paragraph 218 haben? Er, der Privatmann P. Lorenz trat hier auf, als ob er nichts, aber auch gar nichts von dem weiß, was er als ein Landesvorsitzender der CDU mitzuverantworten hat. Als ob es nie Programme und Gesetzesvorlagen der CDU gab.

So aufzutreten, da gehört schon eine Portion Frechheit zu. War es nicht die CDU – unterstützt von der Kirche – die alle Frauen zu Mörderinnen stempelte, bloß weil die es wagten, abzutreiben. Es also wagten, über ihren Körper und ihr Leben selbst zu bestimmen. Wie viele Frauen bei illegalen Abtreibungen ihr Leben und ihre Gesundheit in irgendwelchen Hinterstuben aufs Spiel gesetzt haben, zu denen sie gerade durch das CDU-Gesetz getrieben wurden, ist nirgends festgehalten, dürfte aber auch den ahnungslosen Herrn Lorenz erschrecken, falls er sich je die Mühe macht, die Zahl zu ermitteln. Wie wir ihn kennen, wird er sich diese Mühe nicht machen.

Es ist noch heute die CDU, die – nach der durch die Frauen erkämpften Reformierung des Paragraph 218 – Ärzte auffordert, Abtreibungen abzulehnen. Die damit Mitschuld trägt, wenn ein Teil der zur Abtreibung zugelassenen Frauen in den Kliniken mit Methoden behandelt werden, die nicht selten einer Misshandlung gleichkommen. Der Paragraph 218 bleibt auch nach der Reformierung eine einzige Diskriminierung, weil er den Frauen noch immer verweigert, über ihren Körper selbst zu bestimmen.

In einem Klassenstaat ist es nur zu logisch, dass Frauen aus sozial schwächeren Schichten von dieser Diskriminierung besonders betroffen sind. Frauen von Parlamentariern haben da schon andere Möglichkeiten, die sie im Ausland oder beim Hausarzt finden.

Nun der Paragraph 218 hat etwas mit dem System in der BRD gemeinsam: beide werden eines Tages von der Bildfläche verschwinden.

Das waren alles nur ein paar Vorwürfe gegen P. Lorenz und die CDU und es hätte auch Schütz und die SPD oder Oxford und die FDP heißen können, aber hier hat sich die Taktik einer Aktion anscheinend an Peter Lorenz gehalten. Heute an die Aktion ranzugehen, ohne die Flugschrift der Bewegung 2. Juni – die Entführung aus unserer Sicht – zu berücksichtigen, geht nicht. Genauso wenig geht es heute, vier Jahre danach, noch genauso euphorisch heranzugehen, ohne all das zu berücksichtigen, was seitdem passiert ist. Eine nüchterne Betrachtung der Aktion hat bis heute nicht stattgefunden. Entweder wird sie als Bullenaktion diffamiert oder als großartig proletarisch bejubelt.

Eine Bullenaktion war sie schon deshalb nicht, weil sich Bullenaktionen immer gegen das Volk richten, niemals aber gegen die Herrschenden. Ob die Aktion nun proletarisch war, darüber lässt sich streiten. Eher war sie populistisch, im wahrsten Sinne des Wortes, volkstümlich. In der Aktion steckten die Elemente, die jedes Volk besitzt, das sich wehrt, Phantasie, Entschlossenheit, List und Witz. Durch den reibungslosen Ablauf der Aktion und angesichts der politischen Umstände jener Tage (die Wahl), waren die Herrschenden gezwungen, die Bewegung 2. Juni vorübergehend als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Damit hatte die Bewegung 2. Juni bereits eins der politischen Ziele erreicht.

Zum nächsten Ziel dieser Aktion – der Befreiung von Gefangenen – muss wohl mehr gesagt werden. Denn man kommt an diesem Punkt nicht mehr an der zum Teil praktizierten These vorbei, dass Gefangenenbefreiung Taktik und Strategie jeder Guerilla sei. Wenn Gefangenenbefreiung Taktik und Strategie der Bewegung 2. Juni gewesen wäre, dann hätten besser nicht die Gefangenen die Koffer gepackt, sondern die, die die Aktion durchgeführt haben. Wer solch einen Quatsch im Kopf hat und den politischen Kampf nur noch auf Gefangenenbefreiung ausrichtet, sollte sich vorläufig vom bewaffneten Kampf fernhalten. So wie die Aktion durchgeführt wurde, wurde deutlich, dass die Bewegung 2. Juni solch einen gefährlichen Unsinn nicht im Kopf hatte.

Das Schlimmste, was im politischen Kampf passieren kann, ist, dass man das politische Ziel aus den Augen verliert oder aufgibt. Dann ist es nicht mehr weit und man gibt sich mit Teilerfolgen zufrieden und funktioniert die Teilerfolge zum Ziel um. Was vorher und real Taktik war, ist dann nicht mehr Teil der Strategie, sondern verselbständigt sich und wird zur Strategie aufgeblasen. Das Niederlagen damit vorprogrammiert sind, ist klar. Eine Guerilla, deren Taktik und Strategie die Befreiung von Gefangenen sein soll, macht sich nicht nur lächerlich, sie lädt den Feind geradezu ein, die Gefangenen zu ermorden. So ne Guerilla wäre vom Feind immer über Druck auf die Gefangenen erpressbar oder bei Ermordung sogar ausschaltbar. Was soll denn eine Guerilla dann noch machen, wenn sie ihrer Taktik und Strategie beraubt wird? Knast ist immer nur ein Teil des Unterdrückungsapparates, die letzte Stufe der Repressionsleiter, die härteste für die, die sich noch wehren können. Knast soll sie abschrecken, die sich nicht schon durch Familie, Schule, Uni, Fabrik oder im Stadtteil einschüchtern lassen. Dort überall reicht der lange Arm der Repression hin und unterdrückt und kontrolliert die Menschen über Lehrer, Meister, KOB‘s und neuerdings über Computer.

Knast ist kein Motor der kapitalistischen Maschinerie, er ist auch nicht deren Hauptsicherung, die alles zum Stehen bringt, falls sie durchknallt. Knast ist eine Sicherung unter vielen. Jedoch stört jede durchgeknallte Sicherung den reibungslosen Ablauf der Maschinerie, ist sozusagen ein Störfall. Doch daraus zu schließen, das System würde untergehen, falls es uns gelingt, alle Knäste in Schutt und Asche zu legen, ist eine totale Verkennung der Realitäten.

Erst wenn das System der Ausbeutung von Menschen durch den Menschen mit seinen ganzen Herrschaftsmechanismen zerstört ist, wird die Zerstörung von Knästen auch von Dauer sein. Weil der Kampf gegen die Knäste nur ein Aspekt des gesamten Kampfes ist, kann die Befreiung der Gefangenen heute nur eine Taktik im gesamten Kampf sein, der darauf abzielt, die Ohnmacht der Menschen gegen die Allmacht und das Gewaltmonopol des Systems aufzuheben.

Die Befreiung von Gefangenen nun zur Strategie zu erklären, hieße, die Unterdrückung in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen zu ignorieren, hieße auch, die kapitalistische Maschinerie nicht zu durchschauen. Ignoranz und mangelnder Überblick sind immer Triebkräfte der eigenen Niederlage. Wir müssen bei einer Aktion alles im Auge haben, was den gesamten Widerstand in der BRD beeinflussen könnte. Wir wollen die Auswirkungen einer Aktion selbst bestimmen und sie nicht dem Zufall überlassen.

Sollten uns aber die Auswirkungen einer Aktion auf die gesamte Linke von vornherein egal sein – so nach dem Motto, nach mir die Sintflut – dann dürfen wir uns aber auch nicht wundern, wenn uns die Niederlagen hinweg spülen. Sind uns die Auswirkungen egal und unsere Fehler wiederholen sich permanent, dann werden wir uns von der Basis isolieren. Wir werden dann nicht Teil des gesamten Widerstandes, sondern unsere Aktionen isolieren uns immer mehr. Sie bekommen eine innere Dynamik und verselbständigen sich, werden nur noch um ihrer selbst willen gemacht. Dann zeichnet sich das Ende solch einer Guerilla auch schon ab.

Wenn es uns aber darauf ankommt, den bewaffneten Widerstand zu verankern, ihm eine solide Basis zu verschaffen, dann müssen wir in der Lage sein, den strategischen Wert einer (taktischen) Aktion richtig einzuschätzen. Der Kampf um die Gefangenen bleibt immer ein Teil des gesamten Kampfes und als Teil hat er sich an dem gesamten Widerstand zu orientieren. Man kann nicht einen Teilbereich des Kampfes (hier den Knast) herausgreifen und ihn zum Ganzen erklären. Eine Gruppe, die das doch tut und zum Beispiel die Lorenzaktion zur Strategie erklärt, die will sich selbst aufbauschen, die will eine Wichtigkeit hervorheben, die sie nicht hat. Eine Gruppe, die sich wichtiger nimmt als sie ist, die verliert den politischen Überblick und bereitet ihren politischen Irrweg vor.

Wenn wir denen, die einen Teil des Kampfes zum Ganzen erklären, ein Stück Kuchen in die Hand drücken und ihnen sagen, das hier ist der ganze Kuchen, dann würden sie wohl maulen und merken, dass ein Teil weniger ist als das Ganze. In der „Entführung aus unserer Sicht“ steht ziemlich deutlich, dass sich die Bewegung 2. Juni als Teil des allgemeinen Widerstandes begreift. Als Teil, weil ihr klar ist, dass Guerilla nichts anderes als eine Methode des politischen Kampfes ist, eine Methode unter vielen.

Da die Bewegung 2. Juni sich so begreift, ist auch anzunehmen, dass sie es sich vorher überlegt hat, ob die Aktion mehr negative oder positive Folgen für die Linken haben würde. Da ist eine Frage, die beantwortet werden muss; was hat die Aktion ausgelöst? Sie hat neben der Anerkennung als Verhandlungspartner, der Befreiung von sieben Gefangenen, die Resignation in weiten Teilen der Linken aufgebrochen und vielen Genossen – aber nicht nur denen – gezeigt, dass das System zwar die Macht hat, diese Macht aber nicht mehr unantastbar ist.

Die Bewegung 2. Juni hat gezeigt, dass es möglich ist, dem Regime der BRD eine Schlappe zuzufügen. Das ist, die sich nach innen und außen so sicher geben, die Deutschland als Modell der Sicherheit und Ordnung präsentieren, dass die nach dieser Aktion nicht mehr mit so einem arroganten und polierten Image rumlaufen konnten. Klar, der Staat ist davon nicht demoralisiert oder gar schwer angeschlagen worden, so leicht ist das leider nicht. Aber sein Gewaltmonopol wurde durchbrochen. Es musste einfach durchbrochen werden, um allen Leuten – die in diesem Land von Berufsverboten, von einem fast perfekten Überwachungsapparat, von Arbeitslosigkeit, vom Knast, von Horrorstadtteilen, von einer zerstörten Umwelt betroffen sind, Hoffnung und Mut zu machen.

Für diese Menschen war die Niederlage des Systems ein Stück Genugtuung und Ansporn. Genauso war die Aktion für die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt eine Genugtuung, mitzuerleben, wie die so mächtige BRD durch eine innere Opposition eine Niederlage zugefügt bekam. In dem Maße, wie der BRD-Imperialismus selbständiger wird und immer offener auftritt, die Menschen in diesen Ländern als medizinische Versuchskaninchen benutzt – so wie Schering in Südamerika Versuche mit der Anti-Baby-Pille an indianischen Frauen durchgeführt hat, so wie Rollei die Bevölkerung in Singapur ohne sozialen Schutz ausbeutet oder Siemens seine Atomanlagen in Südkorea ohne die – für die BRD notwendigen – Schutzanlagen in Betrieb nimmt, die BRD-Regierung die feudalen und faschistischen Regimes in diesen Ländern mit Geld und Waffen unterstützt, in dem Maße wird es klar, warum die Befreiungsbewegungen über jeden Funken Widerstand im Herzen des Imperialismus froh sind.

Denn sie wissen, dass letztlich die Hauptschlacht gegen den Imperialismus, seine totale Niederlage, nur im Herzen der Bestien selbst laufen kann. Ob die Bewegung 2. Juni für die Lorenz-Aktion Unterstützung von Befreiungsbewegungen oder anti-imperialistischen Staaten bekommen hat, das rauszukriegen, soll Aufgabe staatlich bezahlter Spekulanten bleiben. Unsere Aufgabe ist es, festzuhalten, dass die Gefangenen in das Land ihrer Wahl geflogen und aufgenommen wurden. Und dass die Volksrepublik Jemen eine ganze Menge Geld ausgeschlagen hat, das ihr im Falle einer Rückführung von der Regierung der BRD angeboten wurde. Wer die Armut kennt, die der englische Imperialismus im Jemen hinterlassen hat, der kann die Handlungsweise der Volksrepublik erst richtig schätzen lernen. In den Hirnen kapitalistischer Politiker muss es wohl gewaltig rumort haben. Da kommen sie mit ihrem Geldsäckel über tausende von Kilometern angereist und glauben, dass alles auf der Welt käuflich ist. Doch sie rannten gegen eine Wand und mussten erkennen, dass ihre eigene erbärmliche Käuflichkeit nicht auf eine sozialistische Regierung zu übertragen ist.

Denn die stand zu ihrem Wort; und dieses Wort hieß Aufnahme und volle Bewegungsfreiheit für die befreiten Gefangenen.

Wir wollen auch auf die negativen Folgen der Lorenzaktion eingehen. Die Wut des Regimes hat sich nach der Freilassung von Lorenz natürlich gegen Menschen ausgetobt, die aus den Zwängen des Systems ausbrechen wollen. Gegen Jugendliche, die ihr Leben selbst organisieren wollen. Die Exzesse der Bullen im Weissbecker- und Rauch-Haus sind Beleg dafür.

Der Versuch, die legale Linke und alle Menschen, die überhaupt aus dem bürgerlichen Rahmen fallen, durch Razzien, Wohnungsdurchsuchungen und Bedrohungen einzuschüchtern, sind weitere Belege. Teilweise waren viele Genossen nach der Freilassung von Lorenz von Repressionswellen wie gelähmt. Die Freude über die befreiten Gefangenen schien in Resignation umzuschlagen. Der Staatsapparat wollte Macht demonstrieren, wollte nach seiner Niederlage den Widerstand in dieser Stadt in die totale Defensive drängen. Es sollten nicht nur die bewaffneten Kämpfer der Bewegung 2. Juni getroffen werden, man wollte in einem Abwasch alle zum Schweigen bringen, die dieser Gesellschaft kritisch gegenüberstehen.

Aber solange der Staatsapparat mit seinen Schlägen erfolglos blieb, musste er aus allen Teilen der Bevölkerung Kritik einstecken. Darunter auch von Leuten, die die Lorenzaktion total ablehnten. Da der Staatsapparat zu dieser Zeit schon Kritik aus den eigenen Reihen schlucken musste und die Bevölkerung ihn in zunehmendem Maße verscheißerte, ist es ihm selbst gelungen, den von der Bewegung 2. Juni provozierten Riss zwischen Staatsgewalt und Volk zu vergrößern. Er führte die Brutalität der legalen staatlichen Gewalt zu einer Zeit und in aller Öffentlichkeit vor, wo es für alle eine Vergleichsmöglichkeit zur revolutionären Gewalt der Unterdrückten gab. Ein Fehler, der für den Staatsapparat zum Schlag ins Wasser führen musste. Es wäre aber trotzdem erfolgreich gewesen, wenn es ihm gelungen wäre, durch sein geballtes Auftreten Resignation und Ohnmacht zu verbreiten. Die Lorenzaktion wäre so nachträglich isoliert und zu einem Eintagserfolg degradiert worden.

Genau in der Phase des staatlichen Gegenschlags hat die Bewegung 2. Juni die Lorenzaktion durch die Flugschrift: „Die Entführung aus unserer Sicht!“ der Linken und der Bevölkerung zusätzlich vermittelt. Vermittlung einer Aktion ist immer wichtig, sie ist es aber besonders dann, wenn der Gegner drauf und dran ist, die Aktion durch seine Gegenpropaganda in den Dreck zu ziehen.

Dass es überhaupt möglich war, eine Flugschrift in diesem Umfang und in dieser Größenordnung zu verteilen, zeigt nur die Basis und die damalige Verankerung der Bewegung 2. Juni auf. Ohne diese Basisnähe wäre es unmöglich gewesen, in der politischen Offensive zu bleiben und der politischen Führung in dieser Stadt eine weitere Niederlage zuzuführen. Hatte sie doch ihren gesamten Apparat auf die Straße gehetzt, hatte versucht, viele Menschen einzuschüchtern und musste doch mit ansehen, wie die Bewegung 2. Juni unter den Augen der Bullen – die hier immerhin die größte Dichte in der Welt besitzt – Flugschreiben verteilt. Das Verteilen der Flugschrift hat Stärke vermittelt und das Aufkommen von Resignation verhindert. Es hat den Staat nicht Macht, sondern seine eigene Ohnmacht darstellen lassen.

Durch das Verteilen wurde sehr vielen Leuten die Möglichkeit der Identifikation mit der Bewegung 2. Juni erleichtert. Denn dadurch wurden sie Teil der Aktion und haben auch ihren Teil zum Sieg beigetragen. Das soll nun aber nicht so verstanden werden, dass wir die Lorenzaktion als Erfolgsrezept zur schematischen Nachahmung empfehlen. Schematismus ist nicht nur langweilig, sondern auch gefährlich. Wer schematisch handelt, vergisst, dass sich die Bedingungen bei Aktionen nicht blind von einer politischen Situation auf die nächste übertragen lassen. Schließlich lernt auch der Gegner dazu und reagiert nicht immer gleich.

Der Gegner, der dazu lernt, ist ein Aspekt. Der wichtigere jedoch ist, dass sich die politischen Bedingungen oft schon durch die Aktion verändern. So stellt sich für die Akteure die Frage, ob sie die Entwicklung der politischen Bedingungen vorher richtig analysiert und auch gewollt haben. Wenn ja, dann entwickelt sich alles zugunsten der Aktivisten, dann behalten sie das wichtigste bei solchen Aktionen überhaupt: die Initiative. Haben sie die Entwicklung allerdings nicht gewollt beziehungsweise nicht vorhergesehen, dann verlieren sie die Initiative an den Gegner. Die Aktion hat dann ein Stadium erreicht, wo sich jede Gruppe oder Kommando überlegen muss, ob es möglich ist, die Initiative zurück zu gewinnen, oder ob es nicht besser ist, die Aktion zu beenden.

Die Bewegung 2. Juni hatte bei Lorenz nicht einen Augenblick lang die Initiative aus der Hand gegeben. Selbst da nicht, wo es so aussah, wo sie Bedingungen der Polizei erfüllte, tat sie es so, dass der Eindruck, die Polizei hätte nun die Initiative, nie entstehen konnte. Im Gegenteil, die Polizei musste alle Mitteilungen des 2. Juni öffentlich machen und damit klarstellen, dass die Initiative weiter beim 2. Juni lag. Eine Guerilla kann es sich nicht leisten – will sie keine Niederlage einstecken – die Initiative während der Aktion aus der Hand zu geben.

Die Bewegung 2. Juni hätte zum Beispiel nie dem Polizeiapparat – nach der Lorenzaktion – durch neue, ähnliche Aktionen die Initiative entreißen können, das hätte unweigerlich zu einer fürchterlichen Schlappe geführt. Die Bewegung 2. Juni konnte aber ihre politische/militärische Initiative durch die Verteileraktion in einer neuen politischen Form präsentieren. Das Verteilen der Flugschrift nach der Aktion war nichts anderes als das Beibehalten der Initiative im neuen politischen Gewande. Man kann fast sagen, dass hier einem Lehrsatz von Clausewitz und Mao gefolgt wurde. Denn wenn eine Guerilla mit dem Rücken zur Wand steht, die Umzingelung durch den Feind immer mächtiger wird, dann sollte sie ja nicht versuchen, diese Umzingelung durch die Erhöhung des militärischen Einsatzes zu sprengen.

Vielmehr sollte sie neue politische und politisch/militärische Formen suchen und darüber das Bewusstsein der Menschen erobern. Der Gegner wird zwar immer versuchen, uns mit dem Rücken an die Wand zu drücken, uns von allem und jedem zu isolieren, uns durch seine Umzingelung so zu erdrücken, dass wir einen Ausweg aus eine solcher Situation nur noch im direkten Kampf gegen seinen – überlegenen – Staatsapparat sehen sollen. Wenn es zu einer spektakulären Situation kommt, dann wird er es noch stärker versuchen und die Ansatzpunkte, die er durch solche Aktionen bekommt, voll gegen uns auszunutzen.

Seine Aufgabe ist es, uns auf seine „Schlachtfelder“ zu drücken oder zu locken, da, wo er Form und Inhalt des Kampfes diktiert und wo wir wegen seiner totalen Überlegenheit nur untergehen können. Und das ist keineswegs nur militärisch zu verstehen sondern auch politisch. Denn wenn wir diesen Kampf annehmen, dann haben wir bereits den politischen Fehler begangen, der sich dann in einer militärischen Niederlage nur noch ausdrückt. Für uns heißt es, wenn der Gegner uns umzingeln will, auszuweichen. Wenn er uns auf sein Gebiet locken will, der Verführung widerstehen und insgesamt die politische Initiative dort ergreifen, wo er nicht drauf gefasst ist oder wo er es trotz seiner militärischen Überlegenheit nicht verhindern kann.

Einem Gegner ausweichen kann aber nur der, der sich nicht auf ein dogmatisches Konzept oder Rezept beruft, sondern flexibel genug ist, die Verschiebungen beim Gegner mit zu berücksichtigen und notfalls die Strategie – wohlgemerkt die Strategie und nicht das Ziel – zu ändern. Als neue politische Initiative müssen auch die beiden Aktionen betrachtet werden, die hier unter den Begriff Negerkussbanken laufen. Es wird zwar allgemein angenommen, dass es nur Spaß war, die Negerküsse zu verteilen. Das ist aber ein Irrtum.

Vermutlich hat es auch Spaß gemacht, viel wichtiger war aber, dass die Bewegung 2. Juni nach der Lorenzaktion nochmals deutlich machte, dass sie bei Aktionen – und auch sonst – Bonzen und Unbeteiligten unterschiedlich gegenübertritt. Der eine wird entführt, der andere kriegt Negerküsse.

Eine sozialrevolutionäre Gruppe überzeugt nicht nur durch die Stoßrichtung der Aktion – also den Inhalt – sondern sie wirbt auch durch die Form des Auftretens für sich. Und für richtige Inhalte sind auch nicht beliebig viele Formen verfügbar. Zu einer Zeit, wo der Staatsapparat immer wieder seine Propaganda darauf abrichtete, dass Aktionen zur Gefangenenbefreiung nicht nur Figuren wie Lorenz, sondern auch jede Blumenfrau von der Ecke treffen könnte, war es besonders wichtig, eine Form des Kampfes zu wählen, die den Inhalt revolutionärer Politik transparent machen und die Staatspropaganda leer laufen lassen sollte. Unbeteiligte werden durch Aktionen der Bewegung 2. Juni nicht bedroht; das zu vermitteln war und ist wichtig.

Wenn sich die unterdrückten Teile der Bevölkerung durch unsere Aktionen bedroht fühlen, dann werden sie unser Feind und werden mit dem Staatsapparat gegen uns zusammenarbeiten. Gelingt es uns aber, Sympathien zu wecken, dann werden wir sie für uns gewinnen oder aber sie zumindest neutralisieren. Gerade eine Stadtguerilla, die keine befreiten Gebiete wie eine Landguerilla hat, muss noch gesteigerten Wert auf die Zustimmung der Bevölkerung legen.

Eine schlagkräftige Stadtguerilla aufzubauen, steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Wir wollen allerdings nicht nur über Vergangenes reden. Die Gegenwart und die Zukunft verdienen es auch mal, erwähnt zu werden. Allerdings, eine Strategie liefern wir nicht. Wer die erwartete, wird wohl etwas enttäuscht sein, aber wir können auch gar keine Strategie im Knast entwickeln. Dazu reichen unsere Erfahrungen alleine nicht aus. Uns fehlt ganz einfach der Überblick über die Gesamtsituation der Kämpfe draußen und uns fehlt die Praxis an einigen wichtigen Punkten – ohne beides kann niemand eine Strategie entwickeln.

Es gibt genug bürgerliche Propagandisten, aber auch Genossen, die uns das imperialistische Lager als Einheit ohne nennenswerte Widersprüche verkaufen wollen. Als ein Lager, wo sich alles bedingungslos unter die Hegemonie der USA stellt.

Als Beweis solcher Thesen müssen immer die für uns alle so schön sichtbaren Bündnisse und sonstigen Vereine der Imperialisten herhalten. Einmal die Nato, einmal die Trilaterale, einmal der IWF. All diese Bündnisse stellen sich uns als Bündnisse der „friedlichen“ Aufteilung der 3. Welt durch den imperialistischen Block dar. Nur, so friedlich verlaufen diese Bündnisse der Imperialisten untereinander gar nicht. Zwar ändern sich die Formen des Kampfes untereinander permanent und sind oft nur schwer auszumachen. Wer aber die Statistiken des Waren- und Kapitalexportes der Imperialisten nicht nur betrachtet, sondern untersucht, wird sehr schnell feststellen, dass der Stahl-, Auto-, Textil- und Währungskrieg wie auch die Rüstung der Notwendigkeit entspringen, die Interessen und Einflusssphären des eigenen Staates – als Sachwalter des Kapitals – gegenüber den Konkurrenten auszubauen.

Und weil dieser Konkurrenzkampf aufgrund enger gewordener Märkte immer schärfer wird, werden sich die Spannungen innerhalb des imperialistischen Lagers vergrößern.

Allerdings überwiegt demgegenüber das gemeinsame Interesse, den so genannten „Freien Westen“ gegenüber den RGW-Staaten zu sichern, möglichst zu erweitern. Die Politik des Kalten Krieges und der neuen Spannungsstrategie gegenüber der Sowjetunion dient dazu, sie wirtschaftlich zu schwächen, da sie beträchtliche Teile des Volkseinkommens in einen permanenten Nachrüstungswettlauf stecken muss. Während Amerika zum Beispiel fünf Prozent seines Bruttosozialprodukts für die Rüstung aufwendet, ist es der technologische Rückstand der UdSSR, der ihr immerhin 17 Prozent des Bruttosozialprodukts für die gleiche Rüstungsmenge abverlangt.

Und die Amerikaner wissen genau: solange die SU der amerikanischen Rüstung hinterherlaufen muss und prozentual mehr als dreimal soviel von ihrem Volkseinkommen aufwenden muss, solange kann die SU in der 3. Welt nicht agieren oder handeln, wie sie es gern möchte. Gleichzeitig erfüllt die Spannungsstrategie noch einen Zweck: den europäischen Nato-Verbündeten wird ein gefährlich hochgerüsteter sowjetischer Gegner vorgeführt. Dieser hochgerüstete und feindliche Gegner (fürs Kapital) erzeugt Angst und es erscheint nur zu logisch, dass sich Westeuropa durch die Spannungsstrategie wieder mehr an die USA kettet. So soll die alte imperialistische Einkreisungspolitik gegenüber der SU – diesmal atomar – fortgesetzt werden und der SU strategisch weiter – noch weiter – die Hände fesseln. Amerika will aber zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die 2. Fliege ist die EG als wirtschaftlich immer stärker werdender Konkurrent für die USA auf den immer enger werdenden Märkten. Allein die BRD hat 1978 die Amerikaner vom ersten Platz des Warenexports in der Welt verdrängt. Zudem hat die BRD die USA auch als den größten Kapitalexporteur abgelöst.

Die BRD allein. Und wenn man bedenkt, dass sich der Trend der wirtschaftlichen und politischen Konzentration innerhalb der EG fortsetzt, dann ist leicht zu erkennen, was für ein potenter Konkurrent sich da für Amerika schon entwickelt hat.

Wir stehen noch am Anfang der Spannungsstrategie und diese Entwicklung und auch die Taktiken der einzelnen kapitalistischen Staaten sind nicht einwandfrei zu durchschauen. Doch eins steht fest und zeichnet sich immer deutlicher ab: die Amerikaner wollen den immer stärker werdenden EG-Imperialismus als Konkurrenten schwächen. So sollte man auch nicht vergessen, dass in Amerika schon offen über Krieg in Europa und deren wirtschaftlichen Nutzen für die USA diskutiert wurde. Schließlich gibt es ja die Erfahrung des 2. Weltkrieges, daher ein zerstörtes Europa.

Alles lernen, nichts vergessen!

Das hat uns Karl Liebknecht hinterlassen. Nicht zu vergessen, dass eine Rüstung, die auf Hochtouren läuft, eine Krise, die im Innern der kapitalistischen Staaten immer schärfer wird und die dadurch verstärkten Spannungen, das Auslösen eines Krieges immer unkontrollierbarer machen. Da ist es dann egal, ob es ein toter Thronfolger in Sarajewo, der Papst in Rom, der Konflikt Irak-Iran, oder sonst ein im Verhältnis banaler Anlass ist. Solch ein Anlass ist dann nur noch der Funke, der in total überfüllte Pulverfässer fliegt und der die Erde in Brand steckt.

Alles lernen, nichts vergessen!

Alles lernen, heißt, die neuerliche Erfassung aller Wehrpflichtigen in den USA, die offene Darstellung neuer Atomschlagstrategien durch die USA, die Propaganda und die Witze über ein atomverseuchtes Teheran, die Neutronenbombe, die Nato-Mittelstreckenraketen, den Ausbau und die erweiterten Aufgaben der BRD-Marine als das zu begreifen und zu bekämpfen, was es immer war und ist, offene Kriegsvorbereitungen.

Nichts vergessen, heißt, dass Kriege auch psychologisch vorbereitet werden und das öffentliche Rekrutenvereidigungen genau diesem Ziel dienen. Jeder, der sich diesen Rekrutenvereidigungen in den Weg stellt, hat, ob er das weiß oder nicht, die Tradition der revolutionären Arbeiterbewegung aufgegriffen und den politischen Geist Liebknechts und Luxemburgs wieder aufblühen lassen. Der Feind steht im eigenen Land! Auch das ist von Liebknecht und so wahr wie damals.

Immer wieder präsentiert uns das Kapital äußere Feinde, mal die SU, mal die Ölscheichs, mal die Ayatollas, mal die japanische Industrie, mal die Vietnamesen. Logisch, denn wenn die Krise die inneren Probleme des Kapitals anwachsen lässt, dann wird ein äußerer Gegner gebraucht, damit von der verstärkten Ausbeutung und Repression im eigenen Land abgelenkt werden kann. Wenn wir uns ablenken lassen, dann kommt es zum Kampf der Völker gegeneinander. Das haben wir zu verhindern, da verliert nur der kleine Mann. Was wir wollen und anstreben, um den Krieg der Rassen zu verhindern, das ist der Krieg der Klassen.

Klassenkampf im Herzen der Bestie ist die einzige Möglichkeit, Krieg und Imperialismus ein für allemal zu beseitigen. Das hat auch der kapitalistische Staat erkannt, deshalb sind für ihn alle die den Hauptfeind, die dem Wahnsinn des Wettrüstens, dem Wahnsinn der nur an Profit orientierten und Mensch und Natur zerstörenden Industrie, den kaputt machenden Stadtteilen und Wohnsilos, den Fabriken, Schulen, Unis, kurz allen kapitalistisch durchstrukturierten Lebensbereichen Widerstand entgegensetzen. Das Kapital hat erkannt, dass der Widerstand in allen Lebensbereichen, der Kampf um Selbstverwaltung und Selbstorganisierung der Anfang einer sozialen Revolte ist, die es gilt im Keime zu ersticken, bevor sie Wurzeln schlägt und zur Revolution wird.

Für uns, die diesen Wahnsinn nicht nur stoppen, sondern beseitigen wollen, kann es nicht darum gehen, den Kampf nur gegen die kaputten Stadtteile, den Kampf nur gegen Atomkraftwerke oder nur gegen den Krieg zu propagieren. Das ist zu wenig. Der Kampf muss sich in allen Lebensbereichen verstärken und sich vereinen, mit dem Ziel die ökonomische und kulturelle Revolution von unten, von der Basis her voranzutreiben, bis zur politischen Revolution.

Es reicht nicht aus, nur die politische Macht und den Staat der Herrschenden zu zerschlagen. Wir müssen von Anfang an seine ökonomische Basis angreifen. Wir werden erst Häuser besetzen und halten und dann Stadtteile. Wir werden erst KOB’s aus den Stadtteilen schmeißen und dann die Bullen überhaupt. Wir werden die Fabriken erst besetzen und sie selbstverwalten. Wir werden wie die polnische Arbeiterklasse freie Gewerkschaften im Kampf erobern und sie selbst organisieren, wir werden AKWs genauso wie alle Mittelstreckenraketen und sonstigen Dreck verschrotten.

Wir werden alles dransetzen, damit sich die Widerstandskerne und Bereiche zu einem Ziel, der sozialistischen Revolution vereinen. Denn nur in der Einheit aller Rebellionen in dieser Gesellschaft haben wir die Chance, auch erfolgreich die Befreiung aller zu erreichen. Und nur in der Einheit und im revolutionären Kampf haben wir die Chance, den Wahnsinn eines begrenzten und unbegrenzten Atom- oder sonstigen Krieges zu verhindern. Krieg dem Krieg, das heißt direkter Angriff auf die Verhältnisse, die Kriege hervorbringen, das heißt Krieg dem Kapitalismus. Für uns als dem bewaffneten Teil des Widerstandes kann es nur heißen, sich am Kampf um die Einheit der Rebellionen in der Gesellschaft zu beteiligen und uns in dem Kampf um die Lebensbereiche einzureihen. Wir werden entweder Teil dieser Kämpfe, oder wir werden zur politischen Bedeutungslosigkeit verkommen.

Schafft es der Gegner, uns von diesen Kämpfen zu isolieren, dann werden wir alles tun, um die Fehler, die uns in solche Situationen bringen können, genau und ehrlich aufzuarbeiten, damit sich der bewaffnete Kampf nicht verselbständigt und zum Selbstzweck wird. Bewaffneter Widerstand, der sich als Teil des gesamten Widerstandes definiert und begreift und die bewaffnete Aktion zum Nutzen des gesamten Widerstandes einsetzt, wird sich der Gefahr einer Isolierung von Anfang an entziehen. Der bewaffnete Kampf oder Stadtguerilla wird so, in Form und Inhalt, die Politik des Widerstandes mit anderen Mitteln fortsetzen. Nur so werden wir lernen, dass sich unsere Politik nicht nur aus bewaffneten Aktionen zusammensetzt. Es ist auch nicht so, dass nun der bewaffnete Kampf zur Speerspitze der Bewegung erklärt wird. Die Speerspitze ist und bleibt unsere Politik. Nicht der Grad der Gewalt bestimmt, ob etwas avantgardistisch oder höchste Form des Kampfes ist, sondern welche Form des Kampfes am effektivsten unser Ziel verwirklichen hilft. Die Formen und die Mittel unseres Kampfes dienen immer nur einem Zweck, dem politischen Ziel. Die Politik befiehlt dem Gewehr und nicht umgekehrt.

Eine unserer wichtigsten Erfahrungen im Kampf ist es, sich niemals auf eine Form des Kampfes festzulegen. Das führt zum Dogmatismus, zum Fetischismus und letztlich zur politischen Erstarrung. Die Gewaltfrage ist für uns keine prinzipielle Frage, sondern eine Notwendigkeit. Die Gewalt wird von außen an uns rangetragen, wir haben doch die Gewalt nicht erfunden. Es ist auch kein Zufall, dass gerade der proletarische Teil innerhalb der Linken, der die herrschende Gewalt alltäglich in vollen Zügen genießen kann, viel eher und schneller auf Gegengewalt zurückgreift, als der Teil aus bürgerlichen Kreisen. Sowohl die Gewaltfreien, als auch die, die gezielt die Gegengewalt einsetzen, sollten sich nicht gegenseitig am Grad der Gewalt messen, sondern sie müssen gemeinsam die Ausweitung des Widerstandes im Auge haben und sich daran messen.

Der gewaltfreie Widerstand in Gorleben hat gezeigt, dass es Momente im Widerstand gibt, wo es effektiver ist auf aktive Gegengewalt zu verzichten. Die offene Gegengewalt in Bremen jedoch hat auch gezeigt, dass es Momente gibt, wo man nicht auf Gegengewalt verzichten kann. Und wir meinen, dass die Aktiven aus Bremen und die Passiven aus Gorleben nicht gegeneinander, sondern vielmehr miteinander reden sollten und die gemeinsame Seite ihres Widerstandes herausarbeiten müssen. Beide Pole der Bewegung machen Lernprozesse und keiner kann auf die Erfahrung des anderen verzichten, solange man sich als eine Bewegung versteht, und davon gehen wir jedenfalls aus. Diese Bewegung muss vor allen Dingen den Dialog untereinander suchen und sich über das gemeinsame Ziel klar werden, um davon die Strategie und Taktik abzuleiten. Der Dialog untereinander bringt uns vorwärts und nicht der schleimige Dialog mit den Herrschenden.

Eine selbständige Entwicklung können wir nur machen, wenn wir sie uns selbst erkämpfen und nicht, wenn wir sie von den Herrschenden durch Preisgabe unserer Radikalität erkriechen. Das gilt für die Einzelnen genauso wie für die Gesamtheit der Bewegung. Und für uns, dem bewaffneten Teil des Widerstandes gilt es in Zukunft, nicht lauter zu bellen als man beißen kann. Wir werden alles dransetzen, dass sich der militante und bewaffnete Widerstand verbreitert und verankert. Sich so verankert, dass es zu einem zähen und langfristigem Guerillakampf kommt, der sich nicht nur auf die Städte konzentriert und der immer zum Ausdruck bringt, dass es letztlich nur ein gewaltsamer Umsturz sein kann, der das alte System verjagt.




Im Verhandlungsprotokoll sind für die ersten 193 Verhandlungstage (bis einschließlich 1. August 1980) vermerkt

365 Zeugen
22 Sachverständige

Störungen

Teufel: 52 Mal
Meyer: 27 Mal
Reinders: 59 Mal
Fritzsch: 55 Mal
Klöpper: 63 Mal
Vogel: 26 Mal

Verwarnungen

Teufel: 20 Mal
Meyer: 13 Mal
Reinders: 44 Mal
Fritzsch: 39 Mal
Klöpper: 40 Mal
Vogel: 8 Mal

Tumulte linke Anklagebox: 2 Mal
Tumulte rechte Anklagebox: 5 Mal

Zuhörerraum

Beifalls-, Missfallenskundgebungen, Unruhe, Klatschen, Lachen: 614 Mal
Tumulte im Zuhörerraum: 10 Mal
Räumungen: 11 Mal
unerlaubte Kontaktaufnahme mit Angeklagten: 46 Mal
Ermahnung des Vorsitzenden zur Ruhe: 211 Mal
Drohung mit Ausschluss: 88 Mal